Er gilt als einer, der die Balance zwischen Alt und Neu, zwischen Bewahren und Wandeln zu halten imstande ist, als „evolutionärer Traditionalist“. Der allen konservativen und rechten Denkens unverdächtige Publizist Claus Leggewie nannte ihn 1987 den „absoluten Superstar des neuen deutschen Konservatismus“. Zweifellos gehört der Österreicher Gerd-Klaus Kaltenbrunner zu den bedeutendsten und fruchtbarsten Schriftstellern der Gegenwart. Seit vielen Jahren wohnt er zurückgezogen in der Nähe von Freiburg. Am 23. Februar 1939 in Wien geboren, verschrieb sich der studierte Rechts- und Staatswissenschaftler sehr früh dem Kampf gegen die metaphysischen Verkehrtheiten einer Zeit, die Verstand und Seele enteignet. Leben und Schrifttum dieses außergewöhnlichen Publizisten sind untrennbar verbunden. Sein umfangreiches und vielseitiges Werk kann nur andeutungsweise skizziert werden. Er gehört zu jenen, die wissen, „daß nur der Einsame fähig ist, mehr als taktische Wahrheiten zu denken“ (Davila). Seit 1962 arbeitete Kaltenbrunner als Lektor für verschiedene Verlagshäuser, bevor er sich 1974 entschloß, die Existenz eines freien Schriftstellers zu wagen. Er edierte Franz von Baaders „Sätze aus der erotischen Philosophie“ (1966), August M. Knolls religionssoziologische Schriften „Zins und Gnade“ (1967), Hugo Balls Werk „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“ (1970) sowie eine Anthologie: „Hegel und die Folgen“ (1970). Universal gebildet, profilierte sich der geistvolle Homme de lettres in den siebziger Jahren zum führenden Theoretiker des europäischen Konservatismus. Hiervon zeugen die beiden großen Sammelwerke „Rekonstruktion des Konservatismus“ (1972) und „Konservatismus international“ (1973) sowie sein Buch „Der schwierige Konservatismus“ Definitionen-Theorien-Porträts (1975). Die Zeitschriften Zeitbühne, Criticón, Epoche und Mut, später auch die JUNGE FREIHEIT, gewannen ihn als Mitarbeiter und Mitstreiter; außerdem schrieb Kaltenbrunner für die FAZ, die Welt und den Rheinischen Merkur. Der unvergessene Mediziner und Historiker Peter Berglar urteilte: „Kaltenbrunner stellt den Typus des hochgerüsteten intellektuellen Einzelkämpfers dar, der nicht zum ‚Rundumangriff‘ übergeht. Seine Rüstung: imponierende universale Bildung, geschliffene Feder, differenzierende Rationalität am Zügel von Ethos und Gewissen sowie persönlicher Mut.“ Dem elitären Denker, der die Staatserosion und die geistespolitische Verwahrlosung klar vorhersah, ging es um lebenswichtige Orientierungen, um Ortsbestimmungen und Bereitschaft für den Ernstfall (Elite. Erziehung für den Ernstfall, Mut-Verlag 1984). Als realistischer Anthropologe hat Kaltenbrunner eine durchaus pessimistische Vorstellung vom Menschen. Dies bedeutet für ihn, „daß es eher darauf ankommt, aktuelle Nöte und Leiden zu lindern, als das größtmögliche Glück oder ein Optimum an ‚Lebensqualität‘ zu bewirken“. Nur ein starker Staat, der Ordnung garantiert, sei in der Lage, „die divergierenden gesellschaftlichen Interessen und die immer gefährlicher werdende Entwicklung, die bis in die genetische Substanz des Menschen hineinwirkt, zu beherrschen“. Von 1974 bis 1988 gab Gerd-Klaus Kaltenbrunner im Herder-Verlag die Taschenbuch-Reihe „Initiative“ – eines der wichtigsten Sprachrohre neokonservativen Denkens – heraus. Sie war gleichsam das Gegenstück zu den publizistischen Vorzeigeprojekten der linken Kulturrevolution. „Tendenzwende“ hieß das Schlüsselwort. Nicht eine Gegenideologie sollte verkauft werden, sondern eine intelligente Alternative, um die Demokratie zu bewahren. 75 Bände des Taschenbuchmagazins und drei Sondernummern erschienen, darunter so zeitkritische und bewußt provokativ formulierte Titel wie „Was ist reaktionär?“, „Die Macht der Meinungsmacher“, „Unser Epigonenschicksal“, „Nestwärme in erkalteter Gesellschaft“, „Illusionen der Brüderlichkeit“. Es gelang dem Herausgeber, über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg namhafte Autoren der verschiedensten Fachrichtungen, die sich zur europäischen Kontinuität und Universalität bekannten, für seine Publikationsreihe, die er gern als „Privatuniversität“ bezeichnete, zu gewinnen. Die Fülle repräsentativer Titel und das integrative Wirken des editorischen Einzelunternehmers überzeugten. Unterwegs zu geistigem Neuland, reagierte der unermüdliche Denker auf die zunehmende Bedrohung der Schöpfung mit sieben konservativen Gedankengängen (Wege der Weltbewahrung, Mut-Verlag 1985). Als „Politische Ökologie“ beschreibt er unter dem Aspekt eines Konzeptes der Ordnung „die Erhaltung der natürlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen unseres Überlebens“. Er sieht sie verwirklicht in der Pflege der zeitlosen Grundlagen menschlicher Existenz und in der Rückbindung an übergreifende Autoritäten, also in bewahrendem Fortschritt. Den Konservativen „und solchen, die es werden wollen“ schreibt er im achten von zehn Geboten eine Lektion ins Schulbuch, die viele bis heute nicht beherzigt haben: „Wir brauchen den gebildeten, den philosophierenden, vor theoretischer Arbeit nicht zurückschreckenden Konservativen. Er muß seine Position mit derselben Schärfe theoretisch formulieren wie der Gegner.“ War die nationale Frage zu Zeiten der „Tendenzwende“ eher rudimentär existent, so rückte sie nun stärker ins Bewußtsein. Die Unvermeidlichkeit, eine Nation zu sein, beschwört Kaltenbrunner vor der Wiedervereinigung in seinem Sammelwerk „Was ist deutsch?“ (1988). Siebzehn Wissenschaftler und Publizisten äußern sich. Er selbst schreibt: „Es mehren sich die Zeichen, daß nicht nur die Thematik ‚Nation‘ neu entdeckt, sondern auch um eine neue deutsche Loyalität gerungen wird. Vor allem jüngere Deutsche, ‚linke‘ wie ‚rechte‘, Konservative wie Sozialisten, brechen mit dem, was Thomas Schmid die Tradition der Selbstbezichtigung genannt hat.“ Das geisteswissenschaftliche, schriftstellerische und editorische Schaffen Kaltenbrunners wurde mit namhaften Preisen geehrt. 1985 erhielt er den Balthasar-Gracián-Preis, 1986 den Anton-Wildgans-Preis der Vereinigung Österreichischer Intellektueller, ebenfalls 1986 den Konrad-Adenauer-Preis für Literatur und 1988 den Mozart-Preis der Goethestiftung Basel. Der anspruchsvolle biographische und monographische Essay, ein Genre, welches der Polyhistor aus dem Schwarzwald virtuos beherrscht, fand einen faszinierenden Niederschlag in drei Bänden: „Europa. Seine geistigen Quellen in Porträts“ (Verlag Glock & Lutz, 1981/85). Die gestaltende Kraft des Autors, seine Eloquenz, stilistische Klarheit und emphatische Begabung, verleihen den Porträts mitreißende Lebendigkeit. Den Rekonstruktionen und Intuitionen eignet ein intellektuell-erotischer Reiz. Vertreten durch ihre Gründergestalten scheint die Geistesgeschichte zweier Jahrtausende facettenreich auf. Das Leben von Staatsmännern, Dichtern, Heiligen und Narren entfaltet magische Anziehungskraft. Weit über 1.000 Seiten umfassen die drei Bände. „Vom Geist Europas“ (Mut-Verlag, 1987/1989/1992) heißt die nächste großangelegte Trilogie des Privatgelehrten. In über hundert Einzelessays beschwört er die unvergänglichen Werte der Kultur unseres Kontinents. Behutsame Wiedererweckung der Quellen, Reinigung des staubbedeckten Antlitzes der Mutter Europa, Aufscheinenlassen der Sternbilder, Schattenrisse und Spiegelungen in Lebensformen und Landschaften – all dies gelingt dem spirituellen Idealisten in überzeitlich visionärer Schau. Das Schaffen des Licht-Mystikers Kaltenbrunner kulminiert bisher in zwei Bänden geheimnisreicher Esoterik, welche die Graue Edition der Prof. Dr. Alfred Schmidt-Stiftung in Zug/Schweiz betreut: „Johannes ist sein Name. Priesterkönig. Gralshüter, Traumgestalt“ (1993) und „Dionysius vom Areopag. Das Unergründliche die Engel und das Eine“ (1996). Der „Geisterbeschwörer“ rekonstruiert im erstgenannten Band die geschichtlichen wie übergeschichtlichen Ursprünge der Legende vom Presbyter Johannes, einer mythischen Gestalt des Ostens, deren Existenz mit der Gralsüberlieferung eng verbunden ist. Kaltenbrunner plädiert für ein hochgestimmtes und geistdurchwehtes Christentum ohne hohepriesterliche Hybris und einen Idealstaat, worin Königtum und Priestertum zusammenfallen. Ein Denkmal hat sich der Universalist selbst mit seinem bisher letzten und tiefsten hymnischen Werk, dem 1.385 Seiten umfassenden Opus maximum „Dionysius vom Areopag“, gesetzt. Die Zentralfigur, das Areopagmitglied Dionysius, schönheitstrunkener Grieche und Philosoph, steht auf dem Boden platonischer Philosophie. Der Leser wird zur behutsamen Meditation und Reflexion der dionysianischen Lehre vom übergöttlichen, unergründlichen und überseienden „Einen“ geführt. Er schwingt mit im Reigen der als „Gottesgedanken“ aufgefaßten Hierarchien der Engel. Die transzendentale Erhellung des Seins, die Wiederherstellung einer geistig-geistlichen Tradition unter mythisch-mystischem Vorzeichen, letztlich der Sinn für das Wandellose, das Heilige, dies sind Anliegen der dogmenüberschreitenden Philosophie Kaltenbrunners, die kein rohes Zweiheitsdenken kennt. Sinn für die sich durchdringenden Bereiche von Immanenz und Transzendenz und neue Sensibilität für das Numinose lehrt uns eine autobiographische Notiz des Jubilars: „Ein Schriftsteller ist eine Art von Engel,/ der über den Himmel dahinschweift,/ die Erde berührt/ und dann heimwärts entschwindet.“ Bild: Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Ein wortmächtiger Essayist