BERLIN. Ambulante Pflegedienste mißachten regelmäßig Patientenverfügungen. Dies ergaben Recherchen des ARD-Magazins Monitor und eine Umfrage des Palliativmediziners Matthias Thöns. Bei Stichproben mit versteckter Kamera zeigten fünf von sechs angefragten ambulanten Pflegediensten Interesse, einen unheilbaren Patienten aufzunehmen und zu beatmen, obwohl ihnen bekannt war, daß eine Patientenverfügung vorlag, die dies unmißverständlich ausschloß.
Der fiktive, aber realistische Fall simulierte einen kranken Mann, der nach einem Unfall im Wachkoma liegt. Lebensverlängernde Maßnahmen hatte er mit einer rechtskonformen Patientenverfügung ausgeschlossen. Journalisten von Monitor stellten sich als angebliche Angehörige vor und baten darum, den Mann dennoch in Pflege zu nehmen und künstlich weiter zu beatmen.
Umfrage kommt zu gleichem Ergebnis
Vier Anbieter rieten dazu, die Patientenverfügung durch Angehörige nachträglich zu ändern oder unter den Tisch fallen zu lassen. Juristen sehen darin Anstiftungen zur Urkundenfälschung beziehungsweise Urkundenunterdrückung.
Zum gleichen Ergebnis wie der Fernsehbeitrag kommt auch eine bundesweite Testumfrage des Palliativmediziners Matthias Thöns unter ambulanten Pflegediensten. Von 155 Einrichtungen, die auf seine schriftliche Anfrage geantwortet hatten, erklärten sich 140 bereit, einen unheilbar kranken Patienten gegen seinen per Patientenverfügung dokumentierten Willen künstlich am Leben zu erhalten. Dies entspricht einer Quote von 90 Prozent.
Falsche gesundheitspolitische Anreize
Gesundheitsexperten und Politiker kritisieren in diesem Zusammenhang Fehlanreize im Gesundheitssystem. „Gerade Beatmungspatienten sind hochlukrative Patienten“, sagte Thomas Sitte, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Palliativstiftung. Während für einen stationären Pflegepatienten etwa 6000 Euro im Monat gezahlt werden müssen, kostet ein ambulanter Patient in einer sogenannten „Beatmungs-WG“ durchschnittlich 20.000 Euro pro Monat, die überwiegend von den Krankenkassen übernommen werden.
„Wir haben damals nicht bedacht, daß es so einen starken Sog auf die Patienten ausüben würde. Jetzt beobachten wir in kurzer Zeit eine enorme Zunahme der Kosten durch die ambulante Versorgung in Beatmungs-WGs bei gleichzeitiger Verschlechterung der Betreuungsqualität. Das müssen wir dringend ändern“, kritisierte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.
„Eine Änderung der Leistungen ist derzeit nicht geplant“, erklärte dagegen das Bundesgesundheitsministerium gegenüber Monitor. Schätzungsweise 15.000 Menschen in Deutschland werden ambulant invasiv beatmet. Jedes Jahr kommen etwa zehn bis zwanzig Prozent hinzu. (gb)