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Flucht in den mentalen Panikraumv

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Flucht in den mentalen Panikraumv

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Der knapp verhinderte Axtmord am dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard, den ein islamistischer Somali am Neujahrstag versuchte, hat in den deutschen Medien wenig Echo ausgelöst. Von Lichterketten für die Meinungs- und Kunstfreiheit und für ein Leben ohne Angst war erst recht nichts zu sehen. Wer die Gründe dafür wissen will, der lese Botho Strauß’ Essay „Anschwellender Bocksgesang“, der vor fast genau siebzehn Jahren im Spiegel erschien.

Im ersten Satz bekundet Strauß seine Bewunderung für das Funktionieren und die Komplexität der „freien Gesellschaft“, um dann ihre – vielleicht tödliche – Systemkrise zu diagnostizieren. Zu den inneren Gefahren zählt er die Schrumpfung des westlichen „Menschen“ zum vermeintlich aufgeklärten, den Massenwohlstand voraussetzenden „Staatsbürger“, der ohne kulturelle und religiöse Fernerinnerung dahindämmert. Dem verkümmerten Verständnis von der Vergangenheit entspricht die reduzierte Vorstellung von den geschichtlichen Möglichkeiten. Es glaubt, durch Sozialtechnik den Ernstfall ein für allemal ausschließen zu können. Deshalb leistet er es sich auch, das „Eigene“, das heißt Eros, Soldatentum, Kirche, Autorität, Tradition, durch einen „immer rücksichtsloseren“ Liberalismus zugunsten der eigenen Bequemlichkeit zu verhöhnen und zu demontieren, was Strauß danach fragen läßt, woraus denn die „freie Gesellschaft“ im Konflikt mit dem „Fremden“ die Kraft zur Selbstbehauptung schöpfen wolle.

Einige Beispiele: In der Süddeutschen Zeitung sinnierte Feuilleton-Chef Adrian Kreye, was mehr zähle, „das Grundrecht auf Meinungsfreiheit“ oder „der Respekt für religiöse Gefühle“? Die Karikaturen Westergaards, die die Süddeutsche ihren Lesern allerdings vorenthält, seien ohnehin nur eine „plumpe Witzelei“ und „bewußte Provokation“. Ergo: Selber schuld!

Nach Leserprotesten sah Kreye sich am nächsten Tag wenigstens zu der Erklärung genötigt, er wolle damit „keineswegs die Angriffe auf die Meinungsfreiheit“ unterstützen. Dennoch bleibt seine Logik merkwürdig: Sollen wir die eigene Lebensweise nach dem Stirnrunzeln („den Gefühlen“) von Fanatikern ausrichten? Falls es um die religiösen Gefühle von Christen geht, ist auch die Süddeutsche nicht zimperlich, sondern pflanzt mutig die Standarte des Liberalismus. Falls aber für die Ausübung der Meinungsfreiheit tatsächlich das Qualitätskriterium entscheidend wird, müßte Kreye fürchten, daß allmorgendlich eine Axt an seine Badezimmertür hämmert!

Menschenrechte als Einfallstor des Westens

Noch einen Schritt weiter ging in der Südwestpresse ein Lokalredakteur namens Eugen Röttinger: „Westergaard wollte bewußt provozieren. Und er provoziert, fern jeder Verantwortung unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, munter weiter (…). Er ist mindestens so verblendet wie sein Attentäter. Deshalb sind beide gefährlich.“ Mindestens so verblendet! Röttinger hätte die Frage stellen können, was der Somali überhaupt in einem Land sucht, in dem er sich so unsäglich provoziert fühlt. Indem er andeutet, nicht der Beinahe-Mörder, sondern der Fast-Ermordete trüge die Schuld, signalisiert er möglichen Nachahmern, ihm selber, wenn die Verhältnisse kippen, doch bitte nichts zu tun, er stünde doch auf ihrer Seite. Die deutschen Journalisten haben – um ein Wort der Soziologin Necla Kelek aufzugreifen – vor dem Islamismus die Flucht in den „mentalen Panikraum“ angetreten.

Dort hat sich auch Claudius Seidl, Kulturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, eingefunden, der in einem langen Artikel „Unsere heiligen Krieger“ attackiert. Gemeint sind die türkischstämmigen Aktivistinnen Seyran Ates, Necla Kelek und der Publizist Henryk M. Broder. Seidl verrührt ein paar neckische Einfälle, Scheindialektik und Halbgares miteinander. Er warnt einerseits vor dem geistig-moralischen Kolonialismus des Westens und sieht andererseits die Gefahr, daß die „universalen Menschenrechte“ von besagten Kriegerinnen und Kriegern „zur Folklore des Abendlands“ herabgewürdigt werden. Die Forderung: „Wenn wir Kirchen und Synagogen in Mekka bauen dürfen, lassen wir euch Moscheen in Rom bauen“, sei schon deswegen unmöglich, „weil ‘wir’, nach vollzogener Einbürgerung, eben auch Muslime und Kopftuchträgerinnen sind“. In solchen Forderungen äußere sich „ein Rassismus, der sich seiner selbst nur nicht bewußt ist“.

Pech nur, daß Seidl die politische Situation total verfehlt. Längst ist der Menschenrechts-Kolonialismus eine entscheidende Schwäche des Westens – das Einfallstor nämlich, durch das auch der knapp verhinderte Westergaard-Mörder einmarschierte. Seidl schließt: „Ich mag Ihr Kopftuch nicht. Aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sich kleiden dürfen, wie Sie wollen!“ Seidl setzt gar nichts ein! Doch so kennen und lieben wir den zeitgenössischen bürgerlichen Journalismus: stets voll von Mut, der nichts kostet!

Um zu begreifen, was hier vorgeht, eignet sich ein eher beiläufiger Artikel, den der Zeit-Redakteur Thomas Assheuer am 17. Dezember 2009, also noch vor dem Westergaard-Anschlag, veröffentlichte. Der kluge, kenntnisreiche Habermasianer konstatierte anläßlich des Schweizer Minarett-Abstimmung einen „Hochmut der Vernunft“ in Europa. Das ist bemerkenswert, weil Ass­heuer zu den frühesten, schärfsten und anhaltenden Kritikern des „Bocksgesangs“ gehört. Unermüdlich spürt er antiaufklärerischen und antiliberalen Tendenzen nach, warnt vor atavistischen Kulturkampf- und rechten Gesellschaftstheorien. Plötzlich nimmt er den „Aufklärungsfundamentalismus“ auf Korn und findet am Fremden verständlich und akzeptabel, was er dem Eigenen nicht einmal in viel milderer Form zugestehen wollte.

Sprache als Herrschaftsinstrument

Was ist geschehen? Vor allem der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh. Das linksliberale Intellektuellenmilieu hat registriert, daß die physischen Voraussetzungen sich geändert haben und ihr ideologischer Überbau – zumindest in bisheriger Form – damit nicht mehr kompatibel ist. Es paßt sich den neuen Verhältnissen an und betreibt die Transformation seiner Herrschaftsrollen in einer veränderten Gesellschaft.

Es handelt sich um Ausläufer einer modernen Priesterherrschaft, die sich etwa ab 1970 in Medien, Bildungseinrichtungen, Gewerkschaften, Kirchen und schließlich im Staat etablierte. Ihre Vertreter sind vornehmlich Soziologen, Politologen, Psychologen, Friedensforscher, später kamen Armutsforscher sowie Multikulti- und Gender-Experten hinzu. Sie gerieren sich als Erben der Aufklärung, die permanent gegen „verkrustete Strukturen“ kämpfen, doch in Wahrheit sind sie selber als Heils- und Sinnvermittler tätig, die Herrschaft durch soziale Wertsetzung ausüben und eigene soziale Interessen damit verbinden. Ihr wichtigstes Herrschaftsinstrument war und ist die Sprache, die sich an Leitbegriffen wie „Revolution“, „Emanzipation“, „Befreiung vom Leistungsdruck“, „Gerechtigkeit“, „Systemüberwindung“ orientierte und ins Allgemeingültige erhoben wurde. Der Zusammenbruch des Ostblocks versetzte ihnen einen Schock, der durch den Rückgriff auf den Multikulturalismus und die Menschenrechtsideologie jedoch schnell überwunden wurde.

In der ideologischen Wahnwelt dieses Humanitarismus waren und sind grundlegende historische, anthropologische, kulturelle und politische Gesetze außer Kraft gesetzt. Bis heute gibt es keine Bereitschaft, eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen, zwischen Freund und Feind zu treffen. Der immense Reichtum der Bundesrepublik ermöglichte es lange Zeit, alles, was in dieser Kunstwelt nicht aufging, wenigstens ruhigzustellen. Doch nun schlagen die ignorierten Gesetze um so härter zurück, und die Axt pocht an die Haustür!

Der Karikaturist Kurt Westergaard, ein linker Querkopf, sieht sich von den eigenen Gesinnungsgenossen in Dänemark im Stich gelassen. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, wo bei den deutschen Meinungspriestern die Grenzen ihrer intellektuellen und moralischen Flexibilität liegen, sollte man einen Blick auf die totalitären Sündenfälle unter dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus werfen.

Foto: Dänischer Karikaturist Kurt Westergaard: Der linke Querkopf fühlt sich von den eigenen Gesinnungsgenossen im Stich gelassen

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