In Zeiten, in denen im Osten und Süden der Ukraine zwei slawische Brudervölker in einen grausamen Krieg verstrickt sind, sind Bücher wie Walter Schubarts „Europa und die Seele des Ostens“ ein humaner Appell, dessen Intensität in einem scharfen Kontrast zum Krieg und seiner Not steht.
Einmal mehr wird hier das Ausgeliefertsein des einfachen Soldaten in den physischen Gemetzeln, die sich zu einer metaphysischen Konfrontation der Zivilisationen entwickelt haben, sichtbar. Doch geht es in seinem Werk nicht um die physischen und psychischen Schäden eines schrecklichen Krieges, vielmehr liegt das Hauptaugenmerk des Autors „auf dem elementaren Erlebnis des Gegensatzes zwischen dem westlichen und dem östlichen Menschen.
Es steht nicht im Zeichen des Untergangs, sondern der Erneuerung des Lebens. Es ist nicht vom bedrohten Westen, sondern vom erwachenden Osten her empfunden. Es ist außerhalb der römisch-germanischen Völker entstanden, räumlich und geistig, an einem Punkt, von wo sich der Blick über das Abendland als Ganzes werfen ließ.“
Schubarts Blick gilt jedoch nicht nur Rußland, nachdem es entdeckt hat, daß der Westen etwas Ungeheuerliches in sich birgt, nämlich die Überordnung der Materie über den Geist, das heißt die postmoderne Relativität aller Werte, und es vor ihm zurückgeschreckt ist, sondern auch Europa.
Schubart wollte westliches und östliches Denken vereinbaren
Allerdings einem von Osten gesehenen Europa, in dessen Werdendem und notwendig Kommendem er bereits „den Weltkampf und Ausgleich zwischen Westen und Osten und die Geburt einer westöstlichen Weltkultur“ durch den entstehenden johanneischen Menschen – den prometheischen Menschen sieht er bereits vom Tode gezeichnet – sieht.
Durch die „Sammlung der Besten“ gelange ein neues Element des Geistes in die Welt, in dem östliche Denktraditionen mit westlichen Philosophien in einen harmonischen Dialog treten, den er als Entwicklungsgesetz betrachtet, das in drangvoller Zeit nicht nur die Probleme des untergehenden Abendlandes mit seiner Leere moderner, technizistischer Betriebsamkeiten, begleitet von einer völligen Entchristlichung der westlichen Kultur, beleuchtet.
Schubart sieht in einer konsequenten „Rhythmik des Weltgeschehens“ über Nationen und Rassen hinaus auch neue Hoffnung auf Heilung des westlichen Menschentums durch die russische Seele, die dem ungezügelten kapitalistischen Materialismus Einhalt gebietet und Europa von seiner zerstörerischen Fortschrittsdoktrin zum Glauben an das Ewige und die Tradition zurückführt. ißt die postmoderne Relativität aller Werte, und es vor ihm zurückgeschreckt ist, sondern auch Europa.

Die „Seele des Ostens“ faszinierte den Juristen
Am 5. August 1897 in Sonneberg geboren, gehört der promovierte Jurist Walter Schubart zu jenen Autoren, deren konservativer Humanismus in schroffer Ablehnung des Positivismus und Naturalismus steht. Daß sein vorliegendes Hauptwerk erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland bekannt wurde, verdankt er Heinrich Böll, der während der Zeit des Kalten Krieges Schubarts Bücher lobte, obwohl sie mancherlei vom eigenen Werk trennte.
Böll erkannte in Schubarts inspirativem Antrieb – der souverän aus dem Erbe altabendländischer und antiker Formen wählte, um ein pessimistisches Bild westlicher Kultur zu zeichnen, die ihren Weg verloren hat – dessen Tendenzen zur Mystik der traditionellen Werte Rußlands und eine Unvoreingenommenheit zur „Seele des Ostens“, die ihn faszinierte. Selbst der gottlose Kommunismus hatte es nicht vermocht, eine dauerhafte negative Hierarchie aufzubauen, die durch ihren aggressiven Willen zur Zerstörung des Geistes und des Denkens die Negation jeglicher Spiritualität war.
Schubarts Kontakt mit Oswald Spengler in den 1920er Jahren in München, seine Heirat mit der lettischen Jüdin Vera Englert und die Übersiedelung nach Riga nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, die seine Bücher als „unerwünschtes und schädliches Schrifttum“ auf den Index setzten, lassen bereits die Problematik einer Zeit erkennen, die welteröffnenden Wahrheiten und der Darstellung der westöstlichen Welt als einer von Gewalten durchtobten Arena, in der der Mensch auch unter Druck seine Würde bewahren muß, fremd gegenüberstand und halbherzige Lösungen propagierte.
1939 erschien Walter Schubarts „Dostojewski und Nietzsche“, auch hier geht es um das geistige Verhältnis zwischen Rußland und Deutschland, das aus der Ontologie kommt; ein Jahr später „Geistige Wandlung. Von der Mechanik zur Metaphysik“, das wie sein Hauptwerk im Schweizer Exilverlag Vita Nova veröffentlicht wurde und das Schicksal der menschlichen Existenz im Kampf mit Materialismus, dem „wissenschaftlichen Weltbild“ und allen Formen der westlichen Entartung schildert. 1941 erschien „Religion und Eros“ als einziges seiner Werke in Deutschland im Verlag C. H. Beck und wurde in der NS-Presse prompt zerrissen.
Schubarts Werk war Grundlage der national-russischen Renaissance
Am 19. Juli 1941 wurde der Kulturphilosoph Walter Schubart von der sowjetischen Geheimpolizei GPU in Riga festgenommen und in ein Gefangenenlager in Kasachstan verschleppt. Hier kam er am 15. September 1942 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Über den Tod seiner Frau, die mit ihm zusammen verhaftet und verschleppt wurde, ist bis heute nichts Näheres bekannt. 1997 erschien die erste russische Übersetzung von „Europa und die Seele des Ostens“ und führte zunächst zu durchaus kontroversen Diskussionen.
Inzwischen wird das Werk als grundlegend für eine spirituelle national-russische Wiedergeburt angesehen und wegen seiner präzisen Schilderungen von Menschen und Ereignissen, seiner sensiblen Rhythmik und Bilderfülle des West-Ost-Problems, das Schubart als exzellenten Kenner beider Welten auszeichnet, international beachtet. Daß Walter Schubart in Deutschland heute zu den „vergessenen Autoren“ zählt, ist bezeichnend für den geistig-intellektuellen Zuschnitt unseres Kulturbetriebs, der nahezu jeden Schund über einen angeblichen „Klimawandel“ und die pathologische LGBT-Agenda und ihre Schreiberlinge mit sogenannten „Literaturpreisen“ überhäuft.
Um so schöner ist es, daß im Lindenbaum Verlag nun sein Hauptwerk neu erschienen ist, das Leser verdient, die die Prophezeiungen des Mönchs Philotheus von 1520 verstehen: „Denken Sie daran, daß die beiden Roms gefallen sind, das dritte, Moskau, steht noch, und es wird kein viertes geben!“