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Territorialgeschichte der Unfreiheit

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Thüringen war nach 1945 für die kommunistischen Machthaber in Ost-Berlin zwar „Provinz“, aber keine sichere Basis der Herrschaft. Dies hatte mehrere Gründe. Bei Kriegsende war das Land zuerst von den Amerikanern und weitgehend kampflos besetzt worden. Die Traumata der Besetzung durch die Rote Armee blieben der Bevölkerung im allgemeinen erspart, auch als die Amerikaner sich im Austausch des Landes gegen West-Berlin am 1. Juli wieder zurückzogen. Mittelständische Strukturen waren noch lange wirksam und leisteten der kommunistischen Gleichschaltung Widerstand. Die lange Grenze zu Bayern und Hessen gestattete bis 1952 und teilweise noch später die Pflege verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen in den Westen. Die gegenüber der Bundesrepublik geographisch exponierte Lage ermöglichte stets einen problemlosen Empfang des westdeutschen Hörfunks und Fernsehens. Freiheitliche Traditionen aus einigen der ehemaligen thüringischen Kleinstaaten, insbesondere Sachsen-Weimar, blieben im historischen Bewußtsein existent. Die SED hatte es auch in diesem Teil ihres Herrschaftsbereichs niemals leicht. Die Autoren des hier anzuzeigenden Buches, Ehrhart Neubert und Thomas Auerbach, beide Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, sind durch Publikationen zur Geschichte der DDR bestens ausgewiesen. Neben dem erleichterten Zugang zu den Akten ihrer Behörde kommt ihnen zugute, daß sie als Mitarbeiter der Kirche in Thüringen selbst im Widerstand aktiv waren. Auerbach, der die DDR 1977 nach politischer Haft zwangsweise verlassen mußte, profitiert auch von seinen Erfahrungen als Referent in der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit des Gesamtdeutschen Instituts in West-Berlin. So ist eine Territorialgeschichte Thüringens entstanden, die alle Aspekte von der gewaltsam beendeten schüchternen Demokratisierung nach 1945 bis zur friedlichen Revolution 1989 umfaßt. Das Buch ist gut lesbar, berücksichtigt die einschlägige Literatur, das entsprechende Verzeichnis umfaßt acht eng bedruckte Seiten und enthält zusätzliche Aktenfunde aus der Birthler-Behörde und aus Privatarchiven. Für die politische Bildung wie für weiterführende Forschung ist es damit unverzichtbar. Es ist sachgerecht und auch menschlich verständlich, daß die Autoren besonders die Rolle betrachten, die die evangelische Kirche gespielt hat, standen sie doch als Pfarrer und Diakon mitten in der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Regime. Dabei werden die dunklen Seiten der zum Teil konspirativen Zusammenarbeit mehrerer kirchenleitender Mitarbeiter mit der SED und vor allem dem MfS nicht verschwiegen. Es ist dem Regime zweifellos gelungen, durch sie und weitere „Inoffizielle Mitarbeiter“ Einfluß auf die Thüringer Kirche als Teil der einzigen Organisation in der DDR zu gewinnen, die formal nicht von der SED abhängig war. Die Autoren nennen fast immer Namen. Daß der Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, der in den Jahren 1970 bis 1989 vom MfS als IM „Sekretär“ erfaßt wurde, nur ganz am Rande erwähnt wird, kann man damit erklären, daß er keine Funktion in der Landeskirche innehatte. Man soll aber Autoren, die im Bundesdienst tätig sind, beim kritischen Umgang mit einem noch amtierenden Bundesminister auch nicht überfordern. Dem Landesbischof der Jahre 1947 bis 1970, Moritz Mitzenheim, wird der Hinweis nicht erspart, er habe unter dem Einfluß seines als IM „Karl“ vom MfS erfaßten Oberkirchenrats Gerhard Lotz gestanden. Das kann aber nicht die ganze Wahrheit gewesen sein. Mitzenheim legte die „Zwei-Reiche-Lehre“ Luthers so aus, daß der Christ „Gott und der Staatsregierung“ zu dienen habe. Damit brachte er es zum bevorzugten Gesprächspartner der DDR-Regierung und Vertreter einer konsequent staatsloyalen Kirchenpolitik. Eitelkeit und Reiselust – Mitzenheim pflegte Kontakte in aller Herren Länder und wußte Ehrungen seiner Person zu schätzen – spielten dabei wohl auch eine Rolle. Als sein Bruder Edgar, der Landpfarrer in Thüringen war, wegen Unterstützung der Aufständischen vom 17. Juni 1953 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, konnte der Landesbischof jedoch keine vorzeitige Haftentlassung erwirken. Dieser und andere Fälle ändern nichts daran, daß die Kirche mehrheitlich ein Hort des Widerstandes gegen kommunistische Indoktrination war. In den achtziger Jahren bot die Kirche Oppositionellen ein Dach, unter dem sie sich versammeln konnten, Ausreisewilligen, die ihre beruflichen Stellungen verloren hatten, oft auch Arbeit und damit wenigstens das Existenzminimum. In Arbeitsgruppen konnten Umweltprobleme diskutiert werden – man übte schon einmal Demokratie. Viele Pfarrer, die sozusagen von Amts wegen redegewandt waren, stellten sich den neuen oppositionellen Strukturen als Sprecher zur Verfügung und ermöglichten damit den Übergang zur Parteien-Demokratie. Jetzt sind sie oft Berufspolitiker. Andere blieben im Amt und sind enttäuscht, daß die Popularität der Kirche die „Wende“ nicht überdauert hat. Aber das ist schon ein anderes Buch. Ehrhart Neubert, Thomas Auerbach: „Es kann anders werden“. Opposition und Widerstand in Thüringen 1945-1989, Böhlau Verlag, Köln 2005, 295 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

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