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Marc Jongen, ESN Fraktion

Alptraum aus Beton

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Wie eine Axt spaltete die Berliner Mauer die deutsche Hauptstadt. Noch vor zwanzig Jahren sollte der häßliche Grenzwall ein High-Tech-Gewand erhalten. Aber schon jenes Monstrum, das die DDR seit dem 13. August 1961 errichtet hatte, war die einzige „deutsche Wertarbeit“, die das Regime vollbrachte. Mindestens 1.200 Flüchtlinge starben an der gesamten innerdeutschen Grenze; etwa 200 Personen verbluteten im Todesstreifen des geteilten Berlin. Edgar Wolfrum, Zeithistoriker der Universität Heidelberg, resümiert die Geschichte der Mauer, bietet Laien solide Informationen, aber schreibt wenig Spektakuläres, da er keine neuen Quellen auswertet. Im Mauerbau sieht Wolfrum die unvermeidbare Konsequenz des Kalten Krieges. Adenauer, der jede diplomatische Initiative vermied, die ganz Deutschland betraf, sei nicht zu tadeln. Die Stalin-Note von 1952, behauptet Wolfrum, ohne Beweise vorzulegen, habe bloß Verwirrung stiften sollen. Auch Wolfrum leugnet nicht, daß weder Adenauer noch der Westen ein neutrales Gesamtdeutschland akzeptierten, obwohl nur die Blockfreiheit eine Wiedervereinigung ermöglichte. Folgerichtig begrüßten Wa­shington und London den Mauerbau „erleichtert“, denn damit verschwand ein lästiger Krisenherd. Ihre Geheimdienste wußten bereits vor dem 13. August 1961, was Ulbricht und Chruschtschow planten. Besonders unrühmlich agierte Großbritannien. Schon damals lehnte Harold Macmillan einen deutschen Nationalstaat ab und wollte die DDR anerkennen. Kennedy wiederum signalisierte gen Osten, daß nur West-Berlin nicht anzutasten sei. Erst recht beäugte Adenauer mit dem Stoizismus des abgestumpften Greises die nationale Katastrophe. Hätte der Westen etwas unternehmen können? Wolfrum erörtert wirtschaftliche Sanktionen. Aber mußten nicht eher die Grundlagen der Adenauerschen Politik debattiert werden? Während des Mauerbaus organisierten DDR-Arbeiter dreißig punktuelle Streiks; es gab vereinzelte Tätlichkeiten gegen Volkspolizisten. Letztlich obsiegte beiderseits der Grenze Ohnmacht und Servilität gegenüber den Besatzern. Seit der Entspannungsära nahm Bonn die Teilung des Landes resigniert hin und machte die Mauer etwas durchlässiger. Sogar viele Westberliner störte das schändliche Bauwerk kaum noch. „Straftaten gegen die Mauer“ waren selbst hier verboten. Im Windschatten des Betons brutzelten Laubenpieper dicke Würste, mochten bisweilen auch MPI-Salven der Grenzsoldaten die Vögel aufschrecken. 1989 ging der Realitätsverlust der kommunistischen Tyrannen so weit, daß sie glaubten, die Mauer gegen Gorbatschow verteidigen zu müssen. Keinesfalls seien alle SED-Schergen „nur Marionetten gewesen, als die sie der Westen immer darstellte. Am Ende gerierten sie sich katholischer als der Papst.“ Weil Moskau nicht eingriff, war das Schicksal des Mauerstaats besiegelt. Einst hatte die Rote Armee das SED-Regime aus der Taufe gehoben – nun ließen die Sowjets ihre Satrapie ins Grab sinken. Edgar Wolfrum: Die Mauer. Geschichte einer Teilung, C.H. Beck, München 2009, gebunden, 192 Seiten, 16, 90 Euro

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