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Präzedenzfall

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Vor wenigen Wochen zeigte sich die Öffentlichkeit überrascht, daß der Aufsichtsrat der Siemens AG den Top-Managern des Konzerns eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent gewährt hat. Als befremdlich wurde dabei nicht empfunden, daß die Bezüge der Führungskräfte sich auch in diesem Unternehmen anders entwickeln als jene seiner Durchschnittsbeschäftigten. Über eine derartige Gestaltungsfreiheit muß eben verfügen, wer wirkliche Eliten motivieren und an sich binden will. Gerätselt wurde nur, welcher Geschäftserfolg durch die exorbitante Gehaltssteigerung honoriert worden sein mochte. Die Entwicklung der Siemens-Aktie und damit etwa eine außergewöhnliche Wertsteigerung für die Anteilseigner konnte jedenfalls nicht als Rechtfertigung herangezogen werden. Das Rätsel scheint nun gelüftet. Vor einem Jahr verschenkte Siemens seine defizitäre Mobilfunksparte an das taiwanesische Unternehmen BenQ und versüßte dem Neueigentümer die Transaktion durch weitere 350 Millionen Euro sozusagen als Risikoprämie obendrauf. BenQ hat nun nach einer Schonfrist jenen längst überfälligen Schritt gewagt, vor dem der Vorbesitzer aus gutem Grund zurückschrecken mußte. Von der in verschiedene Tochtergesellschaften aufgespaltenen einstigen Siemens-Sparte meldete soeben jene Insolvenz an, in der nicht die Vermögenswerte, sondern die Arbeitnehmer geführt werden. Ihnen droht jetzt der sang- und klanglose Übergang in die Erwerbslosigkeit, während sie unter dem Dach von Siemens immerhin eine in Einzelfällen sicher nicht unerhebliche Abfindung erwartet hätte. Sollte sich dieses Vorgehen als juristisch unbedenklich erweisen und Siemens dem politischen Druck, doch gefälligst Verantwortung zu übernehmen, standhalten, wäre damit ein Präzedenzfall geschaffen, wie Unternehmen im großen Stil mehr Flexibilität in Personalentscheidungen gewinnen, ohne das verkrustete Arbeits- und Sozialrecht gleich ganz außer Kraft setzen lassen zu müssen. Die Rolle des Partners ist dabei nicht notwendigerweise ausländischen Unternehmen vorbehalten, auch wenn es natürlich seinen Reiz hat, den Unmut der Öffentlichkeit auf landfremde „Heuschrecken“ zu lenken. Auch für so manche deutsche Firma, die zum Beispiel auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung gescheitert ist, könnte sich hier ein neues, lukratives Geschäftsfeld eröffnen. Der Gesetzgeber sollte ebenfalls seine Lehre aus diesem Fall ziehen: Wenn der rechtliche Schutz der Arbeitnehmer sowieso umgangen werden kann, braucht man ihn auch nicht zu verteidigen.

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