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Die Staatsaffäre

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Als die B.Z. neulich titelte „RAF-Terroristin in Berliner Villa verhaftet“, wird sich wohl so mancher Leser gedacht haben: ein Lebensabend in einer Villa in Zehlendorf, das paßt ja. Mehr als dreißig Jahre nach dem Trauma des „Deutschen Herbstes“ scheint alles Böse wenn nicht vergessen, so doch zumindest vergeben zu sein.

Bis auf Birgit Hogefeld, ein verspätetes Mitglied der sogenannten „Dritten Generation“ der RAF, sind sämtliche überlebenden Täter wieder wohlauf und auf freiem Fuß, obwohl das Urteil in allen einschlägigen Fällen auf „lebenslänglich“, häufig „zweifach lebenslänglich“ lautete. Selbst ein Mann wie Christian Klar, verurteilt sogar wegen neunfachen Mordes und elf Mordversuchen, konnte trotz ungebrochener Gesinnung und unverhohlen zur Schau gestellter Reuelosigkeit erfolgreich auf Gnade hoffen. Daß nach seiner Entlassung kokette Handreichungen von seiten der linken Kulturschickeria kamen, versteht sich von selbst.

So konnten auch viele andere Täter sich nach ihrer Entlassung der medialen Aufmerksamkeit sicher sein. „Danach folgte häufig der Sprung in die Talkshowsessel und auf die Interviewseiten der großen Gazetten“, kommentierte Stefan Scheil in seiner JF-Netzkolumne. „Dort konnten sie die eigenen Biographien in Dichtung und Wahrheit ausbreiten, Filme über sich kommentieren und gelegentlich in immer neuen Wendungen die früheren Genossen als Mittäter bei dieser oder jener Aktion bezeichnen. Juristische Folgen hatte das schon lange nicht mehr.“

Als ehemaliger RAF-Mörder kann man darauf zählen, daß die eigenen im Grunde guten Absichten honoriert werden und die Namen der Opfer größtenteils vergessen sind. Die Täter hingegen wurden zuletzt von der heuchlerischen Eichinger-Produktion „Der Baader-Meinhof-Komplex“ zu schalen Kinohelden stilisiert (JF 40/08). Regelmäßig werden aus Empörung über diese Schieflage Bundesverdienstkreuze zurückgegeben, unlängst etwa von Landshut-Pilot Jürgen Vietor oder der Witwe von Jürgen Ponto.

Immerhin zeichnet sich in jüngster Zeit ein Trend ab, der wieder die Opfer stärker ins Gedächtnis ruft. Als Antwort auf „Der Baader-Meinhof-Komplex“ folgte das packende TV-Drama „Mogadischu“. Der Kinofilm „Schattenwelt“ von Connie Walther handelte von einer jungen Frau, die seit ihrer Kindheit darauf wartet, daß der Terrorist, der ihren Vater ermordet hat, aus dem Gefängnis entlassen wird, um an ihm Rache zu üben.

Am 27. August 2009 war der Kinostart des nun auf Oktober verschobenen Dramas „Es kommt der Tag“ vorgesehen, in dem Iris Berben eine ehemalige Anhängerin der „Bewegung 2. Juni“ spielt, die nach Jahrzehnten von ihrer Tochter mit ihrer Schuld konfrontiert wird.

Ausgerechnet an diesem Tag holten die Geister der Vergangenheit auch die 57jährige Verena Becker wieder ein, als die Polizei kam, sie zu verhaften. Becker sitzt nun aufgrund neu aufgetauchter Indizien bezüglich der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback am 7. April 1977 in Untersuchungshaft. Buback und seine beiden Begleiter waren in Karlsruhe in ihrem Wagen von zwei Attentätern auf einem Motorrad erschossen worden. Zu dem Mord bekannte sich ein „Kommando Ulrike Meinhof“. Obwohl Verena Becker bereits einen Monat später mit der Tatwaffe verhaftet wurde, wurde sie lediglich wegen der Schießerei bei ihrer Festnahme zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Der Mord an Buback wurde Christian Klar und Knut Folkerts angelastet, letzterer 1980 dafür verurteilt.

Im Gefängnis nahm Becker im Frühjahr 1982 aus eigener Initiative Kontakt mit dem Verfassungsschutz auf und nannte nun den noch flüchtigen Christian Klar und den bereits verurteilten Stefan Wisniewski als Täter. Im November 1989 wurde sie begnadigt und entlassen. Den Verdacht, bei Bubacks Ermordung doch eine größere Rolle gespielt zu haben, wurde sie jedoch zu keinem Zeitpunkt los. Bereits 2007 äußerte Bubacks Sohn Michael, daß seinen Nachforschungen zufolge mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Frau geschossen hat.

Daß in der Geschichte des deutschen Linksterrorismus noch Dinge von ganz anderen Dimensionen der Revision bedürfen, hat sich auf überraschende Weise im Mai dieses Jahres gezeigt, als die SED-Mitgliedschaft von Karl-Heinz Kurras bekannt wurde (JF 23/09). Der Fall Verena Becker könnte nun noch wesentlich Unbequemeres ans Licht bringen.

Am 2. September zeigte die ARD den Dokumentarfilm „Bubacks Mörder“, der schon seit Monaten in Arbeit war und dessen Ausstrahlung nun aus aktuellem Anlaß hastig vorverlegt wurde. Darin äußert Michael Buback den Verdacht, daß Verena Becker bereits lange vor ihrer Verhaftung im Mai 1977 mit dem Verfassungsschutz in Verbindung stand. Buback hatte Kontakt zu zwei Tatzeugen des Mordes an seinem Vater aufgenommen, die sich sicher sind, eine Frau auf dem Rücksitz des Motorrades gesehen zu haben. Diese Aussagen seien von der Bundesanwaltschaft systematisch unterdrückt worden.

Bubacks schlagendstes Beweisstück ist ein Notizbuch, das Verena Becker nach ihrer Festnahme abgenommen wurde. Der ehemalige Bundesanwalt Joachim Lampe verneinte gegenüber dem Regisseur Egmont Koch zunächst, sich an das Buch zu erinnern, revidierte aber schließlich seine Aussage und erklärte, er habe es als Indiz für unerheblich erachtet. Für Winfried Ridder, einen ehemaligen Auswerter des Verfassungsschutzes, ist das allerdings schlicht „unvorstellbar“.

Damit nicht genug, in dem erhaltenen Kalenderbüchlein fehlt eine geraume Anzahl Seiten von Ende Februar bis zum 8. April 1977, dem Tag nach dem Buback-Mord. Michael Buback vermutet nun, daß die fehlenden Seiten nach der Festnahme Beckers vom BKA vernichtet wurden. Fand hier tatsächlich eine vorsätzliche Vertuschung statt? Oder handelte es sich hier bloß um Schlamperei und „Unzulänglichkeiten“ (Ridder) in der Ermittlung?

Sollte Buback recht haben, deutet das daraufhin, daß es auch in der Bundesrepublik zu Verschwörungen im italienischen Stil kam. Im vorliegenden Fall hätte der Staat immerhin den Mord an einem seiner Diener gedeckt, der eben auch in dieser Eigenschaft auf die Todesliste der Terroristen gelangt war. Wer sich noch an die bis heute ungeklärte Rolle des mysteriösen V-Mannes Peter Urbach erinnert, der vermutlich auch als Agent Provocateur tätig war und der frühen RAF Waffen und Sprengstoff geliefert hat, wird Verwicklungen auch des westdeutschen Staates in den Terror nicht für unmöglich halten. Sollten Michael Bubacks Vermutungen zutreffen, wird es nun an Verena Becker liegen, wieviel davon ans Tageslicht kommt.

Wie auch immer die Affäre ausgehen wird: Am Ende werden es doch wieder vor allem die Täter sein, auf die sich der faszinierte Blick der Medien heften wird.

Foto: Fahndungsfoto von Verena Becker in den 1970er Jahren, ermordeter Generalbundesanwalt Siegfried Buback: Unter Verdacht

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