Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer für die Menschheit: Neil Armstrong sprach seinerzeit von man, was sich mit „Mann“ wie mit „Mensch“ übersetzen läßt. Die Worte Armstrongs bei der Mondlandung lassen sich passabel auf eine andere weltumwälzende Errungenschaft übertragen. Vor fünfzig Jahren hat man die Anti-Baby-Pille auf den Markt gebracht: ein Verhütungsmittel, das die von da an so genannten „Reproduktionsverhältnisse“ gründlich durcheinanderbringen sollte. 1960 hat die Geschlechterdebatte Anlauf genommen, sich forthin warmgelaufen, heute dreht das Räderwerk heiß.
Gleichberechtigung ist mittlerweile ein beinahe verzopftes Wort, Gleichstellung lautet die Devise und letztlich Gender Mainstreaming (GM) die Zielstellung. Das heißt nicht weniger als die Aufhebung des herkömmlichen binären Geschlechtersystems mit zwei Exponenten: Mann und Frau. Daß Frauen Mathematikprofessuren innehaben und Männer als Krankenpfleger reüssieren können, ist dabei fast ein alter Hut. GM ersetzt die alten Frauenfördermaßnahmen keinesfalls, sondern erweitert sie beträchtlich. Als Dorn im Auge empfinden heutige Entscheider die sogenannte Heteronormativität selbst westlicher, aufgeklärter Gesellschaften.
Heteronormativität ist ein negativer Kampfbegriff: Beanstandet wird von den Mainstreamern, daß in diesem als Ordnungssystem mit der klassischen Familie als Angelpunkt mangelnde Akzeptanz herrsche für andere Formen sexuellen Verhaltens: für Homo- und Bisexuelle, für Polyamory (nicht-monogam lebende Menschen) und – unter vielem anderen – für sogenannte Transgender, Menschen mit unklarer sexueller Identität. Es geht dabei um mehr als um „Toleranz“ gegenüber solcherlei Veranlagungen, sondern um PR-mäßige Maßnahmen, mit denen diese „erweiterten geschlechtlichen Identitätskonzepte“ von Kindergarten und Schule an als Normalität eingepflanzt werden sollen.
Geschlechtsspezifisch aufbereitet
Da seit nun fünfzig Jahren Sexualität und Fortpflanzung leichterhand voneinander zu trennen sind, gilt es, auch obrigkeitshalber Nägel mit Köpfen zu machen. Bereits 1999 hatte das Kabinett die Strategie des GM zum durchgängigen Leitprinzip, zur „Querschnittsaufgabe“ der Bundesregierung beschlossen, etwa zeitgleich mit der EU. Die Handlungsfelder, die sich damit auftun, sind unermeßlich – auch in finanzieller Hinsicht. Allein zwischen 2000 und 2006 ließ sich Deutschland die „Implementierung“ des GM über eine Milliarde (!) Euro kosten – und gibt damit den europäischen Klassenstreber.
Die meisten Bundesländer haben die Übersicht über die weitverzweigten Gender-Maßnahmen verloren und können die Ausgaben kaum beziffern. Gender Mainstreaming soll überall greifen: in Belangen der Ernährung, der Landwirtschaft, der Reaktorsicherheit, der Verkehrspolitik und des Städtebaus. 50.000 Euro wurden in NRW für die wissenschaftliche Begleitung eines Projekts ausgegeben, das die geschlechtsspezifischen Unterschiede von Waldbesuchern untersuchen sollte. Mann und Frau hätten unterschiedliche Auffassungen vom Ökosystem Wald – „wer geschlechtsblind ist, trägt unter Umständen zur Verschärfung ökologischer Probleme bei“. >>
In Sachsen verweist nun Die Linke in erneutem Anlauf – ein entsprechender Antrag wurde wortgleich 2000 gestellt – auf das „mustergültige“ Gender-Institut im finanziell klammen Sachsen-Anhalt und beantragte Ende 2009 wiederholt die Errichtung eines „Gender-Kompentenzzentrums“. Eine ähnliche, kostenintensive Bündelungsinstanz gibt es dabei bereits an der TU Dresden, es gibt ein kleines „Kompetenzzentrum“ bei Leipzig und zahllose mit öffentlichen Geldern finanzierten entsprechenden „Maßnahmen“, zudem werden längst alle Berichte aus den Kinder-, Jugend- und Seniorenressorts geschlechtsspezifisch aufbereitet.
Geburtenquote stagniert
Die Beschäftigungsindustrie für Gender Mainstreamer korreliert mit den gesellschaftspolitischen Implikationen: Diesen Februar stellte das EU-Parlament seinen gegenderten Jahresbericht zur Gleichstellung von Männern und Frauen vor. Unter zahlreichen anderen Forderungen an die Mitgliedsstaaten (etwa nach Kampagnen, um Frauen gezielt für „Berufskarrieren im Ingenieurswesen“ zu werben und wie Norwegen eine Frauenquote von 40 Prozent in privaten Firmenvorständen vorzuschreiben) betonte das Parlament, daß „die Kontrolle über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte stets bei den Frauen verbleiben“ müsse, insbesondere durch einen „ungehinderten Zugang zu Verhütung und Abtreibung“. Dieser Paragraph – als habe die Sorge der Abgeordneten nicht vielmehr den Zighunderttausenden jährlich abgetriebenen Kindern zu gelten – wurde mit 361 Stimmen bei 237 Gegenstimmen und 40 Enthaltungen angenommen.
Optimisten pflegen angesichts dieser Maßnahmenflut einzuwenden, daß alle Bastelanweisungen für einen neuen Menschen einer Tausende Jahre währenden „Heteronormativität“ unterm Strich wenig anhaben könne, weil sich anthropologische Grundsätze wie die des Geschlechterdualismus nicht durch Vorgaben aus dem Labor von Sozialingenieuren überlisten lassen. Doch wehe! Die Fakten – wobei es zur sexuellen Praxis und Orientierung naturgemäß nur statistische Annäherungen geben kann – sprechen eine andere Sprache: Die Geburtenquote stagniert und geht in absoluten Zahlen Jahr für Jahr zurück.
Anfang Februar teilte das Statistische Bundesamt mit, daß 25 Prozent der Jugendlichen 2008 bei Alleinerziehenden bzw. in „Lebensgemeinschaften“ aufwuchsen. 1996 waren es noch 17 Prozent – übrigens zählte Deutschland damals rund 200.000 Jugendliche mehr als heute. Die Zahl der von Alleinerziehenden betreuten Jugendlichen wuchs in diesem Zeitraum um 37 Prozent, die der in „Lebensgemeinschaften“ aufwachsenden gar um 56 Prozent. Wer von den „neuen Familienformen“ als Alternative spricht, verschließt die Augen vor der Realität. Die Armuts- und Sozialberichte sprechen, gemessen an diesen Kategorien, eine deutliche Sprache.
JF 9/10
> Dossier zum Thema Gender Mainstreaming