In den letzten Monaten konnte die westsächsische Metropole Leipzig nur selten mit positiven Schlagzeilen überraschen. Peinliche Enthüllungen über das Engagement ranghoher Vertreter des Olympiabewerbungskomitees im Ministerium für Staatssicherheit, höchst fragwürdige Vergabemechanismen von städtischen Großaufträgen sowie ein wenig glücklicher Entscheidungsprozeß in der Frage des Wieder- bzw. Nichtwiederaufbaus der auf Geheiß von SED-Chef Walter Ulbricht gesprengten Paulinerkirche beschäftigten nicht nur lokale Kommentatoren. Um so verständlicher sind die Bemühungen der Stadt, zumindest mit dem Faktor Buchmesse national und international zu punkten. Zieht man die offiziellen Mitteilungen der Messegesellschaft als alleinigen Maßstab heran, dann stellt die jüngste Leipziger Großveranstaltung vom 25. bis 28. März nicht nur einen großen Erfolg, sondern geradezu einen Meilenstein auf dem Weg in eine glänzende Zukunft dar: Mit rund 102.000 Besuchern wurde eine neue Spitzenmarge in der Publikumsgunst erreicht. Mit Blick auf diese statistische Größe und den zweistelligen Umsatzgewinn, den die einzige auf dem Gelände zum Verkauf von Büchern berechtigte Buchhandlung verzeichnete, ließ der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messegesellschaft, Wolfgang Marzin, verlauten, die Leipziger Buchmesse sei „in eine höhere Klasse aufgestiegen“. Ein wesentlicher Grund für den Anstieg der Besucherzahlen lag in der Wahl des Schwerpunktes Kinder- und Jugendliteratur. Mit der Ankündigung, die Präsenzfläche der Comic-Anbieter in diesem Jahr massiv auszuweiten, wurde seit Monaten in zahlreichen sächsischen Schulen kräftig Werbearbeit geleistet – mit Erfolg: Insgesamt gehörte über ein Viertel der Messebesucher der Altersgruppe bis 18 Jahre an. Abgesehen von dieser Tatsache fällt es keineswegs leicht, eine plausible Erklärung dafür zu liefern, wo-rauf sich der Euphemismus der Veranstalter stützen könnte. Offensichtlicher als in den vergangenen Jahren – als ein konkreter Schwerpunkt auf einzelnen Staaten Mittel- und Osteuropas lag – wurde in diesem Jahr, daß sich Leipzig von der Brückenfunktion, die es einst in diesen Raum reklamierte, wohl endgültig verabschiedet hat. Das Veranstaltungsangebot war in dieser Hinsicht wenig überzeugend, sieht man einmal von der Verleihung des Buchpreises zur europäischen Verständigung an den bosnischen Autor Dzevad Karahasan ab. Was für Osteuropa zutrifft, gilt in gleichem Maße für Mitteldeutschland: Die Situation der dortigen regionalen Verlage wurde knapp 15 Jahre nach den politischen Umbrüchen in Mitteldeutschland bestenfalls am Rande thematisiert. Der Messe droht damit der vollständige Verlust ihres speziellen lokalen Kolorits, welcher für sie über lange Jahre so prägend war. Dies wiederum dürfte Wasser auf die Mühlen derjenigen Kritiker sein, die am Sinn zweier Buchgroßmessen pro Jahr in Deutschland zweifeln. Die allgemein wenig erfreuliche Situation der gesamten Verlagsbranche spiegelte sich in Leipzig am deutlichsten im Mangel an auch nur halbwegs spektakulären Neuerscheinungen wider. Abgesehen von dem in den letzten Wochen zum „Skandalautor“ deklarierten Thor Kunkel, der eine Lesung abhalten, sich jedoch nicht zu Fragen von Journalisten äußern durfte, fehlten die wirklich prägenden Köpfe, die allein für die Qualität einer solchen Veranstaltung bürgen. Nicht nur die kleinen und mittleren, sondern auch die meisten deutschen Großverlage setzen fast ausschließlich auf Bestehendes und Vertrautes. Für junge und unbekannte Autoren sind damit die Chancen, in einem großen, renommierten Verlagshaus Aufnahme zu finden, geringer denn je. Der immer stärker anwachsende Rest ist damit entweder gezwungen, auf Methoden wie „Publishing on Demand“ (Bücher auf Bestellung) zu setzen und die Vermarktung des Produktes vollkommen in die eigene Hand zu nehmen, oder einen jener Kleinverlage zu wählen, die sich das Risiko eines Flops bereits vor Drucklegung von ihren Autoren gut absichern lassen.