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Gefühl für Abgründe

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Als der Maler Albert Weisgerber am 1. Mai 1915 bei Fromelles in der Nähe von Ypern als Leutnant und Kompanieführer durch einen Kopfschuß fiel, war der sechs Jahre jüngere Max Beckmann nach eigenem Zeugnis „tief erschüttert“. Den derzeitigen Umbau des Albert-Weisgerber-Museums in der Geburtsstadt des Malers, dem saarländischen St. Ingbert, nimmt das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zum Anlaß für eine große Werkschau. Weisgerber fehlte das Avantgarde-Bewußtsein, er konnte sich nicht als Künder einer Kunsterneuerung sehen wie seine Kommilitonen Franz Marc und Wassily Kandinsky, die wie Paul Klee und Hans Purrmann gleichzeitig in der Malklasse Franz von Stucks studierten, und war als Künstler stets eher von Selbstzweifeln geplagt: So taugen Werk und Person nicht als Stützen für die Hypothese einer permanenten Moderne, den Fluchtpunkt aller neueren Kunstgeschichtsschreibung. Hätten ihn seine Freunde Purrmann und Theodor Heuss nicht so lange überlebt und gelegentlich an sein Werk erinnert, dann wäre er gewiß noch tiefer dem Vergessen anheimgefallen. So erging es anderen Generationsgenossen, die wie Weisgerber diszipliniert und behutsam die Erweiterung der bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten betrieben, ohne dabei das Ideal eines haltbaren Bildes aus dem Auge zu verlieren. Das war auch Paul Cézannes Anliegen seit Mitte der 1870er Jahre: die Erfahrung der eigenen Anschauung in gültige bildnerische Gefüge zu überführen. In Paris mußte Weisgerber die Gemälde Cézannes damals in Privatsammlungen und Kunsthandlungen studieren. Denn anders als im Deutschen Reich war der bedeutendste französische Maler in seiner Heimat noch nicht öffentlich museumswürdig. Der andere Einzelgänger, von dessen Werk sich Weisgerber tief beeindruckt zeigte, war Hans von Marees. Ab 1897 entstehen angewandte Grafiken, darunter auch Illustrationen für die Zeitschrift Jugend, deren Erscheinungsbild er mitprägt. Auch in diesem Broterwerb verleugnet sich der Schwung eines geborenen Malers nicht. Das Bild „Im Atelier“ (1906) zeigt den jungen Journalisten Theodor Heuss, wie ein ikonografisches Attribut eine Zeitung haltend, bei einem Besuch im Pariser Atelier. Während dieser Zeit, die äußerst produktiv war, plagten Weisgerber die Selbstzweifel besonders. Er schreibt an einen Freund: „Hier wird so eklich viel gefachsimpelt, und wenn das nicht, dann sind die Kerle stumpfsinnig daß sie stinken.“ Des Künstlers Gefühl für Abgründe offenbart eine Zeichnung der beleibten Künstlerfreunde des Café du Dome. Die protzigen Ringe eines dieser Malerfürsten geben der grauen Zeichnung einen farbigen Akzent. Auf dem Erdboden an der Ecke tändelt ein kostümierter Schimpanse mit einer Ratte: Glanz und Kläglichkeit der Künstlerexistenz. Sowenig ihm offenbar das Cliquenwesen liegt, ist er doch offen und gesellig. Mit großen Bierseideln in Händen drängen sich auf einem Foto von 1910 Purrmann, Weisgerber und Henri Matisse im Photomaton des Münchner Löwenbräukellers. Eine undatierte Haremszene ist linear anmutig hingezeichnet wie ein Blatt Picassos, aber ohne dessen virtuose Selbstgefälligkeit. Bald nach Weisgerbers Tod entschied sich die Neue Pinakothek München, eines seiner Hauptwerke „Absalom II“ (1914) zu erwerben. Bereits im Entstehungsjahr erregte das Werk Aufsehen in der ersten Ausstellung der Neuen Sezession unter der Präsidentschaft des Künstlers. Allerdings tauschte die Bayerische Staatsgemäldesammlung das ungestüme Bild gegen das konventionellere „Bildnis des Dichters Scharf“ (1905) wie Hans im Glück den lästigen Goldklumpen gegen das leichtfüßige Pferd. Der Verein der Kunstfreunde schenkte „Absalom II“ 1918 der Hamburger Kunsthalle, wo es immer mal wieder in der ständigen Ausstellung zu sehen war. Das Bild zeigt einen wohlbewaffneten Mann im Augenblick grotesk anmutender Wehrlosigkeit. Mit dem Haupthaar, dessen Fülle und Dichte widerborstige Manneskraft wie bei Simson ausdrückt, verfängt sich Absalom, der Sohn des Königs David, am Ast einer Eiche. Das Maultier prescht unter ihm hinweg in die Ferne. Was darauf folgt, zeigt das Bild nicht mehr und läßt den Betrachter im Rücken Absaloms mit seinen Gedanken allein. Bei Luther vernehmen wir es: „Da nam Joab drey spiesse jnn seine hand vnd sties sie Absalom jns hertz, da er noch lebt an der eichen. Vnd zehen knaben Joabs Waffentreger machten sich vmbher vnd schlugen jn zu tod.“ Folkloristisch und hochkünstlerisch, dekorativ eindringlich und voll unwillkürlicher Meisterschaft wie eine Melodie aus Rimski-Korsakows „Scheherazade“ tönt uns das Bild entgegen. Die Figur des Schwebenden wurde in der gewissenhaften Aktstudie eines Steigenden vorbereitet. Naturstudium und Imaginationskraft verbinden sich im Gemälde zu eindringlicher Schilderung. Was würde Max Beckmann für eine Bedeutung zugemessen werden, wenn sein Schaffen mit 37 Jahren, also 1921, abgerissen worden wäre. Bild: Albert Weisgeber, Absalom II (Öl auf Leinwand, 1914): Absalom (Abschalom) war der dritte unter den in Hebron geborenen Söhnen des Königs David, wie das zweite Buch Samuel in den Schriften des Alten Testaments ausführt. Aus der dor-tigen Beschreibung des Todes Absaloms wählte Weisgerber die Szene, die ihm „ein spannungsreiches Bewegungsmotiv lieferte“ (Museum Georg Schäfer). Die Ausstellung in Schweinfurt zeigt über 150 Exponate, darunter 74 Gemälde, 45 Arbeiten auf Papier, 14 Fotografien und zahlreiche Archivalien wie Briefe, Postkarten, Zeitschriften und Illustrationen. Die Ausstellung „Albert Weisgerber. Wege der Lebensfreude, Wege der Lebensklage“ ist noch bis zum 8. März im Schweinfurter Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Do. bis 21 Uhr zu sehen. Telefon: 0 97 21 / 51 92-0 Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

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