Das Buch, das diesen Herbst herausgekommen ist, fand sich bereits nach wenigen Wochen auf den Bestsellerlisten wieder. Das ist zu begrüßen. Noch mehr ist ihm zu wünschen, daß es auch auf den weihnachtlichen Gabentischen vieler Deutscher liegen möge. Es ist insgesamt ohne Umschweife der zeitkritische Spiegel, der uns Deutschen unabhängig von parteipolitischen oder anderen gesellschaftlich-organisatorischen Bindungen vorgehalten werden muß. Hans-Olaf Henkel kann auf eine reiche berufliche wie gesellschaftspolitische Erfahrung zurückblicken. Groß und bekannt geworden ist er bei IBM, zuerst in Deutschland, dann in den zahlreichen internationalen Tochtergesellschaften dieses Multis wie in dessen amerikanischer Zentrale. Der heute fast fünfundsechzigjährige Henkel kennt die Welt, vor allem aber die Arbeits- und Wirtschaftswelt. Den höchsten Bekanntheitsgrad in Deutschland erlangte er zweifellos als Vorsitzender des Bundesverbandes der Industrie (BDI). Und aus all seinen bisherigen Publikationen sprach bereits seine Sorge um Deutschland, sein Leiden darüber und daran, daß unser Staat sich auf absteigendem Ast, auf dem Weg in Bürokratie, Überregulierung und in die Unfreiheit befindet. Auch als Verbandsfunktionär hatte er Mut bewiesen, schon da kein Blatt vor den Mund genommen, niemandem nach dem Munde geredet, so daß man ihm auch heute nicht nachsagen kann, daß er sich wohl erst jetzt, befreit von Ämtern und Verbandsposten, diese unbefangene Offenheit leistet. „Die Kraft des Neubeginns“ ist der Titel, und um einen Neubeginn geht es ihm. Mit unter dem Wort „Reformen“ verkleisterter Flickschusterei ist nichts mehr zu bewegen. Henkel beginnt autobiographisch. Er läßt uns Krieg, die außergewöhnliche Liebe und das Leiden seiner Eltern, den lange ungewissen Kriegstod seines Vaters sowie die Stunde Null von 1945 und den mühsamen Nachkriegsstart aus Trümmern noch einmal miterleben. Berechtigt sein Hinweis darauf, daß es für diesen Neustart nicht einen Pfennig, keine ordnenden Behörden und Ämter, sondern nur die eigene Initiative gegeben hat. Die Seitenhiebe auf die heutige Anspruchsmentalität sind berechtigt. Vor allem der jüngeren Generation wird zu selten vor Augen geführt, was damals geleistet worden ist. Aus dieser Erfahrung kommt er zu seinem zweiten Anliegen: Schluß zu machen mit den permanenten Schuldzuweisungen aus der NS-Zeit auch noch gegenüber der Kinder- und Enkelgeneration. So wendet er sich gegen die Diktatur der Political Correctness und stellt sich auf die Seite von „Geächteten“ wie Philipp Jenninger, Martin Walser, Jürgen Möllemann oder Martin Hohmann, für deren Recht auf freie Meinungsäußerung er beherzt eintritt. Henkel ist stolz auf sein Vaterland und will, daß dies auch wieder die Kinder werden. Und so rechnet er dann energisch ab mit der verbildeten und verhätschelten Generation der Achtundsechziger und ihren kruden und verkrusteten Ideologien. Erfrischend, daß den Joseph Fischer, Jürgen Trittin, Hans Christian Ströbele, Claudia Roth, Reinhard Bütikofer, Daniel Cohn-Bendit, aber auch Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Genossen (die Namensliste ist lang!) deren Phraseologie und eklatante politische Irrtümer und Missetaten um die Ohren gehauen werden – Leuten also, mit denen Henkel auch heute noch zu tun hat und denen er ins Gesicht sagt, was er denkt und von ihnen hält. Denn der Umtriebige hat sich nach Abgabe seiner Ämter nicht zur Ruhe gesetzt. Als ehrenamtlicher Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft und Gründer des Konvents für Deutschland legt er sich mit dem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog und bekannten Ex-Politikern aller Parteien ins Zeug, um in Deutschland den dringend notwendigen Neubeginn zu befördern. Denn daß es sich nicht nur um eine kleine Kurskorrektur handeln kann, das belegen die Fakten, die Henkel über den Ist-Zustand Deutschlands unmißverständlich und schonungslos ausbreitet. Wir sind Schlußlicht der Entwicklung in Europa, und weil sich in der Welt ein atemberaubender Wandel vollzieht (Stichwort Globalisierung), auch Schlußlicht in der industrialisierten Weltwirtschaft. Mehr als überzeugend seine Argumente dafür, daß mit unserem neumodischen Antiamerikanismus und dem Geschrei nach (welt)-bürokratischen Fesseln gegen die Globalisierung nur Zeit verloren und Deutschland noch weiter ins Abseits gedrängt wird. Wettbewerb und die Bereitschaft und Fähigkeit dazu sind noch immer die wirksamsten Rezepte – aber genau die hat Deutschland aus der Hand gegeben. Zur Wettbewerbsfähigkeit gehören heute vor allem Innovationsfähigkeit und Innovationswille. Henkel führt uns vor Augen, was Deutschland auf diesen Feldern einmal gewesen ist und welches Kapital wir durch Ideologie, kleinkarierte Umwelthysterie, vermeintliche „Sicherheits“-Vorsorge und leichtfertige Panikmache inzwischen vergeudet haben. Mit Windmühlen ist die Zukunft nicht zu gewinnen. Und wenn das inzwischen wohl auch der Mehrheit unserer Bürger eingängig geworden ist, so zerbricht gesunder Menschenverstand doch nach wie vor an der Wand der ideologisierten gutmenschlichen Weltverbesserer und ihrer politisch korrekten Meinungsmacher. So gesehen hat das Buch nur einen „Schönheitsfehler“: daß es von einem um sein Vaterland besorgten (im besten Sinne des Wortes) „einfachen Staatsbürger“ geschrieben wurde und (noch?) nicht Programm einer tatsächlichen Opposition ist. Auch wenn es mit Rüffeln über die derzeitige Regierungspolitik und die sie tragenden Medien nur so gespickt ist, entlarvt es die parlamentarische Opposition nicht minder als zahnlosen Tiger. Kurzum: Ein Lehrbuch in aktueller Staatsbürgerkunde, flüssig, verständlich für jedermann geschrieben und daher zu weitreichendster Verbreitung angeraten. Foto: Hans-Olaf Henkel beim Gläserspülen: Den früheren BDI-Chef treibt die Sorge um Deutschland Hans Olaf Henkel: Die Kraft des Neubeginns. Deutschland ist machbar. Droemer Knaur Verlag, München 2004, gebunden, 352 Seiten, Abbildungen, 22,90 Euro