Der Glaube versetzt Berge, weiß der Volksmund. Nur wer verkündet in einer weithin gottlosen Welt die Wahrheit, das Wissen, den Glauben? Geht man nach Umsätzen, sind es die Astrologen, Hellseher und Wahrsager, die längst zur Branche geworden sind. Zu einem Wirtschaftszweig, der nicht nur Horoskope in Zeitschriften plaziert oder auf Trödelmärkten aus Spielkarten lesen läßt – sondern vielmehr via Fernsehen Millionen Menschen anspricht.
Im deutschsprachigen Raum sind das vor allem der Marktführer „Astro TV“ und der Sender „Telemedial“. Astro TV ist der sichtbare Teil der Questico AG, ein Unternehmen, das die Astrologie digitalisiert und weithin ökonomisiert hat. Der Sender ist über Satellit in 20 Millionen Haushalten zu empfangen und wird zudem in diverse Regionalsender eingespeist. Mit der Wahrsagerei erzielte das Unternehmen allein im letzten Jahr einen Umsatz von 50 Millionen Euro. Ein Erfolg, für den auch die Monatszeitschrift Zukunftsblick mit einer Auflage von 250.000 Exemplaren und eine Internetseite des Unternehmens sorgen. Dort verkündet Deutschlands Promi-Astrologe Winfried Noé, der auch Gesellschafter bei Questico ist, seine Weisheiten. Questico liefert Horoskope für Zeitungen und Internetdienste. 90 Prozent der Kunden sind Frauen, die meisten sind älter als dreißig. Doch das Potential ist weit größer. Nach einer Forsa-Umfrage ist jeder zehnte Deutsche überzeugt, daß Sonne, Monde und Planeten sein Leben beeinflussen. Insofern sucht Questico derzeit noch Finanzpartner für eine Internationalisierung des Geschäfts. Die Länder in Osteuropa und der Mittelmeerraum gelten als vielversprechend.
Fast 3.000 freiberufliche Berater sind für das Hauptgeschäft der Questico AG zuständig. Im Fernsehen treten davon allerdings nur etwa vierzig auf. Mehrere tausend Menschen telefonieren täglich mit den hellsichtigen Beratern des Franchise-Unternehmens. Bei Winfried Noé können sie Kurse für ein Astro-Kolleg am Ammersee buchen. Die Kosten für ein komplettes Studium beim Meister betragen immerhin 2.400 Euro. Wer die Wahrsagerei erfolgreich studiert hat, erhält ein Astrologen-Diplom und ist hellsichtig qualifiziert, Berater im Astro TV zu werden. Von ihren Kurs-Einnahmen behält der Guru 60 bis 70 Prozent, den Rest bekommt Questico. Die Telefonkosten gelten als Betriebsausgaben.
Doch die Auswahl der Berater ist heikel. Es gehe darum, wie sehr er sich in die Seelenwelt der Anrufer einfühlen könne. Naturgemäß sei es unmöglich, räumt Kay Noelke, Senior Producer von Astro TV ein, übersinnliche Fähigkeiten zur überprüfen. Deshalb haben die Berater einige Tricks gelernt. Die Deutung von Gegenwart und Zukunft des Anrufers verläuft stets nach dem gleichen Muster. „Cold reading“ (kaltes Lesen) wird das Verfahren, das wir aus den USA kennenlernen durften, genannt. Man könnte auch schlicht „Manipulation einer Gedankenführung“ sagen.
Der US-Psychologe Bertram Forer hat mit einfachen Texten gezeigt, daß es Äußerungen gibt, die 95 Prozent der Menschen als zutreffend bezeichnen. Zum Beispiel: „Sie wünschen sich, daß andere Leute Sie mögen und bewundern, und dennoch tendieren Sie gelegentlich zu einer kritischen Meinung über sich selbst.“ Oder: „Sie verfügen über einiges Potential, das Sie bisher noch nicht zu Ihrem Vorteil genutzt haben.“ Selten wird ein sorgenvoller Anrufer widersprechen. Geschickt spielen die Wahrsager mit der Psyche ihrer Opfer. Jeder der Ratsuchenden wird sich am Ende nur an jene Aussagen erinnern, die ins Schwarze getroffen haben.
Matthias Pöhlmann, Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche in Berlin, hält diese Methodik für „hochgefährlich“. Das Risiko seelischer Abhängigkeit sei hoch. Pöhlmann spricht von Sucht und kennt nicht wenige gescheiterte Existenzen, die keine Hilfe erhielten, nur noch mehr verloren haben.
Bekannt ist der Fall der FAZ-Mitarbeiterin Melanie Mühl, die Luke und Lorelei, Top-Wahrsager des TV-Senders „Telemedial“ besuchte. Nach kurzem Gespräch kommt Luke zu dem Ergebnis, daß Melanie mit dreizehn mißbraucht worden sei, von jemandem aus der Familie. Die Mutter wäre sexuell verklemmt und der Vater stets unbefriedigt geblieben. Sie selbst werde in den nächsten zehn Jahren nicht glücklich werden. Sie solle trotzdem ein Haus in Südfrankreich kaufen. Das Gespräch kostete 150 Euro in bar, ohne Quittung. Und hatte überdies wohl nur ein Ergebnis: Nichts stimmte.