Schon Eckhard Henscheid mutmaßte, daß der Begriff „Struktur“, den er als „Glücksfall für die deutsche Linke“ charakterisierte, als Grenzfall „von Wissenschaft und Grunzdeutsch“ einzustufen sei. An diese Sottise fühlt man sich angesichts der Neuerscheinung des Trierer Soziologen Bernd Hamm erinnert, die den wichtigtuerischen Titel „Die soziale Struktur der Globalisierung – Ökologie, Ökonomie, Gesellschaft“ trägt und die inzwischen uferlose Literatur zum Thema Globalisierung um eine weitere, marxistisch inspirierte Facette erweitert. Das Buch versteht sich als eine Art Kompilat aus zwanzig Jahren Vorlesungstätigkeit und soll „in erster Linie Studierenden eine ‚Analyse der Struktur moderner Gesellschaften‘ an die Hand geben“. Da aber wahrlich kein Mangel an Büchern über die „Sozialstrukturanalyse“ besteht, sehen sich Hamm und seine vornehmlich weiblichen Mitarbeiterinnen, die an diesem Werk mitwirkten, veranlaßt, sich abzugrenzen. Der Ausgangspunkt des Buches, so steht zu lesen, sei „normativ“. Meint: Zentral ist dessen Anliegen, einen Weg in eine „zukunftsfähige Gesellschaft“ zu suchen. Diese „Gesellschaft“ soll natürlich – ein Zitat aus Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“, das dem Buch vorangestellt ist, weist hier den Weg – menschen- und gesellschaftswürdig, friedlich, zukunftsfähig und demokratisch sein. Vorsorglich stellen die Autoren bereits zu Beginn fest, daß sie sich vor klaren Wertungen nicht drücken wollen. „Ausgewogenheit“ sei nicht ihr Ziel; sie verorten sich, um im Jargon zu bleiben, als „kritisch“. Wie das aussieht, zeigt sich in deren „Analyse“. Hier entpuppen sie sich zur marxistischen Kenntlichkeit, wenn sie durchblicken lassen: „Aber es wird sich herausstellen, daß Macht- und Verteilungskonflikte am ehesten geeignet sind, den Zustand der Welt über die bloße Beschreibung hinaus zu erklären. Wir erheben keine Einwände, wenn jemand darin eine – im weiteren Sinn – Klassenanalyse, auch eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaft erkennt.“ Die Autoren fühlen sich der „Weltsystemtheorie in ihren verschiedenen Ausprägungen verpflichtet“, das erklärt wohl auch ihren Allesklärungsanspruch. Daß der Weg hierhin von einer begrifflichen Nebelbank zur nächsten führt, gehört da wohl zum Forscherschicksal, das die Autoren aus reinem Erkenntnisinteresse willig auf sich nehmen; ihnen liegt nämlich daran, das „‚wirkliche‘ Funktionieren der Gesellschaft“ erkunden zu wollen, das in aller „Regel durch ideologische Selbstinterpretation verstellt wird. (…) Um Gesellschaft verstehen zu können, müssen wir durch diesen ideologischen Nebel hindurch“. Im ersten Teil widmen sich die Autoren wichtigen Begriffs- und Positionsbestimmungen („Vorklärungen“). Der zweite Teil behandelt „globale Probleme“, nämlich die ökologische und die ökonomische Krise, soziale Ungleichheit und, unter dem Titel „Anomie“, den Zerfall zivilisierter Verkehrsformen bis hin zur Regierungskriminalität. Im dritten Teil geht es um die Frage, ob die bestehenden Institutionen geeignet sind, die so beschriebenen problematischen Erscheinungen im Sinn „nachhaltiger Entwicklung“ zu bearbeiten. Die „Analyse“ setzt bei den wirtschaftlichen Institutionen ein und wird mit den Institutionen der Politik, der Medien und der sozialen Sicherung weitergeführt. Dabei wird der Fokus insbesondere auch auf die Arbeit der Lobby-Gruppen und PR-Agenturen gerichtet und ihr Einfluß auf Entscheidungsträger und öffentliche Meinung untersucht. Der letzte Teil, mit „Zukünfte“ übertitelt, befaßt sich mit der Frage, welche Handlungsoptionen angesichts der „Krise der Weltgesellschaft“ bleiben. Hierfür entwickeln die Autoren ein Trendszenario, an das sich Reformvorschläge im Rahmen der bestehenden Institutionen anschließen. Da Hamm und die Seinen aber bereits wissen, daß sich angesichts der gegebenen Machtverhältnisse nichts oder wenig „ändern“ wird, kommen sie zum eigentlichen Ziel ihrer Arbeit („Alternativen“), das sich in die Stichworte „Abkoppeln, Ressourcen schonen, Selbstorganisation stärken“ fassen und unter dem Leitbegriff „nachhaltige Entwicklung“ subsumieren läßt. Ein Kapitel immerhin ragt aus diesem „Struktur“- und „Gesellschafts“-Nebel heraus, nämlich der Abschnitt „Medien“. Hier erreicht die „Analyse“ einen Grad von Konkretheit, zu dem Hamm sonst selten vorstößt. Endlich werden einmal Roß und Reiter beim Namen genannt, wenn die Aktivitätsfelder und Umsatzzahlen von US-Medienkonzernen wie Time Warner Inc., Viacom, Disney, Murdoch oder – für Deutschland – Bertelsmann, aufgelistet werden. Aufschlußreich ist auch die Listung derjenigen Personen, die in den Aufsichtsräten der zehn wichtigsten Unternehmen der USA vertreten sind und gleichzeitig Mandate anderer Unternehmen wahrnehmen. Man bezeichnete diese Beziehungsgeflechte gerne als „Netzwerkanalysen“. Sie machen deutlich, daß es mit der oft gepriesenen Medienvielfalt im Westen nicht weit her ist. Man kommt zu der nachdenklich stimmenden Einsicht, daß wir mittels der Medien die Welt mehr oder weniger durch US-amerikanische Augen betrachten. Zu Recht spricht Hamm von einer von den USA dominierten „Bewußtseinsindustrie“, die „möglichst unsichtbar zu bleiben versucht“. An dieser Stelle immerhin hat Hamm einen, wenn auch nur fragmentarischen Beitrag geliefert. Wer sich hier allerdings weiterorientieren möchte, sieht sich mit einer „Innovation“ konfrontiert, die hoffentlich keine Schule machen wird. Das Literaturverzeichnis darf sich der Leser nämlich, wenn er das Buch nach einigen Seiten enervierenden „Struktur“-Geredes nicht längst beiseite gelegt hat, aus dem Internet herunterladen. Bernd Hamm: Die soziale Struktur der Globalisierung. Ökologie, Ökonomie, Gesellschaft; Kai Homilius Verlag, Berlin 2006, gebunden, 374 Seiten, 19,90 Euro Foto: Aktivist beim „Europäisches Sozialforum“ in Athen, Mai 2006: Glücksfall für die deutsche Linke