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Kaum etwas trennt die Staaten in West- und Osteuropa auch heute noch so stark voneinander wie die historische Erinnerung an das 20. Jahrhundert. An dieser Situation hat sich zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch zahlreicher kommunistischer Regime in Mittel- und Osteuropa wenig geändert. Das Geschichtsbild vieler westlicher Staaten, welches vorrangig auf NS-Verbrechen fixiert ist, hat sich in Osteuropa nicht durchgesetzt. Dagegen hat der Westen mit dem im Osten verbreiteten antitotalitären Ansatz weiterhin Schwierigkeiten. Eine rasche Annäherung zwischen diesen Sichtweisen gilt als schwierig, vielen sogar als unmöglich. Dies ist das zentrale Fazit des Geschichtsforums „20 Jahre 1989–2009 – Europa zwischen Teilung und Aufbruch“, welches Ende Mai in Berlin stattfand.

Der Einladung der Veranstalter des Forums, zu denen unter anderen die Bundeszentrale für politische Bildung, die Kulturstiftung des Bundes, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und das Institut für Zeitgeschichte zählten, waren über einhundert Institutionen und Initiativen aus Deutschland und Europa gefolgt.

Inhaltlich wurde besonderer Wert darauf gelegt, die europäische Sicht auf 1989 sowie die Vor- und Nachgeschichte dieses Epochenjahres gegenüber nationalen Sichtweisen in den Vordergrund zu rücken. Daher standen bei den über 200 Einzelveranstaltungen – die meisten davon Podiumsdiskussionen und Projekte in Arbeitsgruppen – nur zu einem kleinen Teil die historischen Ereignisse und Abläufe im einstigen kommunistischen Machtbereich im Mittelpunkt. Weit häufiger wurden die Entwicklungen in Deutschland und Europa seit 1989 erörtert.

Dabei legten gerade die Diskussionen über die postkommunistische Ära wesentliche Ursachen heutiger Differenzen schonungslos offen: Einen erheblichen Teil der politischen Klasse des Westens quält seit den 1990er Jahren die Sorge vor nationalistischen Tendenzen im Osten, die dort allerdings weniger als Gefahr denn als Element zur Wiederentdeckung der eigenen Identität betrachtet werden.

Umgekehrt gibt es in Osteuropa die Sorge, zur Übernahme des westlichen Geschichtsbildes genötigt zu werden. In vielen Reformstaaten beginnt erst jetzt die Phase, in der zahlreiche Menschen dazu bereit sind, frei über ihre persönlichen Erinnerungen zu reden. Gerade für sie hat daher auch das Motto des Forums „Wir müssen reden“ eine besondere Bedeutung.

Die unterschiedlichen Sichtweisen in West und Ost spiegeln sich auch in der Frage nach einer angemessenen Form der Visualisierung und Musealisierung der kommunistischen Diktaturen wider. So wies die Geschäftsführerin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anne Kaminsky, darauf hin, daß seit Beginn der neunziger Jahre in den ehemaligen Ostblockstaaten mehrere tausend Denkmäler errichtet wurden. Viele dieser Gedenkstätten, die an die Opfer des kommunistischen Systems erinnern, stießen bei westlichen Historikern und Politikern auf Unverständnis, weil sie häufig den Kampf gegen die kommunistische Diktatur als nationalen Abwehrkampf gegenüber der Sowjetunion darstellten, ohne die Verstrickungen des eigenen Volkes in die Strukturen des Systems zu thematisieren, so Kaminsky. Generell habe die westliche Geschichtsschreibung ein grundsätzliches Problem mit nationalen Opfermythen.

Eine wichtige Rolle spielte in mehreren Diskussionen zum Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit die „Schuldfrage“. Die Politikwissenschaftlerin Antonia Grunenberg vertrat die Ansicht, daß die Frage nach der Schuld die historische und politische Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts nicht fördere, sondern blockiere. Schon aus diesem Grunde sollten Schuldzuweisungen in Europa der Vergangenheit angehören. Ebenso unangebracht sei eine moralische Verurteilung der „Re-Nationalisierung des Ostens durch den Westen“.

Deutlich wurde bei zahlreichen Veranstaltungen auch, daß viele Irritationen und Mißverständnisse ihren Ursprung in der Unkenntnis über Geschichte und Gegenwart anderer europäischer Staaten haben. So wehrte sich die ungarische Germanistin Zsuzsa Breier gegen aktuelle Darstellungen in ausländischen Medien, welche die konservative Fidesz-Partei in einen Zusammenhang mit rechtsextremistischen Kräften stellen und als Gefahr für Europa bewerten. Ebenso nahm Breier gegen die im Westen verbreitete Auffassung Stellung, daß die Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag des ungarischen Volksaufstandes von 1956 vor allem von Rechtsextremisten geprägt worden seien.       

Letztlich jedoch konnte darüber ebensowenig ein Konsens erzielt werden wie über die Frage, ob es in Europa künftig ein gemeinsames Geschichtsbild geben werde. Während der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, Rainer Eckart, die Bedeutung eines solchen Konsenses als unverzichtbare „geistige Basis Europas“ herausstellte, verneinten der ungarische Historiker Krisztian Ung-vary und sein deutscher Kollege Jörg Baberowski diese Frage eindeutig. Europa müsse „aufhören, kulturelle Landschaften zu homogenisieren“, sondern der Vielfalt Raum geben. Ansonsten drohe eine Situation, in der sich die jeweiligen Minderheiten „in den Schmollwinkel zurückziehen“ oder versuchten, ihre eigene Sicht in aggressiver Weise zu Gehör zu bringen, so Baberowski.

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