BERLIN. Zwei ehemalige Jurorinnen des renommierten Internationalen Literaturpreis Berlin haben in einem Zeitungsartikel anti-weißen Rassismus bei der vergangenen Preisverleihung beklagt. „Es ging um Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, um Politik und nicht um Literatur“, schreiben Juliane Liebert und Ronya Othmann in einem Beitrag für Die Zeit. Beide gehörten im vergangenen Jahr zur siebenköpfigen Jury des Preises.
Konkret berichten die beiden ehemaligen Preisrichterinnen von mehreren rassistischen und sexistischen Äußerungen und Entscheidungen innerhalb der Jury. So sei Liebert von einer anderen Jurorin mit den Worten „Du als weiße Frau hast hier eh nichts zu sagen!“ beleidigt worden. Bei der Wahl der Shortlist hätte sich die Mehrzahl der Jurymitglieder gegen die Autoren Mariette Navarro und Peter Nadas ausgesprochen, weil Navarro eine „weiße Französin“ ist und Nadas ein „weißer Mann und privilegierter weißer Autor“. Die literarische Qualität habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt. Vielmehr soll ein Juror betont haben: „Sorry, ich liebe Literatur, aber Politik ist wichtiger.“
Rassismus auch bei Wahl des Preisträgers
Auch der Sieger Mohamed Mbougar Sarr habe den Preis aus rassistischen Gründen erhalten. Sein Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ sei zwar aus literarischer Sicht ein verdienter Gewinner, schreiben Liebert und Othmann. Die Jury habe sich jedoch primär für Sarr entschieden, weil er schwarz ist und obwohl seine beiden Übersetzer weiß sind. Weiße Menschen könnten generell keine schwarzen Autoren übersetzen, habe es innerhalb der Jury geheißen, die Sarr am Ende trotz dieser vermeintlichen Bedenken zum Preisträger kürte.
Vergeben wird die mit 35.000 Euro dotierte Auszeichnung vom Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der Stiftung Elementarteilchen. Laut Liebert und Othmann nahmen mehrere HKW-Mitarbeiter an der Sitzung zur Wahl der Shortlist teil und moderierten diese sogar. Zudem hätten sie ihre Kritik auch gegenüber der HKW-Spitze um Intendant Bonaventure Soh Bejeng Ndikung vorgebracht, berichten die beiden ehemaligen Jurorinnen. Anders als die Mehrzahl ihrer damaligen Kollegen wurden sie in diesem Jahr nicht wieder in die Jury berufen.