Der Wähler hat gesprochen, und so schwierig es nun für die Parteien in Berlin auch sein mag, eine tragfähige Regierungskoalition zu bilden, scheint der Respekt vor dem Votum der Bürger doch bei weitem zu überwiegen. Eine Ausnahme stellt Hans-Herbert von Arnim dar. Der Starquerulant unter den Systemkritikern sieht die Stabilität der politischen Ordnung in Gefahr, da durch die Zersplitterung der Parteienlandschaft nunmehr keines der großen Lager für sich noch Aussicht auf eine parlamentarische Mehrheit hätte. Als Ausweg aus diesem Dilemma empfiehlt er den Übergang zu einem Mehrheitswahlrecht, das die Polarisierung zwischen lediglich zwei Alternativen fördern und in der Regel für klare Verhältnisse im Bundestag sorgen könnte.
Dieser Vorschlag ist allerdings alles andere als originell. In der Geschichte der Bundesrepublik war er stets dann zu vernehmen, wenn sich die beiden großen Volksparteien von einer Manipulation des Wahlrechts die Chance versprachen, die unliebsame Konkurrenz der Kleinen quasi durch einen Staatsstreich auszuschalten, ohne die Gründe für deren Erfolg selbstkritisch aufarbeiten zu müssen. Die Drohung mit dem Mehrheitswahlrecht ist der Ausdruck eines zutiefst antidemokratischen Politikverständnisses und daher aus dem Munde von Arnims durchaus nicht überraschend. Unter dem Vorwand, die Bürger vor den Auswüchsen von Bürokratie und Parteienherrschaft schützen zu wollen, betreibt er seit langen Jahren eine gezielte Agitation gegen die Verfassungsordnung zugunsten einer liberalen Autokratie, die dem technokratischen Funktionieren eines schlanken Staates den Vorrang vor einer Repräsentation des Volkswillens gibt.
Nicht selten verstecken die Protagonisten des Mehrheitswahlrechts ihre zwielichtigen Intentionen hinter dem fadenscheinigen Argument, "Weimarer Verhältnisse" verhindern zu müssen. Unterstellt wird dabei, daß die erste Republik an ihrer bunten Parteienvielfalt gescheitert sei. Diese Auffassung ist jedoch historisch fragwürdig und zeugt zudem von einem Mißtrauen gegen den Souverän, das in einer Demokratie fehl am Platz ist. Je stärker sich der Pluralismus der Meinungen und Interessen in der Volksvertretung widerspiegelt, desto besser ist es um den Parlamentarismus bestellt. In dieser Hinsicht wäre die zweite Republik gut beraten, sich endlich ihre Vorgängerin zum Vorbild zu nehmen und die Fünf-Prozent-Sperrklausel als gegen innovative Kleinparteien gerichtete Wettbewerbsbeschränkung abzuschaffen.