Er kannte sie alle: die Schönen und Reichen, die Intellektuellen und Kreativen. Denn das legendäre Pariser Revue-Theater „Lido“ war in den 1950er und 1960er Jahren das angesagteste Etablissement der Stadt — und er der Fotograf des Hauses. Am 26. August wurde Daniel Frasnay achtzig Jahre alt und deshalb jetzt mit einer großen, rund hundert Arbeiten umfassenden Retrospektive seines Werkes im Oldenburger Schloß geehrt. Dabei standen die Chancen für seine Karriere am Anfang alles andere als günstig: Frasnay kam als zweites von insgesamt sechs Kindern seiner dreimal verheirateten Mutter südlich der Seine-Metropole zur Welt, wuchs bei seiner Großmutter in einer Zigeuner-Familie auf und verließ schon mit zwölf die Schule. Während des Krieges schlug er sich dann mit kleinen Diebstählen und Schwarzmarktgeschäften durchs Leben. Als ihm 1944 deshalb die Einweisung in eine Erziehungsanstalt drohte, suchte er sich lieber eine Arbeit. Per Zufall landete der Junge als Laufbursche im Fotoatelier Roger Carlet, später dann als Laborant in den Fotostudios Harcourt sowie dem der Gebrüder Lipnitzski — beides erste Adressen, was Schauspieler-Porträts und die Dokumentation der Pariser Oper angeht. Bei den Lipnitzkis durfte er dann auch erstmals selber fotografieren und machte sich bereits drei Jahre später selbständig. Der Lido wurde dann bald sein wichtigster Auftraggeber und blieb es fast vierzig Jahre lang. Charakteristisch für viele von Frasnays Arbeiten in den Clubs ist die meist ungewöhnlich tiefe Perspektive. Denn weil er das Publikum während der Aufführungen nicht unnötig stören wollte, begab er sich oft auf die Knie und unter das Niveau der Tischkanten. So rückten die langen Beine der oft barbusigen Tänzerinnen in den Vordergrund und sein zwangsläufiger Blick unter die Tüllröckchen gefiel nicht nur dem Publikum. Denn die Abzüge verkaufte Frasnay auch hinter der Bühne an die Akteure. Andere seiner Arbeiten entstanden in den Garderoben, beim Schminken. Er beobachtete, wie aus eher unscheinbaren Menschen die glitzernden Sternchen der Nacht wurden. Dieser Schein faszinierte ihn, die Verschiebung der Realität zur reinen Inszenierung, zum verklärten, überhöhten Abbild der Wirklichkeit. So posierte auch die alternde, aber immer noch attraktive Josephine Baker Mitte der 1950er Jahre im mit Straßsteinen besetzten Kleid und Feder-Fächer für ihn, Brigitte Bardot zog sich vor dem Handspiegel ungeniert den Lippenstift nach, Charles Aznavour schmiß sich genauso wie Jacques Brel vor dem Mikrophon mit Verve ins Zeug. Doch Frasnay interessierten auch die Denker dieser Welt. Während eines Sanatorium-Aufenthaltes in den französischen Alpen lernte er den Sekretär von Paul Eluard kennen und die Literatur lieben. Er lichtete Schriftsteller wie Jean-Paul Sartre, Arthur Miller, Louis-Ferdinand Céline oder Georges Simenon ab, mit dem er übrigens auch 1959 das Buch „La Femme en France“ herausbrachte. Die Frauen bleiben also das dominierende Thema, doch war bei diesem Projekt nun die Arbeiterin in den Mittelpunkt gerückt. Frasnay machte dafür extra einen Führerschein und fuhr durch das ganze Land. Er nahm Bretoninnen, mit ihren hohen, weißen Hauben etwas sehr inszeniert, beim Fischernetze-Knüpfen auf, Korken- und Kohlesortiererinnen in den Fabriken, eine Näherin mit ihrem sie vom Fensterbrett aus beobachtenden Sohn oder eine Kuhhirtin beim Anfertigen eines Rosenkranzes. Aber auch die „dame de lhotel“ posierte für ihn, indem sie auf dem ungemachten Bett die Netzstrümpfe zurechtzieht. Andere Alltagsmenschen beobachtete Daniel Frasnay ebenfalls mit seiner Kamera. In seiner Heimatstadt Paris bannte er immer wieder Musiker in Cafés und auf den Straßen auf Film, Clochards in weißen Hemden, die ihren Rausch auf den Lüftungsgittern eines Metroschachtes ausschlafen oder an der nächtlichen Pont Alexandre entlangtorkeln. Extremisten und Exoten wie der Fakir, welcher sich eine dünne Eisenstange durch die Wangen zog und mit Sicherheitsnadeln die Brust perforierte, zogen ebenso seine Aufmerksamkeit auf sich wie der romantische Blick vom Eiffelturm auf die im malerischen Gegenlicht daliegende Seine. Auch die großen Künstler seiner Zeit porträtierte er, René Magritte posierte im schwarzen Anzug und Melone sowie Apfel in der Hand, als wäre er einem seiner surrealen Bilder entsprungen, Henry Moore legt auf dem Foto letzte Hand an eines seiner Werke, Max Ernst blickt versonnen in die Ferne, während Fritz Lang, der berühmte Regisseur des Monumentalstreifens „Metropolis“, durch sein Monokel streng den Betrachter fixiert. Marc Chagall und Joan Miró besuchte Frasnay in ihren Ateliers, während er dem russischen Bildhauer Ossip Zadkine in einem ungewöhnlichen Augenblick begegnete: Der sitzt nämlich neben seiner Plastik „van Gogh“ 1956 auf der Ladefläche eines Lastwagens und umrundet gerade eben den spitzen Obelisken auf der Place de la Concorde. René Magritte, fotografiert von Daniel Frasnay, Brüssel, 1967: Als wäre der Künstler einem seiner surrealen Bilder entsprungen Die Ausstellung „Jour et nuit — bei Tag und Nacht. Fotografien von Daniel Frasnay“ läuft bis zum 18. Januar 2009 im Dachgeschoß des Oldenburger Schlosses. Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags von 9 bis 17, donnerstags bis 20, sonnabends und sonntags 11 bis 17 Uhr. Der Katalog mit 143 Seiten und zahlreichen Schwarzweiß-Abbildungen ist im Bentil-Verlag, Bern, erschienen und kostet 51,50 Euro.