Wer schimpft, kann mehr ertragen. Das hatten sich einige Experimentatoren um die Londoner Fachzeitschrift Neuro-Report eigentlich ganz anders vorgestellt. Forscher um Richard Stephens von der Universität in Keele waren angetreten zu beweisen, daß Schimpfer und Randalierer am frühesten aufgeben, wenn es brenzlig wird. So forderten sie eine Reihe von Probanden auf, ihre Hände in eiskaltes Wasser zu tauchen und so lange darin auszuhalten, wie es irgend geht. Aber wer schließlich zuerst kapitulierte, das waren nicht Schimpfer und Sich-Beklager, sondern ausgerechnet jene, die bis dahin ihre Qual schweigsam absolviert hatten. Die Lauten waren letztlich „tapferer“.
Es gibt eine unheimliche Parallele zu diesem modernen Vorgang. Jean Bodin (1529–1596), der große französische Staatstheoretiker, der bei vielen Ketzer- und Hexenprozessen seiner Zeit als Gutachter beigezogen war, weiß zu berichten, daß unter der Folter zuerst diejenigen „gestanden“, die die Tortur bis dahin schweigsam hingenommen hatten. Bei denen, die laut heulten und unflätig schimpften, sobald die Daumenschrauben enger angezogen wurden, habe es bedeutend länger gedauert.
An sich kann einen das kaum überraschen. Schweigen konzentriert, Brüllen lenkt ab. Wer gleich beim Beginn einer „Prozedur“ seine Schmerzen ungezähmt aus sich hinausheult, kommt gar nicht mehr dazu, diese Schmerzen gewissermaßen einzeln zu empfinden, sie in jeder Phase extra und verstärkt wahrzunehmen. Der Schmerzensschrei am laufenden Band ist ein probates Mittel der lebendigen Kreatur, den Schmerz nicht gänzlich an sich herankommen zu lassen. Löwen brüllen am lautesten, wenn sie gequält werden.
Trotzdem lautet bekanntlich die Devise, die man schon als jugendlicher Pfadfinder lernt: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ Der wahrhaft Vornehme soll seine Schmerzempfindungen, in welcher Lage auch immer, schweigsam hinnehmen, so lautet der Verhaltenskodex bei sämtlichen Völkern und in allen Gesellschaften. Warum eigentlich? Viel wichtiger als jeder Kodex wäre die feste Vornahme, jeder Schmerzfalle möglichst auszuweichen, niemandem je künstlich Schmerzen zuzufügen, weiter fleißig schmerzlindernde Mittel zu entwickeln – und auf ebenso makabre wie überflüssige Experimente zu verzichten.