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Pankraz, der Betriebsleiter und das Regietheater

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Pankraz, der Betriebsleiter und das Regietheater

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Cato, Palmer, Exklusiv

Manchmal, und gar nicht selten, sind die Vorspeisen das Beste an einem Dinner. So möglicherweise (die Spiele laufen noch) auch die Rede des Romanciers Daniel Kehlmann zur Eröffnung der diesjährigen Salzburger Festspiele. Es war eine wortmächtige Klage über die Sünden des sogenannten Regietheaters, im gleichen Takt eine bewegende Erinnerung an Kehlmanns Vater Michael, einen seinerzeit sehr geschätzten Theater- und Fernsehregisseur, der sich – im Gegensatz zu den heutigen Regiegrößen – stets „als Diener des Autors“ verstanden habe und deshalb Ruhm und Vorbildfunktion verdiene.

Das Echo auf Kehlmann in der Branche war groß, wenn auch ganz überwiegend negativ, ja höhnisch und haßerfüllt. Der Mann, hieß es maliziös, habe keine Ahnung, er gehe gar nicht ins Theater. Pankraz seinerseits fand die Rede ausgezeichnet, was vielleicht daran liegt, daß auch er kaum noch ins Theater geht. Das Hörensagen über diese oder jene regieliche Großtat genügt ihm meistens, um dem betreffenden Ereignis sorgsam aus dem Weg zu gehen. Gelegentliche Stichproben bestätigen sein Vorurteil. Die Realität ist in der Regel schlimmer, als selbst die enthusiastischste Jubelkritik in den Zeitungen befürchten ließ.

Trotzdem möchte Pankraz ein bängliches Fragezeichen hinter Kehlmanns Behauptung setzen, daß ein Regisseur, um gut zu sein, dem Autor zu „dienen“ habe und nichts als zu dienen. Zumindest theaterhistorisch stimmt das nicht, schon deshalb nicht, weil – von Aichylos über Molière bis Brecht – die großen Autoren von Haus aus stets ihr eigener Regisseur waren und sich also immer nur selbst dienten. Theater ist ja nicht nur Wort, sondern völlig gleichberechtigt auch Geste, Mimik, Bühnengeometrie, Bühnenbild, unmittelbare, schier magische, Verbindung mit dem Publikum. Kein Bühnenautor durfte das ignorieren, keiner wollte bloß Bücher schreiben.

In dieser Perspektive – und es ist die einzig wahre – wächst dem, den man heute Regisseur nennt, ein durchaus eigener Rang zu. Er ist nicht der Diener des Autors, sondern ein Teil von diesem selbst, eine Art Wider- und Doppelgänger, gewissermaßen der Unterleib des Autors, sein gefühliger und natürlicher Teil, wo nicht alles gleich zu Begriff und Metapher gerinnt. Und er ist, gerade wegen solcher Diffusheit und Offenheit, der „Meister des Augenblicks“, wie Pankraz sagen würde, eine notwendige Brücke zum Publikum, das sich ja von Aufführung zu Aufführung ändert.

Natürlich war das Auseinanderfallen von Autor und Spielmeister („Regisseur“) ein schwerer Verlust für das Theater, aber es war unvermeidbar. Einerseits galt es, besonders großartige, dem Fortriß der Zeit trotzende Texte über das Ableben ihrer Schöpfer hinauszutragen, sie zu exportieren und bühnenfähig zu halten, andererseits entwickelte sich das Theater spätestens seit dem Barock immer mehr zu einem komplexen und komplizierten „Betrieb“ mit vielfältiger Arbeitsteilung, in dem der Autor qua Textproduzent ein zwar (zunächst) noch wichtiges, aber doch nur ein Einzelrad war.

Aus schlichten Chormitgliedern wurden individuelle Schauspieler, deren Künste und Macken das Publikum bald mehr interessierten als der Text der gebotenen Stücke. Der allgemeine Zug zur Verbildlichung, zu pompösen oder originellen Bühnenbildern, Kostümen und zu drastischer, maskenfreier Mimik minderte die Stellung des Wortes ebenfalls. Die Seele des Autors zerriß darüber.

Die eine Hälfte zog sich zum Texteverfassen, zum „Dichten“, ins stille Kämmerlein zurück, die andere, eben der  Regisseur, versuchte mit fast allen Mitteln, die Fäden des Betriebs zusammenzuhalten und sie nicht in betriebsferne Hände gelangen zu lassen. Von einer Feindschaft oder auch nur Konkurrenz zwischen Dichter und Betriebsleiter (nichts anderes bedeutet das Wort „Regisseur“) konnte dennoch nie die Rede sein.

Gerade die größten Nur-Regisseure der Vor-Regietheaterzeit, ob Brahm oder Reinhardt, ob Jeßner oder Gründgens, begriffen sich als ausgesprochene Hüter von Texten, nie und nimmer als deren Verächter  und Totengräber. Das Unglück kam erst spät, nämlich mit der sogenannten „Kulturrevolution“ von 1968, und es richtete sich zunächst gerade gegen die Regisseure. Plötzlich wollten alle „mitbestimmen“, vom Statisten bis zur Toilettenfrau, vom kleinsten Beleuchtungsassistenten bis zum Eintrittskartenabreißer.

Mitbestimmungsverträge wurden „in demokratischer Abstimmung“ beschlossen, von deren Schwachsinnigkeit man sich heute kaum noch einen Begriff machen kann. Es folgte das programmierte Chaos, und dies verschaffte zunächst einigen wenigen herausragenden „progressiven“ Regisseuren die Gelegenheit, sich als Retter und „einzige Alternative“ bemerkbar zu machen; man denke an Wilfried Mincks, Peter Stein, den vorige Woche verstorbenen Peter Zadek. Heute sind diese Heroen längst eines Besseren belehrt, mutierten zu Hütern des Wortes und der hochkulturellen Nuance. Doch die Büchse der Pandora war geöffnet, und der Geistespöbel besetzte nun die Bretter, die die Welt bedeuten.

Wie schilderte in Salzburg Daniel Kehlmann die Misere? „Ständig Videowände und Spaghettiessen, ständig irgendwer mit irgendwas beschmiert, ständig Gezucke und hysterisches Geschrei.“ Man könnte beliebig viele, viel schlimmere Versatzstücke aus dem Standardrepertoire des Regietheaters zitieren, bis hin zum Pissetrinken aus WC-Becken in Schiller-Dramen. Das Verhackstücken von Klassikertexten steht längst nicht mehr im Zentrum, dient im Grunde nur noch dazu, öffentliche Geldgeber glauben zu machen, hier finde etwas irgendwie Wichtiges statt.

Im Grunde haben sich die Theaterregisseure mit der Einführung des „Regietheaters“ selbst ein Bein gestellt. Ihr Beruf ist ja nicht, dem Autor zu dienen, von dem sie im Idealfall selbst ein Teil sind, sondern sie sollen dem Theater als ganzem dienen, seine geistige Exzellenz und gesellschaftliche Bedeutsamkeit sichern. Just das haben sie verfehlt, Sie sind zu Feinden des Theaters geworden.

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