Unter den Anhängern des Dezisionismus dürfte Amazons Entscheidung, zwölf Bücher des rechtskonservativen Antaios-Verlags aus dem Angebot zu streichen, Bewunderung auslösen – als Paradebeispiel gelingender Machtausübung.
Der Internethändler hatte am 19. Februar die Titel aus seinem Sortiment genommen, darunter den Roman „Sieben Reiter verließen die Stadt“ von Jean Raspail und Joachim Fernaus Novelle „Hauptmann Pax“ sowie Werke unter anderem von Bernard Willms, Stefan Scheil, Günter Scholdt und Armin Mohler.
Eine Maßnahme ohne Geräusche oder Aufsehen
Die Entscheidung ist effektiv, weil sie dem Verlag einen Teil des potentiellen Publikums entzieht, damit seine wirtschaftliche Existenz bedroht und gleichzeitig die Verbreitung eines alternativen Programms behindert. Sie ist legal, weil sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegt und durch das hohe Rechtsgut der Vertragsfreiheit legitimiert ist. Darin liegt noch ein zusätzlicher Mehrwert, mit dem das Opfer, Antaios, wenn es sich zu wehren versucht, über das Juristische hinaus politisch und moralisch neutralisiert werden kann.
Die Maßnahme verursacht weder Geräusche noch Aufsehen, denn sie besteht aus ein paar Handgriffen im virtuellen Raum. Sie ist unangreifbar, weil ein kleines Unternehmen gegen einen international agierenden Branchenriesen keinen Rechtfertigungs- und anderen Gegendruck aufbauen kann. Die Internationalisierung führt zu einer Anonymisierung der Instanzen. Amazon hat es nicht einmal nötig, dem Verlag die Gründe für den halben Rauswurf mitzuteilen. Solche Unschärfe verstärkt die negative Generalprävention, die diese Maßnahme transportiert. Andere Autoren und Verlage werden sich noch mehr als bisher hüten, rechtskonservative Bücher zu verfassen und zu verlegen, weil über ihnen die Gefahr schwebt, daß der Branchenriese den Vertrieb beschränkt.
Eine gezielte Steuerung von Angeboten und Informationen
Amazons Machtexekution demonstriert, wie aus wirtschaftlichem auch politischer Einfluß erwächst. Machtverhältnisse lediglich anhand von Wählerstimmen, journalistischen Kampagnen oder nationalen Gesetzgebungsprozessen zu beurteilen, ist längst ein Zeichen der Harmlosig- und analytischen Unzurechnungsfähigkeit. Marxisten waren sich dessen stets bewußt! Zuletzt haben die pleitebedrohten Großbanken ihre Systemrelevanz geltend gemacht und der Politik milliardenschwere Hilfspakete abgepreßt.
Man muß sich im klaren darüber sein, daß Firmen und Systeme wie Ebay, Facebook, Wikipedia, Google, Yahoo nicht nur das Einkaufen und Kommunizieren leicht und bequem machen (siehe auch Seite 10 dieser Ausgabe), sie sind durch gezielte Steuerung von Angeboten und Informationen in der Lage, unser Verhalten und Denken so zu beeinflussen, daß sie verwertbar und profitabel werden. Sie gehören einer globalen Bewußtseinsindustrie amerikanischer Provenienz an und versuchen, das menschliche Bewußtsein in ihrem Sinne zu konditionieren.
An Amazon führt kein Weg vorbei
Zur Bewußtseinsindustrie gehört längst auch der Onlinehänder Amazon, der seinen Kunden nicht nur empfiehlt, was sie lesen sollen, sondern mittelbar auch in der Lage ist zu entscheiden, was sie lesen dürfen. Da ist es nur noch ein weiterer Schritt bis zur Entscheidungskompetenz über die Frage, was künftig überhaupt noch veröffentlicht wird.
Amazons Macht hat immerhin bereits große Buchhandelsketten wie Hugendubel und Thalia in die Knie gezwungen. Auch der vielzitierte kleine Buchhändler um die Ecke stützt sich zur Informationsbeschaffung auf Amazon, vom Privatverbraucher ganz zu schweigen. Sogar der Verlag Antaios, in dessen Publikationen vieles von dem, was Amazon verkörpert, scharf abgelehnt wird, muß sich, um existieren zu können, auf das kommunikative und Vertriebsnetzwerk von Amazon stützen. Vor einigen Jahren ging das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher (ZVAB) an den internationalen Buchhändler Abebooks – der wiederum zu Amazon gehört!
Der Wettbewerb wird außer Kraft gesetzt
Dabei nötigen einem der Ideenreichtum und die Geschäftstüchtigkeit des Onlinehändlers zunächst sogar Bewunderung ab. Doch die Konzentrationsprozesse im Medienbereich setzen den Wettbewerb und das Wechselspiel der Kräfte mehr und mehr außer Kraft. Darüber kann man nicht mehr in den begrifflichen Kategorien des liberalen, nur noch in denen des internationalen Monopolkapitalismus verhandeln. Aus der Marktmacht können sich zweifelhafte Konstellationen und Übereinkünfte ergeben. Ein theoretisches Beispiel: Der Staat könnte, um Standortverlagerungen zu vermeiden, bei der Lohngestaltung und den Arbeitsbedingungen ein Auge zudrücken, während Amazon bei der politischen Säuberung seiner Angebotspalette gefällig ist.
Die Vertragsfreiheit gilt nicht uneingeschränkt. Sie wird unter anderem durch das Gleichbehandlungsgesetz eingehegt, das Diskriminierungen aufgrund von Ethnie und Herkunft, sexueller Orientierung, Religion und Behinderung verbietet. Die Diskriminierung aus politisch-weltanschaulichen Gründen ist wohlweislich ausgespart.
Es geht um die Durchsetzung von Ideologie
Der Antidiskriminierungspolitik geht es weniger darum, Benachteiligungen zu beseitigen, sondern eine gesetzestreue Mehrheit zu zwingen, abweichende Verhaltensweisen zu erdulden und sogar Nachteile dafür in Kauf zu nehmen. Oft geht es um Folgen der Zuwanderung und der Durchsetzung der Eine-Welt-Ideologie. Hier treffen sich die politisch-ideologischen Interessen der Politik mit denen des internationalen Multis. Die Schriften des kritisch eingestellten Kleinverlages mögen Amazon gleichgültig sein. Auf keinen Fall hat der Onlinehändler ein Interesse daran, Antaios’ informellen Anspruch auf Öffentlichkeit gegen politisch motivierte Anschwärzer zu verteidigen.
Die meisten Kunden aber – darüber besteht kein Zweifel – wähnen sich weiter im Zustand fast vollkommener Meinungs- und Gedankenfreiheit. Das macht die Gegenwehr so schwierig.
Ein Großteil der von Amazon boykottierten Bücher kann im JF-Buchdienst erworben werden.
JF 11/14