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Buchhaltung des Todes

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Heinz Nawratil gilt als ausgewiesener Experte für die Schicksale der deutschen Opfer von Vertreibung, Deportation, Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft ab 1944/45. Das zuletzt erschienene Buch ist eine völlig überarbeitete Fassung seiner grundlegenden Arbeit von 1986. Sein Verdienst liegt darin, das furchtbare Schicksal, das Millionen von Deutschen im Osten des damaligen Reichsgebietes, in der Tschechoslowakei, in Ost- und Südosteuropa, im späteren „Mitteldeutschland“ und nicht zuletzt in der westalliierten Besatzungszone erlitten haben, anhand von überprüfbaren Zahlen und Fakten vor Augen zu führen. Seine nüchterne Art der Darstellung mag an die Arbeit eines Buchhalters erinnern, aber man sollte sich bewußt sein, daß es sich um eine Buchhaltung des Todes handelt. Erst durch die Zuordnung der Opferzahlen nach Herkunftsgebiet, Art des Umkommens und der Begleitumstände wird das ganze Ausmaß dieser Tragödie sichtbar, das in vielen Gehirnen von Zeitgenossen nur als „Anhängsel“ des Zweiten Weltkrieges residiert. Der Autor räumt mit der These auf, daß die deutschen Nachkriegsverluste mit Millionen von Toten die logische Folge der Hitlerschen Aggressionspolitik, nämlich die „letzten Opfer Hitlers“ gewesen seien und daß die von Vertreibung, Deportation und Hunger betroffenen Menschen „nur“ die Vergeltung für die Verbrechen der eigenen Staatsführung erlitten hätten. Allzu leicht wird vergessen, daß von sogenannten „geregelten und humanen Umsiedlungen“ in der Tschechoslowakei, die gemäß der Bevölkerungsstruktur 1919 besser „Tschechogermanien“ hätte heißen sollen, überhaupt keine Rede sein konnte. Die tschechische Exilregierung in London unter Eduard Beneš wurde nicht müde, derartige „Umsiedlungen“ zu fordern, und erhielt bereits am 7. Juli 1942 die Zustimmung der britischen Regierung zu diesem Plan, obwohl zum damaligen Zeitpunkt in keiner Weise feststand, unter welchen Umständen der Krieg zu Ende gehen würde. Der harmlos anmutende Plan wurde schließlich 1945 in Form von brutaler Vertreibung von mehr als drei Millionen Menschen mit Massenmorden und zahllosen Grausamkeiten in die Tat umgesetzt. In den deutschen Ostgebieten verfolgte Stalin eine noch gründlichere „Säuberungspolitik“, die zwar auf der Konferenz von Jalta bei seinen westlichen Verbündeten auf Widerstand stieß, aber dennoch geduldet wurde. Die von den sowjetischen Propagandisten, aber auch Befehlshabern bewußt geschürten Haßgefühle führten 1945 in den eroberten Gebieten zu unbeschreiblichen Untaten, die man nicht spontanen Ausschreitungen einer siegestrunkenen Soldateska zuschreiben kann. Von welcher Selbstgerechtigkeit etwa Ilja Ehrenburgs Haßparolen getragen waren, zeigte der Spruch: „Wir bringen nicht die Rache, wir bringen das Gericht!“ Daß eine solche Haßpropaganda eine furchtbare Eigendynamik entfachte, kann man nicht als bedauerliche Begleiterscheinung der Kampfhandlungen abtun. Dahinter steckte die kalte Absicht, Millionen von Deutschen zu vertreiben, um Raum für die polnischen Umsiedler zu gewinnen, die Stalin im Nachkriegspolen, dessen Grenzen er weit nach Westen verschob, unterbringen wollte. Kaltschnäuzig ignorierte der den Beschluß der Potsdamer Konferenz zugunsten eines Aufschubs der „Umsiedlungen“. Die Motive Titos bei der Vertreibung und Ermordung von Hunderttausenden von deutschen Soldaten und Zivilisten bei und nach Kriegsende 1945 hatten einen anderen Charakter. Sein Haß richtete sich nicht nur gegen die Deutschen, sondern ebenso gegen Kroaten, Montenegriner, Albaner, königstreue Tschetniks und Italiener. Offenbar spielten nicht nur die Rachegefühle, etwa als Reaktion auf die von Kroaten ab 1941 verübten Grausamkeiten eine Rolle, sondern auch das Ziel, jede mögliche nationale oder nationalreligiöse Regung in den vom neuen Jugoslawien beanspruchten Grenzen im Keim zu ersticken. Angst und Schrecken sollten Titos gewaltsam geschaffenen Einheitsstaat leichter regierbar machen. Weithin unbeachtete Kapitel der Nachkriegsverluste betreffen die blutigen Säuberungen in Italien und Frankreich, wo besonders im Süden zahllose Todesurteile ohne Gerichtsverfahren vollzogen wurden, des weiteren die in Österreich von der Roten Armee und den Tito-Partisanen verübten Verbrechen, die Opfer in den sowjetischen Konzentrationslagern in Mitteldeutschland und schließlich das Massensterben unter den Kriegsgefangenen, wobei über 1,6 Millionen Tote zu verzeichnen sind. Nicht zuletzt müssen die zahllosen zivilen Hungeropfer in Nachkriegsdeutschland berücksichtigt werden, ein von den Historikern meist vernachlässigtes Kapitel. Alles in allem ergibt sich neben den 2,8 Millionen Vertreibungsopfern samt Rußlanddeutschen eine Gesamtsumme von 8,8 Millionen Menschen, die auf einer zurückhaltenden Berechnung beruht. Die nackten Zahlen sind horrend genug, doch liegen die Leiden und das oft qualvolle Sterben der Opfer außerhalb jeder Erfassung. Heinz Nawratil: Deutsche Nachkriegsverluste. Vertreibung, Zwangsarbeit, Kriegsgefangenschaft, Hunger, Stalins deutsche KZs. Ares-Verlag, Graz 2008, gebunden, 144 Seiten, Abbildungen, 14,95 Euro Fotos: Tschechische Milizionäre jagen Deutsche aus ihrer Heimat: Über zwei Millionen Vertreibungsopfer; US-Soldat vor „Rheinwiesenlager“ 1945: Völkerrechtswidrig; Kriegsgefangenenlager bei Workuta: Jahrelange Sklavenarbeit; Französische Partisanen mißhandeln deutsche Kriegsgefangene: Nur als „Anhängsel“ des Zweiten Weltkrieges wahrgenommen

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