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Cleverle erklärt die Welt

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Lothar Späth kommt im Kosmos der Christdemokratie in etwa die Rolle zu, die der kürzlich verstorbene Peter Glotz in seinen letzten Lebensjahren für die SPD spielte. In dieser jeweiligen Besetzung des Querdenkers spiegelt sich nicht zuletzt der intellektuelle Vorsprung wider, den die Sozialdemokraten auch in der Ära Schröder gegenüber ihren Kontrahenten der rechten Mitte zu wahren wußten. Lothar Späth, im CDU-internen Machtkampf des Jahres 1989 auf dem Bremer Parteitag an Helmut Kohl kläglich gescheitert und als Ministerpräsident von Baden-Württemberg 1991 unter unrühmlichen Umständen („Traumschiff-Affäre“) zur Amtsaufgabe gezwungen, hat aus der Not unfreiwilliger Distanz zur Welt der politischen Entscheidungen eine Tugend gemacht. Mit dem Nimbus seiner zweiten Karriere als erfolgreicher Wirtschaftsführer der zweiten Garnitur geriert er sich als cleverer Zwischenrufer in Printmedien und im Nachrichtenfernsehen, das sich, da auf Eliten ausgerichtet, nicht so sehr um seine marginalen Einschaltquoten sorgen muß. Es scheint folglich Menschen zu geben, für die seine Analysen und Urteile, so wenig originell sie auch sein mögen, relevant sind. Bei ihnen dürfte es sich um Angehörige jener etwas breiteren bürgerlichen Schicht handeln, die aufgrund weit über dem Durchschnitt liegender Einkommen für sich das Attribut Leistungsträger reklamiert. Da diese Menschen sehr viel arbeiten und in ihrer Freizeit für weitere Großtaten entspannen müssen, ist für sie jemand, der die erhabenen liberalen Gedanken und Maximen der Zeit gut lesbar kompiliert, nicht befremdlich, sondern hilfreich. Lothar Späth erweist ihnen diesen Gefallen mit seinem Kompendium „Strategie Europa“ in kaum zu überbietender Qualität. Von Friedrich Hayek bis Cat Stevens, von Nanotechnologie bis Hip Hop gibt es kaum einen Denker von Renommee oder Trend von Bedeutung, den er nicht, seiner landsmannschaftlichen Herkunft getreu, akkurat in das Mosaik seiner Weltschau einzufügen wüßte. Im Kern geht es natürlich um die großen Übel unserer Zeit. Deutschland droht im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu gelangen, weil es ihm an Innovationskraft mangelt. Schuld daran sind die Massen mit ihren unverantwortlich hohen Ansprüchen sowie der zu deren Befriedigung aufgeblähte Staat. Beide Entartungen zusammen machen es den Unternehmen schwer, mit der freudigen Aussicht auf gute Renditen vom Standort Deutschland aus weltweit erfolgreich zu agieren. Dank der Globalisierung bleibt derartiges Fehlverhalten jedoch nicht länger ungestraft. Für eine „Revitalisierung“ brauchen wir, wie sollte es anders sein, vor allem Mut, uns durch weniger Staat und mehr Eigenverantwortung fit für eine „neue Bürgergesellschaft“ zu machen, die den Einzelnen durch die stets präsente Gefahr nicht allein immer noch komfortabler „relativer“, sondern vielleicht sogar ein klein wenig absoluter Armut dazu anspornt, für weniger Einkommen mehr zu leisten. Die Globalisierung, die es im übrigen selbstverständlich zu gestalten gilt, läßt es zudem als dringlich erscheinen, die Entwicklung der ganzen Welt in Augenschein zu nehmen. Späth geht ihr, hier in der Tat mutig, auf den Grund, wie es wohl seit Hegel kein Systemlebauer mehr gewagt hat. Orientierung bietet nach seiner Auffassung dabei vor allem Kant, der mit dem Kategorischen Imperativ also, während Platon, das zeigen schließlich die totalitären Verirrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, ziemlich gründlich versagt hat. Die Religionen sollten auf der Grundlage dessen, was sie – vielleicht eine Art göttliches Wesen oder allgemein das Übersinnliche – eint, endlich ein Übereinkommen finden. Die Umwelt ist bei allem Verständnis für die Nöte jener, die sie schädigen müssen, grundsätzlich zu schützen. Verzicht ist daher nicht allein für die Bürger der klassischen Industriestaaten, sondern auch für jene der erst aufstrebenden Nationen angesagt. Europa, daher der Titel des Buches, sollte seinen Weg gehen, ohne die Attitüde zu entwickeln, Gegenmacht zu den USA sein zu wollen. Dank seines Multikulturalismus könnte es eine gewichtige Rolle in der Welt spielen – als so etwas wie das neue, ja eigentliche Amerika. Furcht jedenfalls sollte niemand vor der Globalisierung haben, auch wenn sie manche vielleicht tatsächlich ihrer Lebenschancen beraubt. Späth empfiehlt, das ganze sportlich zu betrachten: Auch bei den Olympischen Spielen stehen die Nationen im geordneten Wettbewerb. Wäre es nicht hübsch, wenn sich Wirtschaft und Politik hieran ein Vorbild nähmen. Lothar Späth: Strategie Europa. Ein Zukunftsmodell für die globalisierte Welt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 271 Seiten, gebunden, 19,90 Euro

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