Der Markt ist Trumpf. Unlängst akzeptierte die VW-Belegschaft Lohnkürzungen, damit ein Teil der Produktion nicht ins Ausland verlagert wird. Was es bedeutet, wenn Marktregeln absolut herrschen, gleichzeitig der Staat zur Kulisse degeneriert, untersucht der frühere Bundesminister und SPD-Ideologe Erhard Eppler. Die Idee sozialer Gerechtigkeit, behauptete Friedrich Ludwig Hayek, sei „das trojanische Pferd gewesen, durch das der Totalitarismus eingedrungen ist“. Senkt die Steuern! Dieser Ruf hallt täglich durch die Arena. Bekanntlich verlangen manche sogar, die Einkommensteuer zu nivellieren. Nur so viel Staat, wie der Markt benötige, wollen bissige Neoliberale dulden. Obwohl die deutsche Steuerquote unter dem OECD-Durchschnitt liege, genüge das vielen Vertretern der Wirtschaft noch nicht. Leidenschaftlich plädiert der Autor gegen die Demontage der öffentlichen Hand. Ist der Staat zerrüttet, drohe die Barbarei. Selbst bei guter Konjunktur beseitige der Markt immer mehr Arbeitsplätze. Neue Informationstechno-logien machen ganze Branchen überflüssig. Heute verringern auch Firmen, die prosperieren, die Zahl ihrer Stellen. Ausnahmen seien die ökologische Energiewirtschaft und „Humandienstleistungen“ wie Bildung und Gesundheit. Gerade hier bedürfe es jedoch staatlichen Engagements, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu investieren. Deutschland tue dies zu wenig. Die neoliberale Theorie folge den vermeintlichen Zwängen der Globalisierung. Das Ende der kommunistischen Planwirtschaften stärkte diesen Trend. Vielfach importierte Osteuropa als Ersatz marktradikale Ideen. Heute diktieren Konzernchefs die Vertragsbedingungen, während staatliche Kompetenzen schrumpfen. Zur neoliberalen Doktrin gehöre der Glaube an die Unfehlbarkeit wirtschaftlicher Privatinitiative. Allerdings verdienen deren Resultate nicht nur Beifall. Die Konkurrenz erzwinge Einsparungen, behindere oft notwendige Modernisierungen und verleite dazu, wenig qualifiziertes, billiges Personal zu engagieren. Gebe es keine öffentlichen Betriebe mehr, verlieren die Kommunen demokratische Mitspracherechte. Private Sicherheitsfirmen gefährdeten sogar das staatliche Gewaltmonopol. Unterminiert der globale Kapitalismus Staat und Demokratie? Die „Flexibilisierung der Arbeitsmärkte“ betone faktisch das „Recht des Stärkeren“. In der europäischen Tradition gelte aber soziale Absicherung als unverzichtbar. Generell müßten demokratische Gesellschaft und Staat verknüpft werden. Daher will Eppler auf nationalstaatlicher Ebene Plebiszite ermöglichen. Wo er diese Ebene verortet, ist allerdings unklar, da Eppler den Nationalstaat in der Europäischen Union für „aufgehoben“ hält. Viele seiner Kompetenzen gingen nach Brüssel, dieser Prozeß sei irreversibel. Jedoch schütze der EU-Rat die Bürger nicht vor nachteiligen Aspekten des Welthandels, zumal die „marktradikale“ EU-Kommission ständig neue Ängste wecke. Eben hier verirrt sich der Autor in einem Labyrinth unausgesprochener Widersprüche. Wenn die EU kein Staat ist und nicht sein kann, wie soll sie eine „transnationale“ demokratische Zivilgesellschaft begründen? Haben wir uns damit abzufinden, daß Demokratie und soziale Gerechtigkeit zwischen ausgezehrten Nationalstaaten und der EU-Bürokratie allmählich verdunsten? Ist die „Globalisierung“ tatsächlich so neu? Gab es sie nicht schon im Kolonialzeitalter, ohne die Bedeutung der Nationalstaaten gemindert zu haben? Letztlich weiß Eppler viele Fragen nicht zu beantworten. Erhard Eppler: Auslaufmodell Staat? Edition Suhrkamp, Frankfurt/Main 2005, 230 Seiten, broschiert, 9 Euro
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