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Schnee auf dem Pergamonaltar

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Schnee auf dem Pergamonaltar

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Ins Berliner Themenjahr 2005 -„Zwischen Krieg und Frieden – 60 Jahre Kriegsende in Europa“ ( www.zwischen-krieg-und-frieden.de ) – sind Preußischer Kulturbesitz und die Staatlichen Museen zentral involviert, fällt doch der 60. Jahrestag des Kriegsendes zusammen mit dem 175jährigen Bestehen der Berliner Museen. 1830 wurde Schinkels monumentaler Bau mit seiner gewaltigen Säulenhalle einer humanistischen Öffentlichkeit übergeben. Damit erhielten die Kunstschätze der preußischen Kurfürsten und Könige einen würdigen Rahmen und institutionelle Autonomie. Schon die Programmatik der Gründer verknüpfte dabei die Bildungsidee mit der Universalität menschlicher Schöpferkraft, wie sie in den Weltkulturen erscheint. In kontemplativer Aneignung vollzieht nun das humanistische Bewußtsein virtuell die Arbeit nach, welche der Weltgeist real schon vollbracht hat. Konsequent wandten sich auch die Berliner Sammlungen bald ins Universale, griffen weit über Antike und Abendland hinaus. Hatten in der Vergangenheit dynastische Kontakte manche Exotica eingetragen, sorgten nun geniale Forschungsreisende wie Alexander Humboldt, Richard Lepsius oder Walter Andrae für immensen Zuwachs an Altertümern. Die Sammlungen expandierten und wuchsen seit dem Neuen Museum (1845) sich zu immer neuen Abteilungen und Bauten aus. 1886 entstand so auf Initiative Adolf Bastians das (kriegszerstörte) ethnologische Museum. Bastian (1826-1905), dessen legendäres Werk gerade eine eindringliche Retrospektive gewürdigt hat, gilt als „Vater der deutschen Völkerkunde“. Regierte er als Museumschef zunächst alle Volkskulturen, verselbständigten sich später diverse Abteilungen, so Indien, Ostasien oder Altmexiko. Jüngster Zweig in diesem Prozeß ist das auf Alltagsgeschichte und Brauchtum spezialisierte Museum Europäischer Kulturen (1999), das nach seinem Umzug ins Dahlemer Museenquartier eben dort mit zwei großen Ausstellungen jetzt das Kriegsende vergegenwärtigt. Kulturell bot die Stunde Null Altbewährtes und Zäsur Ein sozialhistorischer Veranstaltungskomplex „ÜberLeben 1945 – Umbruchzeiten 1945“ beschreibt den Überlebenskampf der Berliner Bevölkerung nach zentralen Aspekten wie: Vertreibung, Hunger, Wohnungsnot, Kinderwelten, politischer und kultureller Neubeginn. Zwar ist man historisch korrekt stets um das Prius deutscher Schuld bemüht, vermeidet vorsichtig alle Bitterkeit und neigt bisweilen zu sprachlichen Euphemismen: Flucht und Vertreibung werden in den „europäischen Kontext“ gestellt, man spricht von „Erzwungenen Wegen“ und umschreibt die Betroffenen als „Bewegte Menschen – Menschen in Bewegung“. Doch fächert die sehr lebendige Schau ein ungeschminktes Bild alltäglicher Not im Berlin der Nachkriegszeit auf. Care-Pakete, Selbstgeschneidertes aus Wehrmachtsmänteln, improvisiertes Kochgerät in Ruinenlandschaften und kindliche Schulaufsätze über die Schrecken des Endkampfs verweisen den Besucher direkt an die Tatsachen, zahlreiche Hörstationen liefern die authentischen Tondokumente dazu. Kulturell bot die Stunde Null eine bezeichnende Mischung aus Altbewährtem und ästhetischer Zäsur. Pilgerstätten in der Trümmerlandschaft waren die erhaltenen Kinos und Theater, die bald wieder öffneten. Halsbrecherisch oft das Abenteuer, dorthin zu gelangen. Riesenerfolge feierte nach wie vor Marika Rökk in „Die Frau meiner Träume“, letzte Großproduktion der UFA (1944), während Staudtes heute hochgeschätztes politisches Bewältigungsdrama „Die Mörder sind unter uns“ (1946) mit Hilde Knef kaum Beachtung fand. Theatralisch schätzte man Klassikinszenierungen; hier moderierte Gründgens als künstlerische Integrationsfigur den Neuanfang, wie reiches Bildmaterial veranschaulicht. Zur literarischen Avantgarde zählte damals Thornton Wilder, dessen „Kleine Stadt“ und ironisch-mythologisches Stück „Wir sind noch einmal davongekommen“ echte Renner wurden. Sein existentialistisches Literaturmodell ermöglichte formal den Anschluß an die ästhetische Moderne, inhaltlich aber die befreiende Einfügung persönlicher Leiderfahrung in eine universale Perspektive menschlicher Tragik. Zyklisches Bauprinzip und kosmischer Kreisgedanke bilden hier die aktuelle Katastrophe dramatisch auf eine archetypische Konstellation ab. Zu 80 Prozent zerbombt waren auch die Berliner Museen. Ihrem Schicksal widmet sich nun eine Parallelausstellung („Die Stunde Null – Die Staatlichen Museen zu Berlin“). Sie verfolgt vor dem Hintergrund der Geschichte der Sammlungen deren individuelle Schicksale von Kriegsbeginn bis in die Nachkriegszeit, zeigt Gerettetes und dokumentiert Verluste. Der Museumsbetrieb schloß 1939. Seitdem baute das Personal die Schauräume ab und evakuierte die Sammlungen. Sie wurden ausgelagert in Kellerräume, dann in Tresore der Reichsbank, in Speers Flakbunker in Friedrichshain und am Zoo, schließlich abtransportiert auf Landgüter und in Bergwerkstollen. Dann kamen die Alliierten. Im russisch eroberten Berlin schleppten die Sowjets alles weg, was nicht zuvor verbrannt oder geplündert war. Westlich sammelten Amerikaner und Briten umherirrende Kulturgüter und konzentrierten sie in ihren collecting points, Wiesbaden und Celle, während das von den Sowjets, zumal ihren „Trophäenkommissionen“ Beschlagnahmte abwanderte gen Moskau. Im Winter 1945/46 schneite der ungeschützte Pergamonaltar ein, bis Soldaten auch seine Riesenfiguren und Reliefs demontierten und ostwärts karrten. Zurück blieb nur wenig. Die Museen waren unterschiedlich betroffen; manche erlitten einen Totalverlust, so die ostasiatische Sammlung. Erst in den Jahren 1955 bis 1960 gab die UdSSR wesentliche Kunst- und Kulturgüter an die DDR zurück. Während des Kalten Krieges entstanden in Ost und West separate Sammlungen, 29 an der Zahl, die erst die Wende zu 16 neuen Museen zusammenführte. Ausstellung und Dokumentationsbände verbinden Museen- und Disziplingeschichte mit Exkursen zu zahlreichen Einzelwerken: Herkunft, Gegenwart, Verbleib. Bisweilen gibt’s ein glückliches Ende. So restaurierte man vor Jahren einen Engel Guido Renis – herrlich, doch rahmenlos – in Dahlem, während gleichzeitig den Ost-Berliner Kollegen im Bode-Museum ein leerer Keilrahmen mit barbarisch ausgeschnittener Leinwand Rätsel aufgab. 1990 erwies sich beides dann als zugehörig. Also kam zusammen, was zusammengehörte. Doch nicht jede Wunde wandelt sich in ein Vereinigungssymbol. Das Schicksal vieler Kunstwerke bleibt ungewiß Vieles galt nach 1945 als definitiv verschollen. Erst die Integration des Preußischen Kulturbesitzes und museologische Inventarisation schaffen heute Aufklärung. Vernichtet Geglaubtes taucht wieder auf. So zur größten Überraschung die „Leningrad-Sammlung“, ein Kontingent von 50.000 völkerkundlichen Objekten, 1977/78 von Rußland ans Leipziger Grassi-Museum diskret restituiert. Trotzdem bleiben gravierende Verluste. Allein das Beutegut der in Rußland zurückgehaltenen Kunstwerke wird noch auf 1,5 Millionen geschätzt. So entdeckten deutsche Kustoden 2001 in der Petersburger Eremitage allein 50 Prozent der vermißten ostasiatischen Kunstobjekte. Chancenreich ließen sich die bilateralen Verträge von 1990 und 1992 über kulturelle Zusammenarbeit an, die eigens Rückführungsklauseln enthalten. Doch boykottierte die Duma das Abkommen 1998 mit einem Föderationsgesetz, das sämtliche Beutekunst zum russischen Eigentum erklärt. Während die Zusammenarbeit der Fachleute (in den Bereichen Dokumentation und Restaurierung) Fortschritte macht, Eremitage oder Tretjakow-Galerie für Deutsche zugänglich werden, boykottieren andere jegliche Kooperation. So das Moskauer Puschkin-Museum. Gerade dorthin waren 1945 drei Kisten der Kategorie „Unersetzliches“ aus dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte gelangt. Sie enthielten Schliemanns Trojafunde und den Eberswalder Goldschatz. Nachdem er jahrzehntelang im Depot versteckt war, präsentierte Moskau den Schliemann-Schatz erstmals 1996 der Öffentlichkeit. Auch die Staatsbibliothek vermißt nach wie vor 700.000 kostbare Einheiten. Vermutlich in Rußland liegt ein unersetzliches Kontingent mit 3.900 Inkunabeln des 15. Jahrhunderts und die wertvollste Sammlung von 5.600 Luther-Drucken aus dem 16. Jahrhundert. Ungewiß bleibt vieles. Was geschah mit den 440 großformatigen Bildern der Gemäldegalerie im Flakbunker Friedrichshain? Der brannte zu Kriegsende aus. Vermißt werden seitdem einzigartige Meisterwerke von Rubens oder Menzel. Sind sie verbrannt oder verschleppt worden? So wirkt der herrliche Renaissancerahmen, der einst das gewaltige Tondo Botticellis, „Maria mit den Leuchterengeln“, einfaßte, wie eine offene Frage. 1945 gerettet, schmückt er jetzt die Ausstellung wie ein rätselhaftes Emblem. Gesichtslos starrt uns sein leeres Rund an, ein „Bild“ ohne Mitte. Unfaßbar, wie das deutsche Schicksal. Die Ausstellung „ÜberLeben 1945 – Umbruchzeiten 1945“ ist bis zum 16. April 2006, die Ausstellung „Die Stunde Null – Die Staatlichen Museen zu Berlin“ bis zum 15. Januar 2006 im Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, zu sehen.Info: 030 / 83 90 12 87 Fotos: In der Durchfahrt der zerstörten Nationalgalerie (Berlin 1947): Die Museen waren zu 80 Prozent zerbombt, Trümmerfrauen tanzen zur Leierkastenmusik (Berlin 1945)

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