Indien, 1947. Es ist eine unruhige Zeit, in der die zehnjährige Mary Lennox (Dixie Egerickx) ihre Eltern verliert. Plötzlich ist das Mädchen allein in dem vornehmen Kolonialherrenhaus, in dem sie aufgewachsen ist. Visuell macht Regisseur Marc Munden Anleihen bei Steven Spielbergs „Das Reich der Sonne“ (1987), in dem ein Junge dasselbe durchmacht.
Bei Spielberg geht die Geschichte an dem exotischen Schauplatz weiter; der Roman von Frances H. Burnett führt seine Heldin dagegen zurück in ihre englische Heimat: Ein Onkel (Colin Firth) hat sich bereiterklärt, die Minderjährige bei sich aufzunehmen. Doch Seltsames tut sich auf dem Aristokraten-Anwesen Misselthwaite und in den weitläufigen Räumen des Landhauses: Es gibt neben der Haushälterin Mrs. Medlock (Julie Walters) noch einen weiteren Mitbewohner, den gelähmten Colin, Marys Vetter.
Garten voller bezaubernder Pflanzen
Den aber darf das Mädchen gar nicht sehen. Er wird von seinem Vater seit dem Tod der Mutter abgeschirmt und unter Verschluß gehalten wie ein gefährdetes Wildtier. So bleibt Mary als Freund nur ein verwilderter Hund, dessen Vertrauen sie gewinnt, indem sie sich von ihm buchstäblich die Wurst vom Brot nehmen läßt. Ihr neuer Spielkamerad führt sie zu seinem Zuhause, einem Garten voller bezaubernder exotischer Pflanzen.
Wie in Émile Zolas „Die Sünde des Abbé Mouret“ von 1875 handelt es sich dabei um eine verlassene und verwilderte Parkanlage. Doch anders als in dem naturalistischen Rougon-Macquart-Roman nimmt hier nicht eine Tragödie ihren Lauf, sondern eine seelische Läuterung, die schließlich auch die beiden anderen jugendlichen Hauptfiguren, Colin und Dickon, den Bruder des schwarzen Hausmädchens, erfassen wird. Die drei Kinder sind nämlich allesamt Voll- oder Halbwaisen, und unterschwellig geht es in dem Film um Freud‘sche Traumabewältigung.
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Nach dem Vorbild der ebenfalls britischen Produktion „Fremde Wesen“ (1997) wird dabei die Grenze zwischen Natürlichem und Übernatürlichem, Realismus und Märchenromantik maßvoll überschritten: Der Garten ist nicht nur geheimnisvoll; es geschieht auch Unerklärliches. Zauberei scheint im Spiel zu sein.
Regisseur Marc Munden inszeniert das jedoch mit so viel Zurückhaltung und Feingefühl, daß sicherlich nicht auf seine Kosten kommt, wer beim Erwerb der Kinokarte ein spezialeffektebeladenes Fantasy-Spektakel wie „Jim Knopf und die Wilde 13“ erwartet.
Der Fokus auf Figurenzeichnung und psychologischen Feinschliff sorgt dafür, daß die drei jugendlichen Hauptfiguren keine bloßen Schablonen für eine beliebige Fantasiegeschichte sind. Sie tragen die Handlung und führen sie zu einem logischen Schluß, den – schließlich also doch noch effektreiches Spektakel – eine vernichtende Katastrophe vorbereitet.
„Der geheime Garten“ basiert auf dem im englischen Sprachraum sehr bekannten gleichnamigen Jugendbuch von Frances Hodgson Burnett. Die Art und Weise, wie Marc Munden in seiner stimmungsvollen Romanverfilmung dessen jugendliche Protagonisten zur Entfaltung kommen läßt, wirkt zwangsläufig betulich auf Zuschauer, die auf turbulente Animationsfilme abonniert sind. Dafür ist die Chance, daß der gesamte Filminhalt einen Tag später nicht schon wieder aus dem Gedächtnis gelöscht ist, umso größer.