Der Dichter – ein bramarbasierendes Scheusal. Zumindest in Gestalt des fiktiven Jugendstil-Barden Gregor Mittenhofer, den Hans Werner Henze in seiner Oper „Elegie für junge Liebende“ dunkler nicht hätte porträtieren können. In seiner damals sehr sozialkritischen Phase hat der seriellen Interpretationen stets abholde Komponist Anfang der 1960er Jahre ein hochartifizielles Künstlerdrama vertont. Im Repertoire hielt sich das im Gegensatz etwa zu seinem „Prinz von Homburg“ zwar nicht, aber das düstere alpine Musik-Drama ist gleichwohl ein Kabinettstück der Neuen Musik. Mittenhofers „Muse“, die in einen ihm auch noch vertrauten Jüngeren verliebt ist, schickt er notabene auf Bergeshöhen, die beiden Jungen gehorchen, weniger der Not als dem hehren Ziel folgend, dem versponnenen Dichter ein Edelweiß zu bringen. Christian Pade hat das in nüchtern-funktionalem Rahmen (Ausstattung: Alexander Lintl) inszeniert, die Staatsoper kann sich während der Aufführungsserie zwar keines vollen Hauses brüsten, dafür aber hohen Renommees. Führt sie doch als einziges der drei Berliner Opernhäuser zur Zeit ein Werk eines lebenden Komponisten auf, von Philippe Jordan umsichtig musikalisch geleitet. Der Generalmusikdirektor Daniel Barenboim nimmt daran allerdings nicht teil. Chefdirigenten pflegen an Berliner Opernhäusern allenfalls als seltene Gäste aufzutreten, gleich ob Barenboim an der Staatsoper Unter den Linden oder der scheidende Generalmusikdirektor Christian Thielemann an der Deutschen Oper in der Bismarckstraße. Die Abende sind schnell aufgezählt, an denen die hochdotierten Herren den Stab schwingen oder ab und an mit ihrem Opernorchester auf Tournee sind. Ansonsten gastieren sie bei anderen Klangkörpern in der Welt. Und diese Jet-Kultstars wissen genau um ihr Renommee. Wohl auch deshalb hat Thielemann so schnell (vielleicht auch gerne) seinen Rückzug aus Berlin angetreten. Mehr Geld wollte er für sein Orchester haben. Denn das war in den Jahren nach der Wende stets besser dotiert als die Staatstruppe in der Linden-Oper. Nun verdient man auf östlicher Seite mehr. Das wurmte den doch so berlinisch-deutsch empfindenden Thielemann. Das Geld kam nicht. PDS-Kultursenator Thomas Flierl wird’s sehr gut ins ideologische Konzept passen, diesen deutschen Kapellmeister mit seinen nicht-linken Ansichten loszuwerden. Thielemann streicht also die Segel, die Orchestermitglieder dürfen auf zusätzliches Geld verzichten. Man tourt gerne durch die Welt, wenn man sich’s leisten kann. Und Thielemann, Nachfolger von James Levine bei den Münchener Philharmonikern, kann nun andernorts seine preußische Strenge walten lassen. Die Deutsche Oper ist seit Jahren auf künstlerisch unsicherem Kurs. Nach dem Tode des langjährigen Statthalters Götz Friedrich glitt das Haus unter dem vormaligen Leipziger Chef Udo Zimmermann musikalisch vage durch die Zeiten. Als ein Glücksgriff dürfte sich die Ernennung der früheren Kieler Opernchefin Kirsten Harms zur neuen Intendantin erwiesen, die bereits in ihrer Zeit an der Förde für überregional beachtete Aufführungen gesorgt hat. Nicht zuletzt gelang es ihr, auch die Stadtpolitik von der nötigen Unterstützung zu überzeugen. In Berlin scheint vor allem Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) in kulturellen Dingen zu agieren – und zwar mit dem Rotstift. Kultursenator Flierl setzt wenig dagegen, und für den Regierenden Partymeister Klaus Wowereit dürfte die Deutsche Oper ohnehin zu wenig in Plüsch gekleidet sein. Daß dem Haus zwischendurch immer wieder musikalisch beeindruckende Aufführungen gelingen, zeugt von der Qualität des Ensembles und des Orchesters, bestimmt nicht von der genialen Organisationsstärke der zerzausten Berliner Kulturpolitik. Die Staatsoper hat da schon etwas mehr Glück. Geeignet für Staatsempfänge, gut für sektselige Pausen, geeignet zur hauptstädtischen Repräsentation: Nach einigen schwächelnden Jahren strömen nun wieder die Zuschauer, bekommen ihrerseits musikalische Aufführungen von einigem Glanz geboten. Intendant Peter Mussbach legte tatsächlich einige interessante Inszenierungen etwa der „Traviata“ oder von Schostakowitschs Opern-Vertonung von Gogols „Nase“ vor. Nach einigen unbestimmten, mauen Interpretationen, zu denen Mussbach auch immer wieder mit einigem Verve fähig ist, hat das Haus auch mit ungewöhnlichen Yellow-Press-Prominenten wie Percy Adlon, Doris Dörrie oder in der nächsten Spielzeit Bernd Eichinger von sich reden gemacht. Denen gelingen freilich nicht immer frappante Inszenierungen, aber was macht’s. Wenn selbst die Bunte sich für Oper interessiert, dann kann an dem Konzept nicht so viel falsch sein. Die Staatskapelle brilliert auch im Ausland unter ihrem Chef Barenboim; Neben einigen schwachen Aufführungen gelingen dem Haus immer wieder einmal künstlerische Höhenflüge. So ist das Ballett auch nach dem Abgang seines Star-Solisten Oliver Matz unter dem neuen Chef Vladimir Malakhov längst auf Erfolgskurs. Die künstlerische Qualität an der Komischen Oper ist dagegen noch längst nicht gesichert. Walter Felsensteins Vermächtnis scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Nach katastrophal-dümmlichen Aufführungen etwa von Ligeti, Britten, einem witzlos verunglückten „Vogelhändler“ oder jüngst einem im „kapitalismuskritischen“ Mief erstickten „Wozzeck“ braucht das Haus dringend wieder ein Erfolgserlebnis. Selbst der künstlerische Leiter Andreas Homoki, dem neben einigen schönen Inszenierungen immer wieder klamaukdurchsetzte Unfugs-Interpretationen wie etwa die verunglückte „Verkaufte Braut“ durchgehen, hat noch nicht viel Neues zu bieten. Freilich verfügt gerade dieses Haus über ein festes Ensemble, das immer noch in der Lage ist, durch genaue Zusammenarbeit und Vertrautheit für musikalisch reiche Aufführungen zu garantieren. Aus drei Opern-Balletten wird demnächst eines, und Malakhov, der designierte Chef einer alle drei Häuser durchtanzenden Compagnie, wird hoffentlich nicht noch im letzten Augenblick aus Wien mit einem lukrativeren Angebot weggelockt. Das künstlerische Personal an allen drei Häusern hat wirre Diskussionen, unsichere Versprechen und Spekulationen, wie sie seit der Wende ins Kraut schießen, nicht verdient. Keine Klarheit in der Kulturpolitik – die rot-rote Stadtkoalition bleibt sich treu. Foto: PDS-Kultursenator Thomas Flierl mit der neuen Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms: Hoffentlich ein Glücksgriff
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