Sein erster Auftritt als Petrus-Nachfolger auf der Loggia des Petersdomes war aufschlußreich. Der vielen noch unbekannte Papst Leo XIV. setzte – bei genauem Hinsehen und Hinhören – Zeichen, die ein schlichtes Einordnen unmöglich machen, vielmehr aber darauf hindeuten, daß der 267. Pontifex einen weiten Horizont hat und offenbar die Kompetenz zum anspruchsvollen Brückenbauer besitzt. In ein Klischee läßt er sich nicht pressen. Konservativ oder progressiv, was immer diese politischen Begriffe auch kirchlich bedeuten könnten, paßt bei Leo XIV. nicht. Und wenn es um Tradition oder Reform gehen soll, dann müßte bei ihm das „oder“ durch ein selbstverständliches „und“ ersetzt werden.
Wer er ist, dokumentierte er gleich beim ersten Erscheinen in Weiß. Er trug wieder, wie seine Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI., die päpstliche Mozetta, den Schulterumhang. Und er kam als Seelsorger, liturgisch korrekt, mit der großen Stola. Selbst seine ersten Worte waren liturgisch: „Der Friede sei mit euch allen.“ Und er lenkte den Blick der Herzen und Seelen sogleich auf das eigentliche Zentrum der Kirche, nämlich den Gottessohn Jesus Christus: „Dies ist der erste Gruß des auferstandenen Christus, des guten Hirten, der sein Leben für die Herde Gottes gegeben hat.“ Auch er, so Leo, wünsche sich, daß dieser Friedensgruß „in unsere Herzen eindringt, in eure Familien, zu allen Menschen – wo immer sie auch sind –, zu allen Völkern, auf die ganze Erde“.
Und dann wiederholte er, am 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und in Zeiten vieler Kriege auf dieser Erde, aus tiefstem katholischem Glauben ganz selbstverständlich: „Der Friede sei mit euch. Dies ist der Friede des auferstandenen Christus. Ein unbewaffneter Friede, ein entwaffnender Friede, ein demütiger und beharrlicher Friede. Er kommt von Gott. Gott, der uns alle bedingungslos liebt.“
Ein Missionar
Und er, der von sich selbst gerne sagt, er sei stets Missionar gewesen und geblieben, begann sofort seine herzliche und unerschrockene Mission, als er sagte: „Gott meint es gut mit uns. Gott liebt euch alle, und das Böse wird nicht siegen. Wir alle sind in Gottes Hand. Daher: Ohne Angst, vereint, Hand in Hand mit Gott und miteinander, gehen wir voran. Wir sind Jünger Christi. Christus geht uns voran. Die Welt braucht sein Licht. Die Menschheit braucht ihn als Brücke, durch die sie zu Gott und seiner Liebe gelangen kann.“ Alle Christen sollten Missionare sein, „ohne Angst, das Evangelium zu verkünden“.
Er wünsche sich eine missionarische Kirche. Und seine Einladung an alle, sich der Gottesmutter Maria anzuvertrauen und sie als Begleiterin auf dem Weg zu wählen „für diese neue Mission, aber auch für die ganze Kirche, für den Frieden in der Welt“, war ein Prägemal seines soeben begonnenen Pontifikats. Das lateinische Ave Maria vor dem ersten päpstlichen Segen schien zu dokumentieren: Es geht mit Vertrauen auf Gott alles ganz normal katholisch! Und es paßt zum Motto des ehemaligen Kardinals und erwählten Papstes: IN ILLO UNO UNUM – In ihm (Christus) allein, eins. Es sind Worte aus einer Predigt des Heiligen Augustinus zu Psalm 127, dem er sich als Mitglied der Ordensgemeinschaft der Augustiner sehr verbunden weiß. Hier wird auch die Einheit, und zwar im Gottessohn und Kirchenstifter, in aller Verschiedenheit genannt.
Keine Kopie seines Vorgängers
Eines ist sicher: Eine Kopie eines seiner Vorgänger als Papst ist und wird er nicht sein. Weder diejenigen, die sich einen völlig unpolitischen Papst wünschten, noch diejenigen, die sich einen ziemlich politischen Petrusnachfolger ersehnten, werden immer ganz zufrieden sein mit einem Brückenbauer, der seine eigene Mischung aus Glaube und Tat hat und schlichtweg einfach nur, wie er häufig betonte, katholisch sein will. Leo XIV. ist und wird ein Original. Und seine Namenswahl erinnert unmittelbar an Leo XIII., der als tieffrommer Oberhirte unter anderem den Grundstein für die Soziallehre der Kirche legte und die aus dem Glauben erwachsene und gebotene Gerechtigkeit in den Blick nahm. Es ist zu vermuten, daß diese Christliche Gesellschaftslehre neue Dynamik erhalten könnte.
Und: Nach allem, was wir wissen, ist Leo XIV. kein Freund der Gender-Ideologie und von Wokeness. Er hat sich stets in Fragen der Lehre klar geäußert, nicht zuletzt in Fragen der Morallehre. Eindeutig katholisch ist er auch für den unbedingten Lebensschutz eines jeden Menschen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod.
Seine Biographie ist bemerkenswert. Als Robert Francis Prevost wurde er am 14. September 1955 in Chicago geboren. Er entstammt einer katholischen Familie mit französischem, spanischem und italienischem Hintergrund. Er studierte Philosophie und Mathematik und trat in die Ordensgemeinschaft der Augustiner ein, wo er 1981 die ewige Profess ablegte. Der studierte Theologe wurde am 19. Juni 1982 zum Priester geweiht. In Rom, an der Päpstlichen Universität Heiliger Thomas von Aquin, dem sogenannten Angelicum, promovierte er in Kirchenrecht mit einer Arbeit über den Heiligen Augustinus. Später wurde Prevost zunächst Provinzialoberer seines Ordens in Peru, dann von 2001 bis 2013 Generalprior des Augustinerordens mit Sitz in Rom.
Eine bemerkenswerte Biographie
Franziskus ernannte ihn, der am 12. Dezember 2014 zum Bischof geweiht wurde, 2015 zum Bischof von Chiclayo in Peru und berief ihn 2023 zum Erzbischof und zum Präfekten des Dikasteriums für die Bischöfe in Rom. Am 30. September desselben Jahres verlieh sein Vorgänger auf der Cathedra Petri Prevost die Kardinalswürde. Am 8. Mai 2025 wählten ihn, den niemand ganz oben auf seinem „Zettel“ als Papst hatte, die Kardinäle im vierten Wahlgang nach nur einem Tag Konklave zum Petrus-Nachfolger, zu dessen Titeln der offenbar auf ihn passende „Pontifex“, also Brückenbauer, gehört.
Viele hoffen nun, daß Leo XIV. die überlieferte Lehre der Kirche und die pastorale Notwendigkeit des immer geforderten Heutigwerdens und Verstehens der ewig gültigen Wahrheit miteinander verknüpfen und versöhnen kann. Er selbst ist ein Mann des genauen Zuhörens, des Dialogs und auch der Entschiedenheit. In der Treue zu Christus sendet er Signale der Unbeirrtheit und einer weltoffenen, herzensstarken und freundlichen Frömmigkeit. Es geht ihm um Grundsätzliches, weniger um Tagespolitisches, sondern – wie seinem Vorgänger Leo XIII., der aus dem christlichen Menschenbild heraus die soziale Frage profilierte – um die intellektuelle und mystische Tiefe des keinesfalls dem Verstand widersprechenden, sondern mit der Ratio versöhnten Glaubens an Gott.
„Ich betrachte mich immer noch als Missionar. Meine Berufung ist es, wie die jedes Christen, ein Missionar zu sein, das Evangelium zu verkünden, wo immer man ist“, sagte er einmal in einem Interview. Und: Ein Bischof müsse „in erster Linie (…) ,katholisch‘ sein.“
Sorge um die Einheit der Kirche
Er müsse auch die Fähigkeit haben, „zuzuhören und sich beraten zu lassen, und er muß psychologisch und geistlich reif sein. Ein grundlegendes Element des Identitätskonzepts ist es, ein Seelsorger zu sein“. Leos innere Haltung wird deutlich, wenn er als Kardinal dann formulierte: „Wir sind oft damit beschäftigt, die Lehre, die Art und Weise, wie wir unseren Glauben leben sollen, zu lehren, aber wir laufen Gefahr zu vergessen, daß unsere erste Aufgabe darin besteht, zu lehren, was es bedeutet, Jesus Christus zu kennen und Zeugnis von unserer Nähe zum Herrn zu geben. Das steht an erster Stelle: die Schönheit des Glaubens zu vermitteln, die Schönheit und Freude, Jesus zu kennen. Das bedeutet, daß wir es selbst leben und diese Erfahrung teilen.“
Als Kardinal Prevost machte er, der nun als Papst genau dafür verantwortlich ist, sich sorgenvolle Gedanken über die Einheit der Kirche: „Jesus hat beim letzten Abendmahl darum gebetet, ,daß alle eins seien‘, und diese Einheit wünschen wir uns für die Kirche. Heute entfernen uns die Gesellschaft und die Kultur von dieser Vision Jesu, und das richtet viel Schaden an. Der Mangel an Einheit ist eine Wunde, an der die Kirche leidet – eine sehr schmerzhafte Wunde. Spaltungen und Polemik in der Kirche sind nicht hilfreich. Gerade wir Bischöfe müssen diese Bewegung zur Einheit, zur Gemeinschaft in der Kirche beschleunigen.“ Missionar, Bewahrer der Einheit, einladender Zeuge des Glaubens, aktiver Mitarbeiter und Bekenner der Wahrheit – Leo XIV. weiß um die Größe und Vielfalt seines obersten Amtes und geht mit sichtbar erkennendem Gottvertrauen in sein Pontifikat.
Der Versöhner
Sein Namensvorgänger Leo XIII. fügte einst dem Ritus der Heiligen Messe das Gebet zum kampfbereiten Erzengel Michael hinzu, wo dieser gebeten wird, „uns im Kampfe gegen die Bosheiten und Nachstellungen des Teufels“ zu beschirmen und „den Satan und die anderen bösen Geister, die zum Verderben der Seelen in der Welt umherwandern, als „Fürst der himmlischen Heerscharen“ hinabzustürzen „in die Hölle“. Leo XIII. gilt auch als der Rosenkranzpapst.
Beides weiß und kennt auch Leo XIV., der wie Johannes Paul II. politisch denken kann, aber als Theologe und Seelsorger nicht als Politiker zu handeln und reden gedenkt. Leo heißt übersetzt Löwe. Sein Namensträger, der die Lizenz zum Versöhnen ebenso hat wie zum freundlichen und entschiedenen Kampf, könnte zu einem missionarischen Löwen werden, der im Vertrauen auf Maria, die „Königin des Rosenkranzes“, Wölfe zurückweist und seine ihm anvertraute Herde verteidigt und im Bekenntnis stärkt. Das ist auch seine Aufgabe.
Dr. h.c. Martin Lohmann ist Vatikanexperte, Theologe, Historiker und Medienethiker. Der Publizist und Buchautor moderierte unter anderem die „Münchner Runde“ im Bayerischen Fernsehen und war Chefredakteur der Rhein-Zeitung. Er kannte die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sehr gut und war mit ihnen vertraut.