Bertolt Brecht hat in einer seinen „Geschichten von Herrn Keuner“ ein wesentliches Problem menschlicher Daseinsgestaltung auf den Punkt gebracht: „Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, daß er ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch“. Es hat in den vergangenen 250 Jahren seit der Aufklärung sehr viele „Entwürfe“ von einem „neuen Menschen“ als notwendige Voraussetzung für eine neue Menschheit gegeben, – in der Regel immer aus „Liebe“ zum Menschen und verbunden mit den Verheißungen einer besseren, gerechteren „Schönen neuen Welt“. Wer dieses Ziel anstrebt, so schon Rousseau in seinem wegweisenden „Contrat social“ (1772), muß sich allerdings „imstande fühlen, gleichsam die menschliche Natur umzuwandeln, jedes Individuum, das für sich ein vollendetes und einzeln bestehendes Ganzes ist, zu einem Teil eines größeren Ganzen umzuformen, aus dem dieses Individuum gewissermaßen erst Leben und Wesen erhält“. Dieses Ziel ist bislang nachweislich nicht erreicht worden, weder durch den politischen Terror der Jakobiner in der Französischen Revolution, der Kommunisten aller möglichen Schattierungen und der Nationalsozialisten noch durch einschlägige emanzipatorisch-pädagogische „Entwürfe“ in den westlichen Demokratien. Die sehr unterschiedlichen, sich vielfach widersprechenden und gegenseitig bekämpfenden „Entwürfe“ lassen sich dennoch unter einem gemeinsamen Nenner zusammenfassen, der zur Erklärung dieses offenkundigen Versagens belangvoll ist: Es handelt sich um die folgerichtige Konsequenz des radikalen Wandels von einem transzendenten zu einem immanenten Welt- und Menschenverständnis. Nach einer bekannten Sentenz führt „Humanität ohne Divinität zur Bestialität“. Auf Einzelnachweise kann angesichts der ganz offenkundigen Tatsachen verzichtet werden. Sie zeichnen auf sehr unterschiedlichen Wegen die Vergewaltigung des Menschen in den Prokrustesbetten der jeweils herrschenden Ideologien nach, um die Menschen ihren „Entwürfen“ anzupassen. Der vermeintliche Kampf um mehr Humanität führt in der Regel zu einem Terror der Humanität. Dieser Kampf muß nicht unbedingt – wie bisher – aggressiv und plakativ geführt werden. Im Gegenteil. Die Erfahrungen der Geschichte lehren, daß auf diese Weise nur Abwehrrektionen ausgelöst werden, welche eine erfolgreiche Revolutionierung des Bewußtseins der Menschen erschweren. Bereits 1932 hat der britische Schriftsteller Aldous Huxley warnend darauf hingewiesen, daß ein neuer Totalitarismus, der von ihm so definierte Transhumanismus, sich deutlich von den plumpen Methoden des Regierens mittels Knüppeln und Erschießungskommandos, mittels künstlicher Hungersnöte, Massenverhaftungen und Massendeportationen unterscheiden und auf diese Weise in seiner Gefährlichkeit kaum erkannt werde. Es komme deshalb vielmehr darauf an, die Menschen vom Kindesalter an in den Schulen, in den Medien und vor allem durch sexuelle Freizügigkeit so zu konditionieren, daß sie zu einer politischen und gesellschaftlichen Gegenwehr gar nicht mehr willens, geschweige denn fähig sind. So erklärt es sich, daß der von der 68er-Kulturrevolution eingeschlagene Weg eines sogenannten Paradigmenwechsels nahezu ungehindert fortgesetzt werden kann: „Die Welt ist zu einem riesigen Labor geworden. In ihm experimentieren Menschen unter dem Deckmantel der ‚Ethik des Heilens‘ nicht mehr länger nur mit Mäusen und Ratten, sondern mit Menschen. Ziel dieser Experimente ist es letztlich, die Evolution des Menschen in die eigene Hand zu nehmen und den Menschen neu zu schaffen“ (Stefan Rehder). Dabei haben wir es nicht allein mit Wissenschaftlern zu tun, „die in ihren Labors Amok laufen, sondern mit demokratisch gewählten Regierungen und Parlamenten, die – sei es völlig frei und unbedrängt, sei es auf Druck der Industrie, das Gottspielen billigen und durch Gesetzesänderungen legalisieren“. In dieser Auseinandersetzung sollte die Forderung seriöser Wissenschaftler nach Förderung der bio-technischen Forschung im Interesse der medizinischen Forschung und Therapie auf gar keinen Fall unter Ideologieverdacht gestellt werden. Die Autoren der beiden angezeigten Bücher verweisen auf die unbestreitbaren Erfolge dieser Forschung bei der Diagnose und Behandlung bislang unheilbarer Krankheiten. Sie sind davon überzeugt, daß die Mehrheit der einschlägigen Wissenschaftler sich diesen bio-ethischen Grundsätzen verpflichtet weiß und nicht daran denkt, „Gott zu spielen“. Sie bedauern allerdings, daß es auch in diesem – wie in fast allen anderen gesellschaftlichen Bereichen – eine schweigende Mehrheit gibt, die, den „Ideologen“ das Feld kampflos überläßt – von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen. Sie tragen damit nicht zur Lösung eines vielschichtigen Problems bei, sondern – wenn auch unbewußt – zu weiterer Verwirrung der einstmals verbindlichen Positionen und Begriffe. Eine Erklärung für dieses Verhalten liegt in der Tatsache begründet, daß nach vierzig Jahren Kulturrevolution die maßgebenden traditionellen Normen und Formen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung weitgehend zersetzt sind, was den Münchner Philosophen Robert Spaemann in seinem Vorwort zu Adrienne Weigels Veröffentlichung zu der Bemerkung veranlaßt: „Nirgends in unserem Rechtssystem gibt es einen vergleichbaren puren Voluntarismus, der sich über Argumente, Verfassungsgrundsätze und gerichtliche Auflagen so ungerührt hinwegsetzt.“ Nach der Lektüre der beiden Publikationen dürfte dies allerdings nicht mehr so einfach sein. Adrienne Weigel: Der preisgegebene Mensch. Überlegungen zum biotechnischen Umgang mit menschlichen Embryonen. Mit einem Vorwort von Robert Spaemann. Resch-Verlag, Gräfelfing, 2007, broschiert, 315 Seiten, 24,90 Euro Stefan Rehder: Gott spielen. Im Supermarkt der Gentechnik. Pattloch-Verlag, München 2007, broschiert, 240 Seiten, 16,95 Euro