Vor einer Woche hatte ich von Harry für immer Abschied genommen, als sein Sarg in die im Februarfrost erstarrte Erde hinabgelassen wurde. Ich wollte also meinen Augen nicht trauen, als ich ihn in London im Menschengewühl des ‚Strand‘ ohne ein Zeichen des Wiedererkennens an mir vorübereilen sah.“ Irgendwann im Winter des Jahres 1948 hatte Graham Greene auf der Klappe eines Briefumschlags diesen ersten Absatz einer Erzählung niedergeschrieben, von der er damals selbst noch nicht wußte, wie sie weitergehen würde. Kurze Zeit später machte ihm der Filmproduzent Sir Alexander Korda den Vorschlag, für den Regisseur Carol Reed ein Drehbuch zu schreiben. Zwar wollten Korda und Reed einen Film über Wien unter der Viermächtebesatzung drehen, doch Greene erklärte sich schon bald bereit, Harry Limes Spuren auch nach einer längeren Unterbrechung weiterzuverfolgen. So entstand „Der dritte Mann“ zunächst als Erzählung, ehe er die scheinbar endlose Reihe von Veränderungen aus einer dramatischen Bearbeitung in die andere machte. Mit den Worten „‚Der dritte Mann‘ wurde nicht geschrieben, um gelesen, sondern um gesehen zu werden“ hat Greene später offen zugegeben, daß der Film tatsächlich besser ist als die ursprüngliche Erzählung, weil er in diesem besonderen Fall die endgültige Fassung der Geschichte darstellt. Sein Buch hat der Autor dann auch „in Bewunderung und in Verehrung und im Gedenken an die vielen Wiener Nächte, die wir im ‚Maxim‘, im ‚Casanova‘ und im ‚Oriental‘ verbrachten“, Carol Reed gewidmet. Graham Greene wurde am 2. Oktober 1904 in Berkhamstead/Hertfordshire als Sohn eines Schuldirektors und als Großneffe des Schriftstellers Robert Louis Stevenson geboren. Am berühmten Balliol College in Oxford studierte er Neuere Geschichte und begann anschließend seine journalistische Laufbahn bei der Provinzzeitung Nottingham Journal, um dann als Nachrichtenredakteur zur Times nach London zu gehen. Von 1935 bis 1939 arbeitete er als Filmkritiker. Zu Beginn des Krieges wechselte er ins Feuilleton der Wochenzeitschrift Spectator, deren Mitherausgeber er später wurde. 1942 und 1943 unternahm er in Sondermission des Foreign Office ausgedehnte Reisen durch ganz Nord- und Lateinamerika und Westafrika. Wie sich später herausstellte, hat er diese Weltfahrten, die in verschiedenen Reisebüchern ihren Niederschlag fanden, im Auftrag des britischen Nachrichtendienstes Military Intelligence Five (MI5) unternommen. Weltreisen im Auftrag des britischen Geheimdienstes Seinen ersten Roman „Zwiespalt der Seele“ schrieb er im Alter von 25 Jahren. Und doch kündigten sich hier bereits die Grundmotive seines Gesamtwerkes an: die Darstellung der Unsicherheit allen irdischen Lebens einerseits und die völlige Abhängigkeit des Menschen von der göttlichen Ordnung andererseits, und als Leitgedanke der ewige Konflikt zwischen Gut und Böse. Noch deutlicher tritt dies in „Die Kraft und die Herrlichkeit“ hervor, das viele Kritiker für sein bestes Werk halten. Auch hier dominiert die Spannung zwischen Gott und dem Menschen als kreatürlichem und damit sündigem Wesen. Der Stoff basiert zu großen Teilen auf Greenes Mexikoreise 1938, als er dort in journalistischem Auftrag die Situation der katholischen Kirche beobachtete. Seine Schilderung des Martyriums eines dem Alkohol verfallenen mexikanischen „Schnapspriesters“ während der grausamen kommunistisch-atheistischen Verfolgungszeit offenbart einmal mehr die Ohnmacht des sündhaften Menschen, der dennoch ein Gefäß der göttlichen Gnade wird. Die Fragen des Bösen, der Schuld und der Gnade, die eine gequälte Seele in drangvoller Zeit durchmacht, behandelt Greene mit einer unkonventionellen Feinsinnigkeit, die in der Tat ihresgleichen sucht. Der „gefallene“ Priester als Gegenspieler des Bösen, der an allen Leiden und Nöten der verfolgten Gläubigen teilhat, steht hier gleichsam in seinem Versagen und nach seiner schließlichen Überantwortung an die Gnade Gottes als Verkünder der christlichen Hoffnung in düsterer Zeit. 1934 war Greene von der anglikanischen zur katholischen Kirche übergetreten. Immer wieder tritt der kämpferische Katholizismus seitdem auch in seinen Romanen zutage. In „Das Herz aller Dinge“ liebt der Polizeioffizier Scobie, ein gläubiger Katholik, seine Frau, kann aber gleichzeitig nicht von seiner verlorenen Liebe zu einem jungen Mädchen lassen. Scobie endet durch Selbstmord, doch das eigentliche Thema des Romans ist die Erkenntnis, daß Gottes Liebe und Barmherzigkeit grenzenlos sind. Das Wirken der göttlichen Gnade im Chaos menschlicher Leidenschaften, Verirrungen, Verstrickungen und Verbrechen schildert auch der 1951 erschienen Ehebruchsroman „Das Ende einer Affäre“. Bei einem Spaziergang trifft der Schriftsteller Maurice Bendrix seinen alten Freund Henry Miles, mit dessen Frau er einst ein Verhältnis hatte. Miles verdächtigt Sarah neuerlich einer Affäre, worauf Bendrix einen Detektiv beauftragt, herauszufinden, wen sie liebt. Denn Sarah verließ ihn damals nach einer gefährlichen Liebesnacht im Bombenhagel des Krieges. Authentischer Hintergrund des Romans war eine Liaison Graham Greenes mit einer verheirateten jungen Frau, die diese Affäre zur Verblüffung des Romanciers, der ein höchst eifersüchtiger Mensch war, ihrem Ehemann nie verheimlichte. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Buches trennten sich Greene und seine Geliebte. Später attestierte sie ihm eine Fähigkeit zu tiefer Demut – wie sonst hätte er sich selbst „als einen so ekelhaften Charakter wie Bendrix darstellen können“? Mitte der fünfziger Jahre ging Greene als Korrespondent der Sunday Times nach Indochina. Vor dem Hintergrund des blutigen Bürgerkrieges schrieb er „Der stille Amerikaner“, die Geschichte einer problematischen Liebesbeziehung zwischen einem idealistischen jungen Amerikaner und einer Eingeborenen, die tragisch endet. Ein längerer Kuba-Aufenthalt inspirierte ihn zu der Spionage-Satire „Unser Mann in Havanna“ (1958). Auf der von „Papa Doc“ Duvaliers berüchtigten „Tonton Macoutes“ terrorisierten Karibikinsel Haiti ließ er seinen Roman „Die Stunde der Komödianten“ (1966) spielen. Anfang der siebziger Jahre erschien seine Autobiographie „Eine Art Leben“. Die Heilsfrage stand für ihn im Vordergrund Graham Greene, dessen Ruhm als fesselnder Erzähler und einer der führenden Dichter Englands auch heute noch ungebrochen ist, war stark beeinflußt von den großen französischen Dichtern Georges Bernanos und François Mauriac und vor allem dem Anglo-Franzosen Julien Green. Weltliche Macht und göttliche Gnade, Gut und Böse, Verbrechen und Sühne sind die polaren Gegensätze, um die sein Werk kreist. Hinter allen Einzelthemen steht freilich ein einziges großes Motiv: die Abscheu vor der Sinnlosigkeit des äußeren Lebens, mit der sich der gläubige Mensch in der modernen Welt konfrontiert sieht. Im Gegensatz zum Existentialismus Sartres und zum Realismus Hemingways steht für Greene jedoch letztlich immer die Heilsfrage im Vordergrund, die den in Vereinsamung, Lebensangst und Begierden ihren Weg gehenden Menschen das Kreuz als alleinigen Ausweg aus einer schicksalhaften Kette der Unglücksfälle weist. Allein durch die Gemeinschaft der Heiligen erreicht den Menschen die Hoffnung auf Gnade, Erlösung und Ewigkeit. In Vevey, seinem Domizil am Genfer See, ist Graham Greene am 3. April 1991 im Alter von 86 Jahren gestorben. Fotos: Graham Greene (1904-1991): Abscheu vor der Sinnlosigkeit / Graham Greene (2.v.r.) besucht am 13. April 1963 die innerdeutsche Grenze am Brandenburger Tor: Das Kreuz als Ausweg Aus Anlaß des 100. Geburtstages ist im Deutschen Taschenbuch Verlag, München, die Biographie „Graham Greene und der Reichtum des Lebens“ vom Ulrich Greiwe erschienen.