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Die Sehnsucht nach „Seiner Heiligkeit“

Die Sehnsucht nach „Seiner Heiligkeit“

Die Sehnsucht nach „Seiner Heiligkeit“

 

Die Sehnsucht nach „Seiner Heiligkeit“

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Die einen vergöttern den Dalai Lama, ohne überhaupt Anhänger seiner Religion zu sein, den anderen entweicht nur ein kurzer Seufzer, wenn sie seinen Titel hören. Auch letztere haben gar nichts gegen seine Person, schließlich ist ja immer etwas Passendes für jeden dabei, wenn er eine Ansprache hält. Aber die Begeisterungsstürme seiner meist religiös ungebunden und säkular lebenden Fans, die massenhaft zu den Auftritten „Seiner Heiligkeit“ strömen, sind jedoch so ausdauernd wie für andere ermüdend. 

Das geistige und weltliche Oberhaupt der Tibeter ist für seine Anhänger „ein Gott zum Anfassen“. Es ist erstaunlich, daß mit gleichlautendem Untertitel jetzt ein Buch herauskam, das sich so ganz vom üblichen Pro-Tibet-Gesäusel abhebt: „Das Vermächtnis des Dalai Lama – Ein Gott zum Anfassen“ vom langjährigen Auslandskorrespondenten des Stern und heutigen Spiegel-Mitarbeiter Erich Follath ist, anders als es der Titel erwarten läßt, nicht das Buch eines Anhängers, der sich im Abglanz eines strahlenden Lichtes sieht.

Es ist Reportage, Hintergrundbericht, Interview, auf 308 Seiten plus Literaturverzeichnis, wohlwollend-diffenziert und offen. An vielen Stellen läßt der Autor den Leser an der Suche nach den Antworten teilhaben, etwa wenn es um Fragen nach der aktuellen Realität in Tibet geht, oder in Dharamsala, dem indischen Exil des tibetischen Oberhauptes. Er macht sich auf die Suche nach den religiösen Grundlagen ebenso wie dem historischen Fundament, auf das sich der Lamaismus stützt. Er befragt den höchsten Tibeter selbst nach dessen Lebenserinnerungen und beschreibt dabei minutiös, wie diese Persönlichkeit auf ihn wirkt. Follath ist dabei immer auf der Suche nach den Fakten hinter dem projizierten Bild vom Dalai Lama im Westen, das er eingangs gleich gründlich auseinandernimmt. Er greift sich dabei sieben Mißverständnisse heraus.

Eines davon ist zentral und wird über ganze Kapitel hinweg auch belegt: das Mißverständnis, Tibet sei von jeher ein friedliches Reich unter sanfter Herrschaft gewesen. Follath schreibt da Klartext: „Tibet war ein extrem rückständiger, feudalistischer Staat, dessen Gottkönige das Volk jahrhundertelang brutal unterdrückten und wo es zwischen den Äbten der wichtigsten Klöster immer wieder zu blutigen und sehr weltlichen Machtkämpfen kam.“ Packend und schonungslos beschreibt der Autor, wie noch zu Lebzeiten des jetzigen Dalai Lama solche Rivalitäten ausgefochten wurden und es in dessen eigenem Palast eines Tages zu einem Mord kam. Diese Erkenntnisse verführen den Autor aber glücklicherweise nicht zu einer Relativierung der chinesischen Verbrechen auf dem Dach der Welt. Den menschenverachtenden Zynismus Maos und seiner Schergen legt er ebenso realistisch offen. Von ursprünglich 6.000 tibetischen Tempeln existierten am Ende der Kulturrevolution schließlich nur noch sieben. Allerdings hat sich die direkte Unterdrückung etwas gemildert. Heute gibt es im ethnisch immer mehr chinesisch geprägten tibetischen Hochland  wieder etwa 3.000 Klöster, in denen über 200.000 Mönche leben.

Religionswissenschaftliche Unbedarftheit

Bedauerlich ist Follaths religionswissenschaftliche Unbedarftheit. Immerhin bemüht er sich: Er reist an die historischen Stätten des Buddhismus, Reisen, über die er auch im vorliegenden Buch berichtet, und führt Gespräche mit dem Religionswissenschaftler Hans Wolfgang Schumann aus Bonn. Follath versucht wiederholt, den tibetischen Buddhismus mit Hilfe von christlichen oder katholischen Begriffen zu erfassen, ohne sich über deren Bedeutung im ursprünglichen Kontext im klaren zu sein. So stellt er dem Dalai Lama die interessante Frage nach dessen Unfehlbarkeitsvorstellung, zieht aber leider dabei den Papst als Vergleich heran („… eines seiner Wesensmerkmale ist seine Unfehlbarkeit“). Offenbar ist er sich nicht darüber bewußt, wie eng dieser Begriff in der katholischen Kirche gefaßt ist. Nur wenn in aller Form eine Glaubensüberzeugung zum Dogma erklärt wird, gilt diese gemäß des Unfehlbarkeitsdogmas von 1870 als verbindlich und irrtumsfrei. Nur einmal hat ein Papst überhaupt davon Gebrauch gemacht. Es war Pius XII. im Jahr 1950.

Follath räumt zwar dankenswerterweise mit dem Irrtum auf, dem Dalai Lama läge sehr an der Verbreitung des Lamaismus im Westen. „Aber wenn Sie im Westen sich zum Glauben entschließen, dann gilt es auch zu bedenken: Sie haben einen judäisch-christlichen Hintergrund, es ist besser, wenn Sie bei Ihren Wurzeln bleiben.“ Mit diesen Worten zitiert der Autor den tibetischen Religionsführer. Follath versäumt aber leider zu fragen, warum denn der tibetische Buddhismus nicht missioniert.

Der Leser bekommt aber zumindest eine grobe Vorstellung aus Follaths Beschreibung dieser Variante der großen östlichen Weltreligion: Der Lamaismus vereint in sich die „Spuren des Bön-Kultes“, also der im östlichen Tibet vorherrschenden präbuddhistischen Religion ebenso wie „starke tantrische Elemente“. Aufschlußreich sind die im Buch erwähnten Vorgänge um das Verbot des Dämonen-Kults durch den Dalai Lama im Januar 1997. Auf das Verbot hin metzelten Anhänger des Kults den engsten Vertrauten ihres Oberhauptes nieder und brachten somit die schwarzmagischen Seiten des Lamaismus ans Licht der internationalen Öffentlichkeit.

Erich Follath: Das Vermächtnis des Dalai Lama – Ein Gott zum Anfassen. Collection Rolf Heyne, München 2007, gebunden, 320 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

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