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Marc Jongen, ESN Fraktion

An der Kreuzung von Kunst und Politik

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Der Lebensweg und berufliche Werdegang von Peter Pewas ist mit der Metapher „Ein deutscher Bildungsroman“ (Klaus Kreimeier) zutreffend und doch nicht ausreichend beschrieben. Pewas hat in fünf verschiedenen Gesellschaftssystemen gelebt. Seine Kindheit erlebte er in der Kaiserzeit, Jugend und politischen Aufbruch in der Weimarer Republik. Im Nationalsozialismus wurde er ebensowenig heimisch wie in der kommunistischen SBZ und der Bundesrepublik, in deren Gründerjahren – nicht nur ihm – noch so viele Möglichkeiten offen schienen. Doch in allen Systemen eckte er mit seiner künstlerischen Arbeit, mit seinen Filmen an. Das zeugt von Widerborstigkeit, aber auch davon, wie ein Arbeitersohn, einer „aus dem Volk“, sich weder von den bürgerlichen noch von den proletarischen Bildungs- und Kulturinstitutionen vereinnahmen läßt, sondern sich bei aller Anpassungslist eine eigene Ästhetik erarbeitet, die mit den üblichen Normen und Konventionen radikal bricht. Als Walter Emil Hermann Schulz wurde Peter Pewas am 22. April 1904 in Berlin geboren. Der Sohn eines Schuhmachermeisters absolvierte eine Schlosserlehre, arbeitete als Metallarbeiter und nahm nach ein paar Wanderjahren durch Österreich und die Tschechei Mitte der zwanziger Jahre Unterricht am Weimarer Bauhaus. Seine Lehrer waren Klee, Kandinsky und Moholoy-Nagy, doch Pewas kann seinen Begriff von Kunst hier nicht entwickeln. Er interessierte sich für die Arbeiterbewegung, entwarf Grafiken für die „Roten Naturfreunde“ und die „Rote Hilfe“ und kreierte Buchumschläge für einen linken Verlag. Bei einem Besuch in Moskaus beeindruckten ihn vor allem die revolutionären Filme der jungen Sowjetunion. Von der Gestapo verhaftet, aber Premiere mit Goebbels Kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnt Pewas einen Dokumentarfilm über das Leben rund um den Alexanderplatz zu drehen, aber die Dreharbeiten ziehen sich hin. Eines Tages wird er bei Außenaufnahmen von der Gestapo verhaftet, das Material beschlagnahmt, schließlich aber wieder freigegeben. „Alexanderplatz – überrumpelt“ mit ungeschönten Bildern vom tristen Alltag in Berliner Mietskasernen und dunklen Hinterhöfen, von sich lausenden Huren und jüdischen Bettlern, von Arbeitslosen und Kindern, die nach dem Bad im Hof in der Sonne trocknen, zeigt offensichtlich zuviel von jener Realität, die für Pewas die Kreuzung von Kunst und Politik bedeutet. Er arbeitet nun wieder als Plakat- und Werbegrafiker für den Film. Seine Plakatentwürfe für Filme wie „Kopf hoch, Johannes“, „Sieg im Westen“, „San Francisco“, „Yvette“ und „Das unsterbliche Herz“ finden bei seinen neuen Auftraggebern – seine früheren sind inzwischen verhaftet -, großen Anklang. Als man ihn verdächtigt, Zeichnungen für verbotene Publikationen anzufertigen, wird er ein zweites Mal von der Gestapo vernommen, aber er schlüpft erneut durch die Maschen. In einer Exklusivvorstellung genießt er mit ein paar weiteren Regisseuren gar das Privileg, gemeinsam mit Goebbels der deutschen Premiere von „Vom Winde verweht“ beizuwohnen. Kunst und Politik sind nun untrennbar miteinander verschmolzen, fast ununterscheidbar geworden. Wolfgang Liebeneiner, der Leiter der Babelsberger Filmakademie, wird auf Pewas aufmerksam. Bei ihm fungiert er Anfang der vierziger Jahre als Regieassistent bei Liebeneiners „Bismarck“ und „Ich klage an“. 1943 dreht er seinen ersten Spielfilm für die Terra: „Der verzauberte Tag“ mit Winnie Markus und Ernst Waldow. Pewas will das belanglose Melodram mit artifiziellen Bildauflösungen und einer überblendenden Kameraführung als modernes Märchen inszenieren, baut ganze Szenen um. Doch der Film wird verboten, weil die Machthaber in der Gestaltung „eine fatalistische Grundstimmung“ wittern. „Kulturbolschewismus“ sei seine „Verächtlichmachung“ des deutschen Kleinbürgers, der sich – so das Goebbels-Ministerium – „in den Bombennächten so tapfer bewährt hat“.
Dennoch darf Pewas ein paar Monate vor Kriegsende noch einmal ein Drehbuch einreichen. Die Geschichte handelt von einem großbürgerlichen Verleger, und die Herren vom Propaganda-Ministerium reagieren entsprechend: „Haben Sie noch nicht gehört, daß das Bürgertum zum Sterben verurteilt ist?“ Einen Tag später erreicht ihn der Gestellungsbefehl zum Volkssturm. Nach dem Krieg ist Pewas einige Monate Bürgermeister in Berlin-Wilmersdorf. An der Volkshochschule hält er Vorträge über das „Gesicht des kommenden Films“. Unter der politischen und Kulturhoheit der sowjetischen Besatzungsmacht gehört er zu den Mitbegründern der DEFA. Schon sein erstes Projekt, ein Film über den deutschen Widerstand, wird von den neuen Herren abgeschmettert. Pewas erkennt enttäuscht, daß schon wieder „die bürgerlichen Kreise hofiert, die Stars bevorzugt“ werden. 1947 dreht er mit Gisela Trowe und Alice Treff „Straßenbekanntschaft“, einen Aufklärungsfilm über Prostitution und Geschlechtskrankheiten im Nachkriegs-Berlin, der auch im Westen ein großer Erfolg wird. Er bleibt Pewas‘ einziger Film für die DEFA. Die kommende politische Zensur ahnend, geht Pewas nach München und gründet dort eine eigene Produktionsgesellschaft. Er dreht ein paar interessante Kurzfilme, „Menschen-Städte-Schienen“ (1949) und „Herbstgedanken“ (1950), ein visuelles Feuilleton über einen Vers von Rilke, und wird mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. 1955 bietet ihm der katholische Autor und Produzent Gerhard T. Buchholz das Drehbuch zu „Viele kamen vorbei“ an. Die Geschichte um einen Frauenmörder, der seine Opfer am Rande der Autobahn sucht, krankt an ihrem redseligen, wenig überzeugenden Drehbuch. Aber Pewas schafft mit Einstellungen von bizarrer Schönheit und suggestiver Aussagekraft, unterstützt von Peter Sandloffs vorzüglicher Musik einen der irritierendsten deutschen Nachkriegsfilme. „Viele kamen vorbei“ ist nicht nur ein Film über die Bundesrepublik in Adenauers Jahrzehnt, sondern auch „über das Problem, daß die fünfziger Jahre nicht nur die Geburtsära der Bundesrepublik, sondern ein Teil ihres Wesens sind“ (Klaus Kreimeier). Auch in der Bundesrepublik wurde er nicht heimisch Pewas letzter Spielfilm „Er ging an meiner Seite“ (1958) wurde von der Kritik weit weniger freundlich aufgenommen. „Der kommentierende Text lenkt in fataler Weise von den verbrecherischen Kriegsmotiven der Nazis ab“, heißt es zu den mit einer flüchtigen Spielfilmhandlung zusammengestellten Wochenschauaufnahmen des Zweiten Weltkriegs. Tief verletzt von dieser – wie er es empfand – unsachlichen Kritik zog Pewas sich vom Film zurück, um in den sechziger Jahren Werbespots fürs Fernsehen zu drehen und sich der Malerei zu widmen. 1984 erhielt er für „langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film“ das Filmband in Gold. Am 13. September 1984 starb Peter Pewas im Alter von achtzig Jahren in Hamburg. Foto: Peter Pewas (1976): Ein Leben in fünf Gesellschaftssystemen

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