An dem erstmals vom Freien Deutschen Autorenverband (FDA) ausgelobten Literaturpreis für Kurzprosa ohne Themenvorgabe (JF 43/04) haben sich genau 1.823 Einsender beteiligt und Hoffnung auf das Preisgeld von 3.000 Euro gemacht. Das war für drei Juroren sowohl harte Arbeit als auch eine Zumutung. Wie das Jury-Mitglied, der Schriftsteller und langjährige Lektor Joachim Walther, kürzlich erklärte, bot die aus dem gesamten deutschsprachigen Raum anonym eingesandte Textflut einen „dekuvrierenden Einblick in die Seelenlage der Nation“. Und? „Es sieht nicht sonderlich lustig aus da drinnen in der deutschen Volksseele.“ Sei eine Vielzahl der Manuskripte noch so schlecht, sie reiche allemal, Soziologen, Theologen oder Politiker in Verlegenheit zu bringen. Walther filterte mehrere Stufen heraus: Auf Platz eins steht die Vereinsamung und Verlassenheit des Menschen. Auf Platz zwei folgen die gestörten Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen, und auf weiteren Rängen folgten Verluste von sozialer Sicherheit und Sinnhaftigkeit sowie aufgegebene Hoffnungen, verfallende Werte. Das heißt: Das Land ruiniert sich nicht nur wirtschaftlich. Es bestätigt sich, was die 1971 geborene und in einem linken Kinderladen aufgewachsene Autorin Sophie Dannenberg in ihrem 2004 erschienenen Buch „Das bleiche Herz der Revolution“ so formulierte: „Die 68er waren groß im Zerstören von Institutionen und Werten: Die deutschen Universitäten haben sie auf dem Gewissen, die Familie, das Leistungsprinzip, Etikette und Anstand, Verläßlichkeit und Geborgenheit (…) Was die 68er damals ideologisch legitimierten, hat sich gesellschaftlich vollzogen, aber nicht als Utopie, sondern als Verwahrlosung.“ Die Begutachter mußten aus den eingesandten Arbeiten neben dem ersten Preis noch 20 weitere Arbeiten für eine Anthologie auswählen; unter ihnen waren Frauen souverän die Gewinner, wobei „der Abstand zu anderen preiswürdigen Geschichten“, wie die Juroren meinten, „im literarischen Mikrometerbereich“ lag. Doch den ausgeschriebenen Preis verdiente sich der 1964 im sächsischen Glauchau geborene Jörg Jacob mit seiner Erzählung „Fortgesetzter Versuch, einen Anfang zu finden“. Jacob ist, wie er von sich selbst sagt, ein literarischer Spätzünder. Er erlernte einst den Beruf eines Polsterers, arbeitete als Handwerker, Hilfspfleger, Tellerwäscher und stand am Fließband einer Fabrik, bevor er über ein Abendgymnasium das Abitur erlangte und 2003 das Diplom am Deutschen Literaturinstitut erwarb. Seitdem ist er freiberuflich, was in diesen kulturlosen Zeiten von großer Kühnheit zeugt. Insofern bekam ein in jeder Hinsicht Würdiger und zugleich Bedürftiger den ersten Literaturpreis des FDA. Die Aufmerksamkeit der Medien dafür hielt sich in engsten Grenzen.