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Geistiges Oberhaupt der Tibeter: Vom bewegten Leben des vielleicht letzten Dalai Lama

Geistiges Oberhaupt der Tibeter: Vom bewegten Leben des vielleicht letzten Dalai Lama

Geistiges Oberhaupt der Tibeter: Vom bewegten Leben des vielleicht letzten Dalai Lama

Das Bild zeigt den Dalai Lama.
Das Bild zeigt den Dalai Lama.
Der Dalai Lama bei einer Veranstaltung an seinem 90. Geburtstag: Die Zukunft des tibetischen Buddhismus ist ungewiß. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ashwini Bhatia
Geistiges Oberhaupt der Tibeter
 

Vom bewegten Leben des vielleicht letzten Dalai Lama

Der Dalai Lama gilt seit Jahrzehnten als Symbol für friedlichen Widerstand und das Streben nach einem freien Tibet. Doch es ist unklar, wie es nach dem Tod des 90jährigen mit Tibet weitergehen soll.
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Daß Gott in menschlicher Gestalt auf Erden wandelt, ist nach dem abendländischen Verständnis ein so unerhörtes und einmaliges Ereignis, daß die Geburt des Gottessohnes im Stall von Bethlehem und die damit verbundene „Frohe Botschaft“ für das Christentum zur Achse der Weltgeschichte wurde. In Tibet gehört die Anwesenheit der Götter dagegen zum Alltag. „Eine Kultur, in der die Götter immer noch auf Erden wandeln“, nannte die französische Orientalistin Alexandra David-Néel den tibetischen Buddhismus.

Dieser dem westlichen Verständnis befremdliche Glaube beruht auf dem Mahayana-Buddhismus, nach dessen Lehre gute Wesenheiten am Ende unzähliger Wiedergeburten auf ihr Verlöschen im Nirwana verzichten, um als „Bodhissatvas“, als mitleidende Geister, den Menschen in ihrem irdischen Jammertal zur Seite zu stehen. Tibet hat dieser aus Indien stammenden Religion bereits im 13. Jahrhundert die sogenannte „Tulku“-Lehre hinzugefügt, nach der diese guten Geister nicht nur aus dem Jenseits wirken, sondern sich als „Tulkus“ in lebenden Menschen reinkarnieren.

Der Bodhissatva Avalokiteshvara, Manjushri, Maitreya und wie die unzähligen Namen des tibetischen Pantheons auch lauten mögen – immer wieder steigen sie in Menschengestalt auf die Erde herab, reinkarnieren sich in sogenannten „Himmelskindern“, die gefunden und sorgfältig erzogen werden müssen, ehe sie zu amtierenden Klosteräbten oder Schulhäuptern werden können.

Nicht mit dem Papst vergleichbar

Wie aber läßt sich ein solches Himmelskind identifizieren? Während die heiligen drei Könige durch den Stern von Bethlehem sicher zur Krippe geleitet wurden, sind die Mitglieder der geistlichen Suchkommissionen auf Orakel, Träume oder Hinweise des Verstorbenen angewiesen. Beginnt sich die Suche auf einige Kinder zu konzentrieren, werden ihnen sakrale Geräte, Rosenkränze oder Privateigentum des Verstorbenen vorgelegt, die sie unter anderen, zum Teil kostbareren Gegenständen, sicher herauszufinden haben.

Was immer man auch von dieser Glaubenslehre halten mag, soziologisch und konzeptionell löst die Tulku-Lehre auf perfekte Weise ein Grundproblem, mit dem sich alle großen Weltreligionen herumschlagen. Denn das Leben des Religionsgründers, des Gottessohnes, der Apostel oder des Propheten ist endlich – zurück bleiben einfache Nachfolger, die als Päpste, Bischöfe oder Mullahs ihre religiösen Funktionen immer nur mit abgeleiteter Autorität ausüben. Papst Leo XIV. ist eben nicht mit Jesus Christus identisch, sondern nur der 267. Nachfolger seines irdischen Stellvertreters Petrus, während der Tibeter im Angesicht des Dalai Lama dem Bodhissatva Avalokiteshvara, dem höchsten Schutzpatron Tibets, in menschlicher Gestalt gegenübersteht.

Eine Kommission entdeckt das Himmelskind

Daß sich der tibetische Buddhismus zur Dalai- Lama-Theokratie entwickeln würde, war allerdings mit der  Entstehung der Tulku-Lehre noch keineswegs ausgemacht. Im Gegenteil: Als die ersten Europäer zu Beginn der Neuzeit das Hochland von Tibet erreichten, fanden sie die Angehörigen der buddhistischen Sekten in heftige Machtkämpfe verwickelt. Aus diesen Machtkämpfen ging die Gelugpa, die Gelbmützenschule unter der Führung des 5. Dalai Lama (1617–1682), als Sieger hervor. Der gewaltige Palast des Potala in Lhasa  entstand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Symbol einer geistlichen Theokratie mit dem Dalai Lama an der Spitze.

In diesem kulturellen Kontext wurde der kleine Tenzin Gyatso am 6. Juli 1935 – knapp zwei Jahre nach dem Tod des 13. Dalai Lama – als eines von 16 Kindern einer Bauernfamilie in einem abgelegenen Tal Nordtibets geboren. Kurz  darauf wurde er von einer offiziellen Findungskommisson als neues Himmelskind identifiziert und in den Potala nach Lhasa gebracht. Hier begegnete er 1948 als gottgleicher Knabe dem österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer, den es auf seiner Flucht aus einem britischen Gefangenenlager in Indien auf das Dach der Welt verschlagen hatte. Jean-Jacques Annauds Film „Sieben Jahre in Tibet“ hat dieser besonderen Freundschaft ein Denkmal gesetzt.

Im Jahre 1950, als der jugendliche Dalai Lama im Alter von 15 Jahren die weltliche und geistliche Macht übernahm, überschritten die Truppen der chinesischen Armee die Grenzen Tibets. Unter dem Druck nackter Gewalt unterzeichnete der Dalai Lama  ein „17-Punkte-Abkommen“, nach dem Tibet seine innere Autonomie behalten und nur in außenpolitischer Hinsicht von China vertreten werden sollte. Weil die Chinesen dieses Abkommen bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Füßen traten, brach im Jahre 1959 ein Volksaufstand in Lhasa aus, in dessen Verlauf der Dalai Lama nach Indien floh, wo er in dem Ort Dharamsala am Rand des Himalayas Exil erhielt.

Der Dalai Lama repräsentiert das freie Tibet

Über Tibet aber brach die Hölle herein. Nahezu sämtliche Klöster Tibets wurden zerstört oder geschändet, über neunzig Prozent der Mönche entlassen oder inhaftiert. Alte tibetische Viertel in Lhasa, Shigatse oder Tsetang wurden dem Erdboden gleichgemacht und durch Betonstraßen im chinesischen Stil ersetzt. Kollektivierungen und Planwirtschaft führten zu Produktionsrückgängen und zu bis dahin unbekannten Hungersnöten unter der ländlichen Bevölkerung. Zwar hat das nachmaoistische China von den schlimmsten Exzessen Abstand genommen, aber der flächendeckende Ausbau der Infrastruktur – unter anderem eine neue Eisenbahnverbindung nach Lhasa – hat Tibet unlösbar in den chinesischen Staatsverband integriert.

Demgegenüber repräsentiert der exilierte Dalai Lama seit über sechzig Jahren die Freiheit Tibets. Längst hat er seine politische Macht an eine Exilregierung und ein Exilparlament abgegeben. Als spiritueller Führer Tibets fordert er von China nicht mehr als das ethnokulturelle Minimum: die Selbstverwaltung und Autonomie Tibets in einem föderalen China. Obwohl ihn die chinesische Regierung dafür mit Bann und Einreiseverbot belegte, hat das seiner internationalen Präsenz nicht geschadet. Daß er 1989, dem Jahr des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, den Friedensnobelpreis erhielt, wurde weltweit als Ohrfeige für China verstanden.

„Deutschland kann kein arabisches Land werden“

Seitdem hat sich der Dalai Lama international zu einer moralischen Autorität entwickelt, deren Äußerungen weltweit Beachtung finden. Aufgrund der Erfahrung seines eigenen Volkes warnte er in verschiedenen Interviews vor Massenüberfremdung und Bevölkerungsaustausch in Europa. „Deutschland kann kein arabisches Land werden, Deutschland ist Deutschland“, sagte er 2016 angesichts der muslimischen Massenmigration und empfahl, den Flüchtlingen wohl zu helfen, sie aber am Ende in ihre Heimat zurückzuschicken.

Daß die Chinesen jedoch wieder aus Tibet zurückgeschickt werden, ist nicht zu erwarten. Inzwischen sollen über eine Million Chinesen in Tibet leben, in den tibetischen Städten Lhasa, Shigatse und Tsetang bilden sie bereits die Mehrheit, und immer ungenierter greift die Regierung in die inneren Angelegenheiten des tibetischen Buddhismus ein. Eine nicht genehme Reinkarnation des 11. Panschen Lamas, der zweithöchsten Autorität im tibetischen Buddhismus, verschwand bereits 1995 auf Nimmerwiedersehen zugunsten der Identifikation eines „Himmelskindes“, dessen Eltern Kommunisten waren.

Wenn Gewaltlosigkeit bestraft wird

Das läßt für die weitere Entwicklung nichts Gutes erwarten. Am 6. Juli 2025 feiert der Dalai Lama seinen 90. Geburtstag, und obwohl er so humorvoll und rüstig wie immer daherkommt, ist in nicht allzu ferner Zukunft mit seinem Ableben zu rechnen. Weil eine chinesisch manipulierte Auswahl eines neuen Dalai Lamas das Ende der tibetischen Kultur bedeuten würde, hat der Dalai Lama bereits verkündet, daß seine nächste Wiedergeburt nur in einem freien Land gefunden werden könne. Vielleicht, so Tenzin Gyatso bei einer anderen Gelegenheit, sei er auch der letzte Dalai Lama.

Diese Aussage wirft ein bezeichnetes Licht auf die Hoffnungslosigkeit der Situation. Während das Schicksal der Palästinenser in der Öffentlichkeit präsent bleibt, ist das Tibet-Problem angesichts der Gewaltlosigkeit der Tibeter von der Tagesordnung der Weltpolitik verschwunden. Vor der Zeitlosigkeit der buddhistischen Lehre mag dies unwichtig erscheinen, für den Dalai Lama, der zeitlebens eine Politik der Gewaltlosigkeit vertat, ist es eine Tragödie.

Aus der JF-Ausgabe 28/25.

Der Dalai Lama bei einer Veranstaltung an seinem 90. Geburtstag: Die Zukunft des tibetischen Buddhismus ist ungewiß. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ashwini Bhatia
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