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Pankraz, J. Gray und der Bomber als Modernist und Esel

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Höchst bemerkenswert findet Pankraz einen Essay des englischen Zeithistorikers John Gray, der jetzt auf deutsch im Münchner Verlag Antje Kunstmann erschienen ist: "Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne". Der interessierte Leser sollte am besten nach dem Büchlein greifen, unmittelbar nachdem er sich eines jener geheimnisvollen Bänder mit dem al-Qaida-Chef Osama bin Laden angesehen hat, die das Fernsehen weiltweit ausstrahlte. Eine größere Kluft als die zwischen jenen Bildern und dem Gray-Text ist nicht vorstellbar.

Auf den Bildern sieht man einen melancholisch blickenden Herrn in Bart und Burnus, wie er sich, ausgerüstet mit einem groben Knotenstock, langsam einen Weg durch öde, einsame Geröllwüsten bahnt und dabei über Allah und den Teufel spricht, eine Gestalt wie aus "Tausendundeiner Nacht", oder wie aus Karl May, Hadschi Halef Omar. Und dann liest man bei Gray: So und nicht anders sieht die "Moderne" aus, diese Bilder sind nicht weniger "modern" als die Bilder amerikanischer Düsenbomber und Flugzeugträger. Osama und US-Präsident Bush verkehren auf gleicher Augenhöhe.

Man faßt es zunächst kaum, wird aber von Gray eindringlich belehrt. Falls Osama und seine al-Qaida keine gigantischen Fiktionen sind, kein "Fake" aus der Küche moderner Fiktionalisierungskünste, ist ihre Logistik mindestens so effektiv wie die der CIA, absolut modern und ebenbürtig. Und was noch wichtiger ist und worauf es Gray eigentlich ankommt: Hier konkurrieren nicht nur moderne, ebenbürtige Kriegs-Logistiken miteinander, sondern moderne Ideologeme, "Weltanschauungen", Welterlösungspläne. Es findet ein Glaubenskrieg statt.

Beide Seiten, sagt Gray, sind utopisch angespannt, wollen die Welt in ein geistig-soziales Korsett zwängen und sie so "zum Glück" führen, zur Wonne und zur absoluten Gerechtigkeit. Insofern seien US-Bush und al-Qaida-Osama die direkten Erben der utopischen Weltveränderungs-Entwürfe des zwanzigsten Jahrhunderts, vor allem des Kommunismus. Es gehe nicht, oder nur in zweiter Linie, um einen neuen Imperialismus, der sich mit diesen oder jenen Beglückungsideen heuchlerisch drapiert, um seine Herrschaft und seine wirtschaftlichen Interessen zu rechtfertigen, sondern beide Seiten glaubten wirklich und tatsächlich an ihren, ihnen gleichsam von Gott verliehenen Beglückungsauftrag.

Es gilt nach Gray (übrigens einem Schüler des bedeutenden verstorbenen Kommunismus-Forschers Isaiah Berlin) also endgültig Abschied zu nehmen von jenem Leitbild, wonach es sich bei den aktuellen Auseinandersetzungen um einen Kampf der Moderne gegen die Vormoderne handle, der Aufklärung gegen finsteres Mittelalter, der Menschlichkeit gegen die Unmenschlichkeit usw. Beide Seiten – so die These Grays – sind gleichermaßen modern und doch auch wieder unmodern. Denn der Wille, die ganze Welt nach einem einzigen Lebens- und Geistmodell zu formen, sei eben zutiefst unmodern, besser: unzeitgemäß, hybrides Denkprodukt des zwanzigsten Jahrhunderts und seiner von der Technik und von der Illusion der Allmachbarkeit inspirierten Gleichmacherei.

Insofern kann man Gray auch lesen als eine immanente Polemik gegen Samuel Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen". US-Bush contra al-Qaida-Osama – das ist kein Kampf der Kulturen gegeneinander, sondern ein Kampf zweier überzeugter Heilsbringer und Welterlöser gegen die Kultur insgesamt. Jeder will die Welt nach seinem eigenen Gusto vom Bösen erlösen, darum tobt ihr aktueller Kampf, aber erlösen wollen sie sie beide, und die Erlösung läuft in beiden Fällen auf Weltzerstörung hinaus.

Schon die alten Kirchenväter wußten ja, daß das Heil und die Erlösung vom Bösen und der totale Sieg über letzteres erst nach dem Untergang der Welt, so wie sie ist, kommen kann, daß mit dem Heil und der Erlösung ein vollkommen neues Aion anbricht und daß wir kleinen sterblichen Menschen diesen Ab- und Anbruch nie und nimmer aus eigenen Kräften herbeiführen können, daß wir nur darauf warten und uns darauf vorbereiten können. Modern gesagt: Erlösung ist keine politische, nicht einmal eine existentielle, vielmehr eine strikt religiöse, transzendente Kategorie. Wer jedoch als Politiker erlösen will, ist deshalb noch lange kein Theologe, sondern ein Esel.

Die schlimmste Form solcher politischen, eselhaften Erlöserei ist natürlich das heimtückische Bombenschmeißen, der tödliche Terroranschlag, bei dem die Menschen vom Bösen befreit werden, indem man sie hinterrücks vom Leben befreit. Wer das Leben so gering achtet, der achtet auch die (eigene, autochthone) Kultur gering, die er angeblich vor dem gleichmacherischen, obszönen und gottlosen Teufel schützen will, ja, er hat auch von seinem Gott eine sehr merkwürdige Vorstellung, dessen "Allgütigkeit" er doch tagtäglich im Munde führt.

Fast genauso schlimm sind freilich jene, die fremde Länder und Kulturen mit Bomberflotten und Raketenschwärmen überziehen, um ihnen gewaltsam "die Demokratie", "die Zivilisation" und zunächst einmal die nackten Mädchen auf den Titelseiten und andere Permissivitäten und üble Geschäftspraktiken zu überbringen. Er unterscheidet sich von den Sprengstoffterroristen im Grunde lediglich durch die Überlegenheit seiner technischen Mittel. Ansonsten trägt er dieselbe zerstörerische, echt modernistische Fratze wie sein Feind in der Dunkelheit.

Wenn der Essay von John Gray etwas bewußt macht, dann dies: "Moderne" ist längst kein Schmuckwort mehr, sondern nur noch Synonym für Einebnung und Auslöschung, letztlich für Bombenlegen in der einen oder anderen Form. Wie sagte einst Friedrich Torbergs Tante Jolesch? "Gott schütze uns vor allem, was noch ein Glück ist!" Parallel dazu müßte es heute heißen: "Gott schütze uns vor allem, was als Moderne einherkommt!"

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