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Literatur aus der Diaspora

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Gero von Wilpert stammte aus Dorpat, der ältesten, um 1030 gegründeten Stadt des Baltikums und der zweitgrößten in Estland, die 1918 den estnischen Namen Tartu annahm. Während des Zweiten Weltkriegs war er mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Deutschland umgesiedelt worden und hatte in Heidelberg Literaturwissenschaft, Altphilologie und Philosophie studiert. Noch mitten im Studium, gerade 22 Jahre alt, erarbeitete er das „Sachwörterbuch der Literatur“ (1955), das bis 2001 in acht Auflagen erscheinen und zum Standardnachschlagewerk für Literaturstudenten werden sollte. Daß dieser „verläßliche Begleiter durch den Begriffsdschungel der Literaturwissenschaft“ heute weitgehend überholt ist, weil er der Terminologie der fünfziger Jahre verhaftet ist, steht auf einem anderen Blatt.

Mit dieser Leistung aber wurde Gero von Wilpert, ohne sein Studium abgeschlossen zu haben, 1957 Lektor beim angesehenen Alfred-Kröner-Verlag in Stuttgart und blieb dort bis 1972, als er nach Australien ging, wo er die Dissertation nachholen mußte, bevor er in Sydney Professor werden konnte. Daß er neben dem Sachwörterbuch auch eine „Schiller-Chronik“, ein „Goethe-Lexikon“ und ein „Deutsches Dichterlexikon“ veröffentlicht hat, sollte nicht vergessen werden.

In seiner 2005 erschienenen „Deutschbaltischen Literaturgeschichte“ wurde erstmalig in umfassender Weise die deutsche Literatur in der baltischen Diaspora Estlands und Lettlands von der Eroberung Livlands 1215/27 durch den Schwertbrüderorden bis in die Gegenwart beschrieben und bewertet. Je näher man beim Lesen an die Gegenwart herankommt, desto vertrauter werden einem die Namen der Autoren, die zur deutschen Literatur Unverzichtbares beigetragen haben und von denen man kaum wußte, daß sie dem Deutschtum des Baltikums entstammten: Eduard von Keyserling, dessen Romane „Wellen“, „Abendliche Häuser“ und „Fürstinnen“ heute wieder aufgelegt werden; Manfred Kyber, dessen „Tiergeschichten“ noch immer gelesen werden; Siegfried von Vegesack, dessen Romantrilogie „Baltische Tragödie“ 2004 noch einmal gedruckt wurde; Werner Bergengruen, dessen verschlüsselter Widerstandsroman „Der Großtyrann und das Gericht“ nach 1945 in Westdeutschland zum Kultbuch wurde; Edzard Schaper, dessen Romane heute, nach dem Untergang des Kommunismus, mit neuer Sensibilität gelesen werden, und viele weitere Namen mehr.

Auf sie alle aufmerksam gemacht zu haben, ist auch das Verdienst des am 24. Dezember 2009 im Alter von 76 Jahren in Sydney verstorbenen Literaturwissenschaftlers Gero von Wilpert.

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