Man soll das Mitleid für Leute, die in der Klemme sitzen, nicht übertreiben, vor allem wenn es sich um großmächtige Herren und Damen handelt, die sich besagte Klemme selber zuzuschreiben haben. Der Schriftsteller Marin Walser hat jetzt (in Beantwortung einer Umfrage der Berliner Tageszeitung Die Welt) ein Plädoyer für die „arme“ Bundesregierung losgelassen, das einen zu Tränen rühren könnte – wenn es nicht gleichzeitig so komisch und so unzutreffend wäre. Dieser Schuß dürfte voll nach hinten losgehen. Die gegenwärtige Stimmungsmisere in Deutschland, schreibt Walser, sei nicht die Folge schlechten Regiertwerdens, sondern sie sei ein Produkt der Me-dien. Die Regierung in Berlin tue an sich nur das Notwendige, aber die bösen Medien machten alles schlecht und lächerlich, bliesen unentwegt Trübsal und ließen kein gutes Haar an Schröder & Co. Deshalb könne aus all den schönen Reformen nichts werden. Man müsse positiv denken. Der Leser faßt sich an den Kopf. Lebt er eigentlich im selben Land wie Walser? Von welchen Reformen spricht denn der? Wo ist ein klares Reformkonzept? Was ist aus den vollmundigen Versprechungen geworden, die die Regierung am Anfang ihrer Legislaturperiode gegeben hat? Alles Fehlanzeige. Überall nur Chaos und leere Rhetorik. Ginge alles mit rechten Dingen zu, müßte das mediale Echo auf die gegenwärtige Berliner Politik sehr viel schärfer, genauer und umfassender ausfallen. Aber abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen stecken die Medien mit der Regierung und ihren Meinungsmache-Apparaten unter einer Decke, stehen vielfach sogar in ihren Diensten. Sie rechtfertigen den Pfusch, wenn auch manchmal erst um mehrere Ecken herum. Positiv denken? Schön und gut. Aber das kann im Angesicht gegenwärtiger rot-grüner Realpolitik nur heißen: Gegen die Regierung denken.