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Wandel des Herzens, der Gesinnung und der Seele

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Im April wurde die Einsetzung einer unabhängigen Historikerkommission beschlossen, welche die Vergangenheit des Auswärtigen Amtes (AA) durchleuchten soll – natürlich die NS-Vergangenheit. Gern hätten die Grünen das Verfahren auf sämtliche Bundesministerien ausgedehnt. Geschichtspolitik ist für sie nun mal ein Mittel, um sich – neben der Deutungs- und Entscheidungshoheit – neue Pfründen zu sichern. Nun kommen Neuwahlen dazwischen. Es wäre vernünftig, wenn eine neue Regierung den Kommissionsplan fallen ließe. Der Grund: Noch immer fehlen für eine ergebnisoffene Forschung die politischen und psychologischen Voraussetzungen. Eine vom Staat eingesetzte Kommission stünde unter dem Druck, die einäugige Vergangenheitsbewältigung fortzusetzen. In der deutschen Presse hat der Vorschlag trotzdem (oder deswegen) Zustimmung gefunden. Dafür steht pars pro toto der Leitartikel von Rainer Blasius in der FAZ vom 18. April. Vor allem hält Blasius die Analyse der „Nachwirkungen des ‚Wilhelmstraßenprozesses‘ gegen die Ministerialbürokratie des ‚Dritten Reiches'“ für erforderlich. Das sind gleich zwei erstaunliche Festlegungen in einem Halbsatz, und das von einem Hillgruber-Schüler und profunden Kenner der deutschen und europäischen Diplomatiegeschichte. Denn worum geht es? Im „Wilhelmstraßenprozeß“ 1947/49 waren auch acht ehemalige Angehörige des Auswärtigen Amtes in der Berliner Wilhelmstraße 75/76 angeklagt. Die Anklage hieß nach dem ehemaligen Staatssekretär: „Die Vereinigten Staaten gegen Ernst von Weizsäcker und andere“. Die Journalistin Margret Boveri, die den Prozeß beobachtete, nannte es in ihrem Buch „Der Diplomat vor Gericht“ (1948) ein „Paradoxon, daß heute vier Vertreter der alten Schule (…) neben vier Außenseitern aus der Partei (der NSDAP, D. N.) in Nürnberg auf einer Anklagebank nebeneinander sitzen“. Der Prozeßverlauf bestärkte sie in der Überzeugung, daß Anklagevertretung und Gericht nicht willens oder fähig waren, die Wirklichkeit in einem totalitären Staat und die Differenz zwischen den „Krokodilen“ – den „dynamischen“ Ribbentrop-Diplomaten – und den nichtnazistischen „Sauriern“, die neben, gegen, ohne und anfänglich – nach „Versailles“ nur zu verständlich – auch durch und mit Hitler legitime deutsche Interessen zu wahren versuchten. Der Pauschalbegriff „Ministerialbürokratie des Dritten Reiches“ verschleiert also mehr, als er erklärt. Die „Saurier“ saßen mit den „Krokodilen“ auf der Bank Doch er hat Methode. Ziel von Chefankläger Robert Kempner war der Nachweis, daß im Auswärtigen Amt „eine Mörderbande“ am Werke war. Man wollte, so der langjährige Chefredakteur der Zeit, Richard Tüngel, „Sündenböcke haben, um ganze Gesellschaftsklassen stellvertretend zu diffamieren“. Der damalige FAZ-Herausgeber Paul Sethe sprach von „verfeinerter Morgenthau-Politik“. Wie war das zu verstehen? Nun, Churchill hatte am 16. August 1945 im Unterhaus erklärt: „Deutschland ist den Siegern ohne Kopf in die Hände gefallen.“ Kopflos sollte es bleiben bzw. die nachwachsenden Köpfe sollten nach Siegergusto konditioniert sein. Entsprechend war Kempners Prozeßführung. Zwar kam es in Nürnberg nicht, wie im Malmedy-Prozeß, zu gebrochenen Kiefern, zerquetschten Hoden und unter die Nägel getriebenen Zündhölzern, man verfuhr subtiler. So wurde der ehemalige Leiter der AA-Rechtsabteilung, Friedrich Gaus, gleichfalls ein Diplomat der „alten Schule“ und Formulierer des Hitler-Stalin-Pakts, als Kronzeuge mobilisiert. „Wenn Gaus zu opponieren wagte, pflegte Kempner ihn mit dem sanftesten Lächeln daran zu erinnern, daß Moskau einen Auslieferungsantrag gegen ihn gestellt hätte“ (R. Tüngel). Wer sich auf die „Nachwirkungen“ des Prozesses beschränken, nicht aber Vorgeschichte, Durchführung, die juristische, politische und historische Legitimation analysieren will, will keine Erforschung der historischen Wahrheit, sondern er erhebt den Siegerwillen zum Gesetz. Auch das hat Tradition. In der Zeitschrift Der Monat vom Februar 1951 fand Peter de Mendelsohn es fast obszön, daß AA-Diplomaten etwas anderes gewünscht hatten als die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, und daß Weizsäcker „nicht die letzte logische Konsequenz gezogen hat und bis zum militärischen Verrat gegangen ist“. In der Frankfurter Rundschau wurde unter dem Pseudonym Michael Mansfeld 1951/52 eine – von Blasius ausdrücklich gelobte – Artikelserie über eine braune Unterwanderung des AA in Bonn veröffentlicht. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß Mansfeld 1957 die Broschüre „Der Kurs ist falsch“ publizierte, in der er Motive und Tonfall der späteren Vergangenheitsbewältigung antizipierte. „Die Verbündeten beobachten unsere Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sehr genau“, heißt es dort. Daß Mansfeld jetzt auf der Frontseite der „Zeitung für Deutschland“ den Ritterschlag erhält, ist ein Treppenwitz. Hat man sich erst einmal auf die schiefe Ebene begeben, gibt es kein Halten mehr. Es ist ja wahr, daß Weizsäcker & Co. in dem Prozeß gelogen haben, daß sich die Balken bogen, doch was blieb ihnen anderes übrig? Blasius schreibt, Ernst von Weizsäcker sei „von seinen Verteidigern (zu denen sein Sohn Richard gehörte, D. N.) und mit Hilfe überlebender Nazi-Gegner zu einem ‚Mann des Widerstands‘ stilisiert worden. So schuf sich das im Aufbau befindliche Amt (…) jenen positiven Traditionsstrang von der Überzahl der ‚guten Weizsäcker-Männer‘ und der ‚verschwindenden Minderheit von ‚Ribbentrop-Männern‘.“ Der Artikel und die Reaktionen darauf lassen erahnen, welche Richtung die Kommissionsarbeit und die daran geknüpften Diskussionen nehmen würden. In einem nach Angstschweiß riechenden Leserbrief wiederholte Richard von Weizsäcker die längst wiederlegte Mär, sein Vater hätte „zentral am konspirativen Widerstand“ teilgenommen. Ein „kleiner Kreis vertrauter Kollegen, zu denen die Brüder Kordt, Albrecht Kessel, Adam Trott und andere gehörten“, habe unter seiner „verantwortlichen Leitung“ versucht, „ausländische Regierungen, vor allem die britische, mit allem Nachdruck zu alarmieren“. Prompt warfen Nachfahren der beiden hingerichteten Widerstandskämpfer aus dem AA Adam von Trott zu Solz und Hans Bernd von Haeften ihm vor, seit Jahren Unwahrheiten zu verbreiten. Nichts spricht gegen eine Revision des Geschichtsbilds Man kann dem biegsam-verlogenen Weizsäcker-Sohn diese Abfuhr und seine bevorstehende Demontage von Herzen gönnen und muß trotzdem sehen, daß hier die falschen Fragen gestellt werden und eine unzulässige Verkürzung und Moralisierung der Geschichte stattfindet. Man wird den Handelnden von damals nicht gerecht, wenn man sie anhand eines eng gefaßten Begriffs von „Widerstand“ nach dem Motto sortiert: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen! Dieses Aschenputtel-Prinzip ist die direkte Folge eines künstlich verkürzten Horizonts, der hier die „Nürnberger Linie“ genannt sein soll: In den Nürnberger Prozessen wurde dekretiert, daß der Zweite Weltkrieg ausschließlich auf den unbedingten Kriegswillen Hitlers zurückzuführen sei – im Umkehrschluß muß es sich also bei Stalin, Churchill, Roosevelt und, nicht zu vergessen, beim polnischen Außenminister Beck um untadelige Friedensfürsten gehandelt haben. Unter Hinweis auf Gerd Schultze-Rhonhofs Buch „Der Krieg, der viele Väter hatte“ war in dieser Zeitung kürzlich behauptet worden, die Siegermächte hätten dieses Geschichtsbild 1990 per Überleitungsvertrag gesetzlich zementiert. Das trifft nicht zu. Festgelegt wurde dort lediglich die Gültigkeit der Prozesse, was bedeutet, daß ihre Entscheidungen nicht als „von Anfang an nichtig“ erklärt werden können. Das ändert nichts daran, daß fatale Irrtümer und Folgen im nachhinein revidiert werden dürfen. Rechtlich spricht also nichts gegen eine Revision des verengten Geschichtsbilds. Aber welchem Forscher in Deutschland ist soviel Unabhängigkeit zuzutrauen? Doch weiter: Weil für die Nürnberger Tribunale feststand und von der Verteidigung nicht hinterfragt werden durfte, daß der Ausbruch des Krieges 1939 von der deutschen Führung „wohlüberlegt und eingehend vorbereitet war“ und an der deutschen Alleinschuld kein Zweifel bestand, mußte auch das AA am „Verbrechen gegen den Frieden“ mitgewirkt haben. So wurde Weizsäcker die „Planung eines Angriffskriegs“ vorgeworfen, was schließlich den Richtern und sogar Winston Churchill zu bunt war. Der Anteil anderer Staaten an der Eskalation zum Kriege, die Absichten und Auswirkungen ihrer diplomatischen und militärischen Schachzüge, Planungen usw. durften nicht zur Sprache kommen. Um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, blieb Weizsäcker also nur, sich als Haupt des Widerstands darstellen zu lassen. Mit der Demontage dieser Stilisierung ist nicht viel gewonnen, denn das Problem liegt tiefer: Es liegt in der Fehlkonstruktion des Wilhemstraßenprozesses selbst. Das Handeln gerade der nichtnazistischen deutschen Diplomaten läßt sich nur adäquat beurteilen, wenn man bereit ist, die simplizistische Nürnberger Linie zu überschreiten. Alles andere führt letztlich zum billigen Moralismus. Margret Boveri deutete das an mit dem Hinweis, „vor der historischen Forschung hat sich meist erwiesen, daß Recht und Unrecht, Torheit und Intelligenz, Verlogenheit und guter Wille auf beide Seiten verteilt waren. Wenn auch nur diese Tatsache theoretisch zugestanden würde, dann wäre der erste Schritt zu einem Verhandeln auf Gegenseitigkeit statt auf bedingungslose Kapitulation gemacht.“ Dazu ein Beispiel: Zeuge der Anklage im Prozeß war der Diplomat Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz. Er entspricht voll dem landläufigen Bild des Widerständlers: Er betätigte sich als Spion an der deutschen Botschaft in London. Sein Führungsoffizier war der Vater des Schauspielers Peter Ustinov. Putlitz empfand tiefen Widerwillen gegen die Nationalsozialisten und die Appeasement-Politik des britischen Premiers Neville Chamberlain. Er entschloß sich, ausgerechnet dem Diplomatischen Berater im Foreign Office und pathologischen Deutschenhasser Robert Vansittart „Waffen für seinen Kampf gegen Chamberlain zu liefern“. Unter anderem übermittelte er ihm den Inhalt von Geheimakten Ribbentrops, die Auskünfte über den inneren Zirkel um Chamberlain enthielten. Naiverweise nahm er an, Vansittart in seiner Unnachgiebigkeit gegenüber Deutschland bestärken zu müssen, und forderte ihn auf, die deutsche Politik bloß nicht zu günstig zu beurteilen. Im Januar 1939 sagte ihm Vansittart, daß ein Krieg unvermeidlich sei, und versprach seinem Informanten für den Kriegsfall Asyl in Großbritannien. Putlitz erklärte ihm, er sei Hitlergegner, aber falls Vansittart „dabei auch Deutschland vernichten“ wolle, könne er unmöglich auf seiner Seite stehen. Vansittart erwiderte: „Glauben Sie denn, wir hätten aus Versailles nichts gelernt. Solche Fehler werden wir nie wieder machen. Wir wissen aus Erfahrung, daß ein unbefriedigtes Deutschland stets eine Gefahr für Europa darstellt. Unser heutiges Kriegsziel gegenüber Deutschland möchte ich in fünf Worten zusammenfassen: volle Speisekammern und leere Arsenale (…)“. Der deutsche Möchtegern-Machiavelli begriff nichts und notierte: „Ich konnte an so viel Verständnis zunächst kaum glauben (…)“. Einem klügeren Kopf wäre ein Licht aufgegangen. Hatte der Versailler Vertrag denn nicht gezeigt, daß dem Waffenlosen auch die Speisekammern leergeräumt werden? Ihm wäre die Möglichkeit eines angedachten Super-Versailles aufgegangen, und er hätte sich gefragt, ob es, um der deutschen Kriegspartei in den Arm zu fallen, ausreiche, ausländischen Kräften zuzuarbeiten, denen an Deutschland möglicherweise mehr als nur die NS-Diktatur mißfiel. „Eine neue, ja brandneue Lebenseinstellung“ Der Gedanke läßt sich noch weiter spinnen: Die vom schwedischen Unterhändler Birger Dahlerus mitgeteilte und von der deutschen Geschichtsschreibung zumeist unterschlagene Einschätzung des polnischen Botschafters in Berlin, Józef Lipski, vom 31. August 1939, Polen habe keinen Anlaß, sich für deutsche Verhandlungsangebote zu interessieren, denn nach Beginn der Kriegshandlungen würden in Deutschland Unruhen ausbrechen und die polnischen Truppen könnten erfolgreich auf Berlin marschieren – diese größenwahnsinnige wie tragische Fehleinschätzung ist wohl nur erklärlich, wenn man sie auf britische Insinuationen zurückführt, die sich wiederum auf Signale aus dem deutschen Widerstand bezogen, die Gegenseite müsse nur fest bleiben, dann würde Hitler gestürzt. Man kann diese Signale moralisch gutgemeint finden, politisch klug und realistisch waren sie nicht. Im Kriegswinter 1939/40 beschwor Putlitz, der bei Kriegsbeginn nach England geflüchtet war, einen Angehörigen von Chamberlains Kriegskabinett, „ein deutsches Freiheitskomitee ins Leben zu rufen und uns wenigstens in großen Zügen verbindliche Friedensbedingungen bekanntzugeben“. Die erhielt er genausowenig wie die deutsche Führung, die auf verschiedenen Kanälen versuchte, von Großbritannien Bedingungen für einen Friedensschluß zu erfahren. Es ging den Alliierten um keinen machtpolitischen Ausgleich mehr, sondern der Krieg sollte, wie Vansittart in seinen als „Black record“ bekanntgewordenen Rundfunkreden darlegte, als die „bisher weitestgehende geistige Heilbehandlung der Geschichte“ geführt werden. Zu dieser „Kur“ müßten die Deutschen selber ihren Teil beitragen, nämlich „einen völligen Wandel des Herzens, der Gesinnung und der Seele (…) auch des Geschmacks, des Temperaments und der Gewohnheiten; neue Standards im Bereich der Moral und Werte und eine neue, ja brandneue Lebenseinstellung“. Nicht weniger als die totale Niederlage war die Voraussetzung dafür. Ist es angesichts dessen wirklich unanständig, wenn AA-Mitarbeiter wie Weizsäcker eine Öffnung der Front für die gegnerischen Truppen für ein unkalkulierbares Risiko hielten? Moralismus führt an sehr wesentlichen Fragen vorbei Aus dem gleichen Grund scheiterte Adam von Trott bei seinen Versuchen, von den Alliierten die Zusicherung zu erhalten, einen militärischen Umsturz nicht zur Zerschlagung Deutschlands auszunutzen. Der holländische Theologe Visser ‚t Hooft, der ihn unterstützte, schrieb später: „Er fühlte sich im Stich gelassen von Männern, die er im Kampf gegen Hitler als Waffenbrüder betrachtet hatte. Er hatte fest auf eine übernationale Solidarität bei der Verteidigung gemeinsamer Grundwerte gebaut, und sie war ihm verweigert worden.“ Man sieht, daß der treudeutsche Moralismus, der in der aktuellen Geschichtsschreibung vorherrscht, an sehr wesentlichen Fragen vorbeiführt. Zwei enge Mitarbeiter Weizsäckers im Auswärtigen Amt, die schon erwähnten Brüder Theo und Erich Kordt, hatten 1938/39 und nochmals 1940 Vansittart ebenfalls kontaktiert. Nach dem Krieg fragte Erich Kordt in ohnmächtiger Wut: „Wünschte er überhaupt ein anderes Deutschland, ein verhandlungsfähiges Deutschland ohne Hitler, oder wünschte er Deutschlands Vernichtung?“ Im Wilhelmstraßenprozeß, um den Staatssekretär herauszupauken, behauptete er, dieser persönlich hätte die Kontakte angeregt. Es spricht doch wohl eher für als gegen Weizsäcker, daß das nicht den Tatsachen entspricht. Wenn es möglich ist, solche Fragen und Zusammenhänge frei zu diskutieren, sind die Voraussetzungen für eine unabhängige Historikerkommission gegeben, aber keinen Tag früher! Foto: Angeklagter Ernst von Weizsäcker im Nürnberger „Wilhelmstraßenprozeß“ (1947/49): Fehlkonstrukt

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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