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Pankraz, G. E. Lessing und das schöne Kamel

Pankraz, G. E. Lessing und das schöne Kamel

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Pankraz, G. E. Lessing und das schöne Kamel

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Darauf konnte man wetten: Das ölreiche Glitzer-Emirat Abu Dhabi, schon lange bekannt für seine architektonischen wie gesellschaftlichen Spitzen-Events, organisiert jetzt auch den größten Schönheitswettbewerb, der je in der Weltgeschichte stattgefunden hat. Zehntausend Kandidatinnen und Kandidaten sind dafür auserwählt. Neun Tage wird das Turnier dauern. Die Preissumme beträgt sechs Millionen Dollar. Scheich Mohammad Ben Beti El Hamed von Abu Dhabi persönlich hat die Patenschaft für das Ereignis übernommen.

Hinzugefügt werden muß allerdings, daß es sich um einen Schönheitswettbewerb für Kamele handelt, genauer: für sogenannte Altweltkamele der Art Dromedar (Camelus dromedarius). Der Wettbewerb ist bisher einmalig in seiner Art. Bis dato ging es beim "Kamel-Ranking" immer nur um Gesichtspunkte der Nützlichkeit: Schnelligkeit, Ausdauer, Fleischqualität. Doch diesmal soll ausdrücklich die "Schönheit" der Tiere bewertet werden, gemessen einzig am "interesselosen Wohlgefallen", das ihr Anblick auslöst. Man darf auf das Resultat gespannt sein.

Viele Leute (speziell im Abendland) sagen ja, daß das Altweltkamel – südamerikanische Lamas und Guanakos also ausgenommen – zu den häßlichsten Tieren der Welt zähle, möglicherweise überhaupt das häßlichste von allen sei. Es sei weder anmutig noch niedlich oder kuschelig, weder edel noch irgendwie rührend, eigne sich nicht einmal als Bettvorleger. Seine Gestalt: unsymmetrisch. Sein Gang: unvornehm. Sein Fell: wüst verzottelt. Sein Auge: dümmlich-arrogant, trotz oder gerade wegen der langen Wimpern.

Es gibt eine Tierfabel von Lessing, wo das Pferd zum lieben Gott kommt und ihn bittet, seine an sich schon prächtige Gestalt noch ein bißchen zu verbessern: höhere Beine, breitere Brust, einen schönen Schwanenhals usw. Gott geht auf die Bitte ein und erschafft zunächst einmal ein Wesen exakt nach den Vorschlägen des Pferdes. Es ist das Kamel! Das Pferd erschauert. Gott aber läßt das Wesen bestehen zur Warnung für alle, die mit ihrer Figur unzufrieden sind.

An sich gilt in der Designerbranche seit Urzeiten der Grundsatz: Was wirklich nützlich ist, das ist auch schön. Nützlichkeit und Schönheit sind demnach die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Aber die Existenz des Kamels dementiert das, und zwar schneidend. Alle kameligen Häßlichkeiten, die Plattfüße, die dürren hohen Beine, der Höcker, die absurd langen Augenwimpern – alles das ist dem Tier, das bekanntlich ein ausgesprochenes Wüstentier ist, ungeheuer nützlich, alles ist Resultat subtilster Anpassung an die erbarmungslosen Lebensbedingungen der Wüste. Angepaßter geht’s nicht.

Trotzdem bleibt "das Schiff der Wüste" ästhetisch eine große Verlegenheit. Keine ästhetische Kategorie, weder aus der klassischen noch aus irgendeiner modernen Theorie, ist mit Camelus dromedarius vereinbar. Nicht einmal komisch ist das Riesenviech. Es ist keine Karikatur von irgendwem, höchstens eine Karikatur seiner selbst, die leibhaftige Demonstration dessen, was passiert, wenn sich eine Form des Lebens allzu beflissen an eine Umgebung anpaßt, die letztlich lebensfeindlich ist.

Wenn heute ölreiche Wüsten-Emirate gigantische, gigantisch teure Schönheitswettbewerbe ausgerechnet für Kamele veranstalten, so feiern sie damit letztlich nicht die Tiere selbst, sondern die Wüste, an die sich die Tiere so total angepaßt haben. Und solche Feier geschieht gewissermaßen in schiefer Schlachtordnung. Was gefeiert wird, ist der Sieg über die Wüste, der Triumph ihrer Bändigung und In-Dienst-Stellung. Was man sagen will, ist dies: Wir brauchen die Kamele nicht mehr, sie sind uns nicht mehr nützlich, sie sind für die Ästhetik freigegeben.

Mensch und Wüste waren immer absolute Feinde. Andere Lebensformen, Leguane, Käfer, Spinnen, Großohrfüchse, wußten sich blendend an Wüstenverhältnisse anzupassen, ohne darüber häßlich zu werden, dem Menschen gelang das nicht. Er mußte sie, wenn er darin leben mußte, sofort "entwüsten", zur Oase machen. Es gibt keine Wüstenpoesie, nur Oasenpoesie. Die Schrecken der Wüste sind konkret, ihre "Schönheit" ist abstrakt und rein ornamental. In der Wüste wohnen keine wohlmeinenden Götter, nur Widergötter wie der Osiris-Mörder Seth, Stifter von Gesetzen, die auf Feuerzauber bzw. tote Einförmigkeit aus sind.

Unter der Wüste freilich lagerte das Öl, und als die westlichen Giaurs den Verbrennungsmotor erfunden hatten, erwies sich das für Oasenbewohner als ungemein erfreulich. Man konnte nun immer größere Teile der Wüsten in Oasen verwandeln und brauchte dabei nicht die geringsten Rücksichten auf örtliche Ressourcen oder Nichtressourcen mehr zu nehmen. Alles ließ sich importieren und in Riesendimensionen nachahmen: Wolkenkratzer, Autobahnsysteme, Kunstmu­seen, Büros mit Ingenieuren und Architekten aus Europa, billige Unterkünfte für Arbeitskräfte aus Pakistan.

Jeder Tourist, der Abu Dhabi oder eines der anderen reichen Emirate besucht, staunt über die Beliebigkeit und Klammottigkeit der dort aufeinandergeschichteten Neo-Zivilisation. Zwar gilt überall das Wort Allahs und seines Propheten, und ein Mädchen, das es wagte, unverschleiert und mit einem kleinen Kreuz am Halskettchen über die Straße zu gehen, würde erschlagen. Doch sonst regiert überall das Fremde und angeberhaft zu irren Preisen Herbeigeholte. Eine Sache muß teuer sein, sonst muß sie nichts sein.

Im Grunde ist das, bei aller Neuheit und Modernität, potthäßlich, und so liefert jener Riesenwettbewerb um das schönste (wenn auch völlig unnütze) Kamel ein ungemein treffendes Symbol für die herrschende Misere. Wenn es doch wenigstens exklusiv Rennkamele wären, die im Wettbewerb aufträten! Aber just das Renomée des Rennkamels hat jüngst etwas gelitten, seitdem es bei den großen Rennen nicht mehr von Menschenkindern geritten wird, sondern von extra aus Südkorea gelieferten winzigen Reitrobotern. Das Rennkamel ist nun nicht mehr schön genug.

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