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Die Kapitulation von Santa Fé

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Der Mensch als Symbol. Oder sollte man, um ihn zu charakterisieren, besser vom Symbol als Mensch sprechen? Kein anderer Mensch jedenfalls, die großen Propheten und Religionsgründer eingeschlossen, ist so zum Symbol, zum bloßen „Zeichen für“ etwas geworden wie Christoph Kolumbus. Er hat in Wirklichkeit weder Amerika entdeckt noch ihm den Namen gegeben, doch er ist „der Entdecker Amerikas“. Und darüber hinaus ist er „der Eröffner eines gänzlich neuen Erdzeitalters“, der „Schöpfer der Neuen Welt“, der „Vater des Kolonialismus“, der „Initiator des Völkermords“, mit einem Wort: „der größte Weltveränderer, der je gelebt hat“. Indes, hat er überhaupt gelebt? Sicher, er taucht in den Annalen auf, aber wer taucht da eigentlich auf? Außer dem Datum seines Todes (20. Mai 1506) ist nichts über ihn exakt fixierbar, weder sein Name noch seine Herkunft, weder sein Geburtsdatum noch sein Aussehen noch seine Muttersprache noch der Verbleib seiner Gebeine. Städte, Nationen und Religionsgemeinschaften behaupten stolz, er sei einer der Ihren gewesen und seine Gebeine ruhten in ihrer Obhut – beweisen können sie es nicht. Außer einem Symbol ist Kolumbus vor allem ein großes, unauflösbares Rätsel. War er jener (wahrscheinlich) im September 1451 geborene genuesische Wollwebersohn, als der er heute meistens apostrophiert wird? Und was hat er in den ersten vierzig Jahren seines Lebens gemacht, bevor er „Amerika entdeckte“? Kein Historiker vermag das glaubwürdig zu rekonstruieren. Allzu viele Versionen sind im Umlauf. Es wimmelt von Mutmaßungen, konkrete Belege fehlen. Wahrscheinlich hatte Kolumbus drei Brüder, eine Schwester und zwei Söhne. Wahrscheinlich heuerte er schon früh als Schiffsjunge auf einem Mittelmeerfahrer an und kam dabei bis an die Küsten Kleinasiens. Wahrscheinlich wurde eines der Schiffe, auf denen er diente, von Seeräubern überfallen, Kolumbus geriet in Gefangenschaft und entkam den Freibeutern später nach Portugal. Dort soll er von seinem Bruder Bartholomäus, der an der Universität Padua studiert hatte und als Kartograph in Lissabon lebte, mit feinem nautischen Wissen und mit der Faszination für Entdeckungsreisen geimpft worden sein. Die meisten Kolumbus-Forscher vermuten freilich, daß ihr Protagonist nie von reinem Entdeckergeist erfüllt gewesen sei, sondern von Geld- und Goldgier wie die meisten anderen, ihm folgenden Westlandfahrer (Conquistadores) auch. Die traditionellen gewinnträchtigen Handelswege nach Indien und China waren dem Abendland damals durch die Türken verlegt worden, die Ausweichroute um Afrika her-um hatte sich als zu beschwerlich und zeitraubend erwiesen, so daß die Idee einer „Westroute“ mit anschließender Landung in „Hinterindien“ immer mehr Anhänger gewann. Denn daß die Erde eine Kugel sei, glaubten alle Seefahrer, schon seit Aristoteles; sie hatten Astronomen dazu gar nicht nötig. Die Westroute war Tagesgespräch in Lissabon, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die erste „westindische“ Expedition starten würde. Die Sache war teuer, alle waren sich darüber klar, daß der König selbst Erlaubnis und Geld geben mußte, auch deshalb, weil man ja in Indien und China mit Mächten zu tun bekommen würde, denen auf Augenhöhe zu begegnen war. Daß es dann aber ausgerechnet der kleine Kolumbis schaffte, den Auftrag für sich an Land zu ziehen, wenn auch nicht in Portugal, sondern in Kastilien, welches gerade die letzten Maurenfürsten besiegt hatte – dies ist zweifellos das größte Wunder in dem wundersamen Erdengang des Christoph Kolumbus und läßt den Mann nun doch in einem eindrucksvollen Licht erscheinen. Gut überliefert scheint, daß seine Vorstellungen von den zu überwindenden Distanzen falsch waren, daß er mit viel kürzeren Entfernungen rechnete und aus diesem Irrtum her-aus den potentiellen Geldgebern verwegene Versprechungen machte. Es wäre ja nicht zum ersten Mal, daß schlichte Irrtümer Anlaß für weltgeschichtliche Umwandlungen gaben. Nach Angaben einiger Forscher drohte Kolumbus in Portugal wegen hoher Schulden die Verhaftung. Außerdem hatte er offenbar gemerkt, daß er in dem erfahrenen Seefahrerzentrum Lissabon mit seinen schlecht ausgerechneten Annahmen keinesfalls eine Expeditionsflotte zusammenbekommen würde. So ging (flüchtete?) er nach Spanien und ließ dort gewissermaßen alle seine rhetorischen Minen springen, um das neue Königspaar Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien für seine Pläne zu gewinnen. Er fand höchste Förderer, darunter die am Hof einflußreiche Beatriz Enriquez de Arana, der er ein Kind, seinen zweiten Sohn Fernando, machte. Doch auch in Spanien wackelten die Gelehrten und Hofberater lange Zeit bedenklich mit den Köpfen und lehnten seine Entwürfe immer wieder ab. Kolumbus mußte viel Geduld aufbringen. Er flehte und intrigierte. Es gibt die Geschichte, wie er sich aus Verzweiflung schließlich entschlossen habe, nach Frankreich zu gehen, kurz vor der Grenze aber, im Kloster La Rabida, von einem Beichtvater händeringend zum Bleiben in Spanien überredet worden sei. Endlich kam es zur „Kapitulation von Santa Fé“, einem ausführlichen Vertrag zwischen den Monarchen und Kolumbus über die durchzuführende Hinterindienfahrt. Es ist ein erstaunliches Dokument, zeigt es doch, wie einflußreich Kolumbus inzwischen am Hof geworden war und wie genau er die Kautelen festzulegen verstand. Der Vertrag sicherte ihm höchste Titel zu, Großadmiral, Vizekönig der zu erobernden Gebiete usw., sowie einen stattlichen Anteil an den zu erwartenden Gewinnen an Edelmetallen, Gewürzen, seltenen Stoffen, Sklaven. Der Rest ist Elementarunterricht und Fernsehfilm: die atlantische Überfahrt mit der Karacke „Santa Maria“ und den beiden Karavellen, die „Entdeckung“, also die Landung auf der Karibeninsel Guanahani (von Kolumbus sofort in „San Salvador“ umgetauft), die drei weiteren Reisen, die „Entdeckung“ von Hispaniola (heute Haiti und Dominikanische Republik) und der Orinoko-Mündung, die „Bekehrung“, grausame Versklavung und Ausbeutung der Eingeborenen. Zwischendurch wurde der „Vizekönig“ Kolumbus auch einmal für einige Zeit eingesperrt, wegen allzu frecher Selbstbereicherung und „Vetternwirtschaft“, wie wir heute sagen würden. Eine eher deprimierende Geschichte. Kolumbus starb früh, mit fünfundfünfzig, und hat bis zuletzt geglaubt, er habe „Hinterindien“ entdeckt. Die Neue Welt blieb ihm bis zuletzt die ganz und gar alte. Über seinen heutigen Symbolstatus würde er sich sehr verwundern. Bild: Die Eroberung der Neuen Welt – Kolumbus entdeckt Amerika (Schulwandbild): Er glaubte, er sei in Hinterindien gelandet

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