Die jüngere Generation kennt meist nicht einmal mehr seinen Namen, noch weniger hat sie eine Vorstellung davon, was dieser Ordensmann zunächst für die Heimatvertriebenen und Ausgebombten getan hat. Später weitete sich dann sein Wirken weltweit aus, um überall dort zu helfen, wo Menschen in Not waren. Am 17. Januar 1913 erblickte Philippus van Straaten in Midjrecht (Niederlande) als Sohn eines Lehrers das Licht der Welt. Nach dem Abitur studierte Philipp Latein und Griechisch, um ebenfalls Lehrer zu werden. Doch mehr als die alten Sprachen interessierte ihn die soziale Frage. So wurde er Redakteur einer Studentenzeitung. In dieser Zeit geriet er in eine religiöse Bewegung, die eine innerkirchliche Reform anstrebte. Allerdings wurde sie von den kirchlichen Behörden mit größtem Argwohn betrachtet. Philipps ältere Brüder, die Theologie studierten, zweifelten an der Rechtgläubigkeit des Jüngeren. Er galt als „antiklerikal angehaucht“. Um so größer war das allgemeine Erstaunen, als Philipp, „gerade bis über die Ohren verliebt“, den Wunsch äußerte, ins Kloster zu gehen. Er verließ seine Heimat und klopfte bei den Prämonstratensern im Tongerloo (Flandern) an, die ihn aufnahmen. Nach den ersten drei Ordensjahren war er gesundheitlich am Ende und man wollte ihn wieder nach Hause schicken, da er weder für die Pfarrseelsorge noch die Heidenmission, noch zum Predigen geeignet erschien. Doch Abt Stalmans entschloß sich, ihn dennoch zu behalten. Er beauftragte ihn, ein Buch über die Abtei zu verfassen. Außerdem sollte er für die klostereigene Zeitschrift Artikel schreiben. Nachdem Philipp, der inzwischen den Ordensnamen Werenfried, das bedeutet Kämpfer, erhalten hatte, einige Zeit enger Mitarbeiter des Abtes war, meinte dieser: „Ich freue mich, daß ich Werenfried habe, aber ich freue mich auch, daß ich nur einen Werenfried habe.“ Inzwischen hatte der Krieg auch die Niederlande heimgesucht. Werenfried litt unsäglich unter ihm, denn er stand zwischen den Fronten, weil er „das scheußliche Morden nicht anders als einen Kampf von Heiden um die Dinge dieser Welt nennen konnte.“ Er wollte keine Stellung beziehen, es sei denn „für die Liebe und gegen den Haß“. Er fand Freunde unter Kommunisten und in der deutschen Wehrmacht, bei Kollaborateuren ebenso wie Angehörigen der Widerstandsbewegung und Freiwilligen, die an der Ostfront gegen die Sowjets kämpften. Am 25. Juli 1940 wurde er zum Priester geweiht. Nach dem Krieg hörte er von engagierten Predigern, welch grauenhafte Zustände in Trümmerdeutschland herrschten. Durch Augenschein überzeugte er sich von der ausweglosen Not vor allem der Heimatvertriebenen und Ausgebombten. Sein Weihnachtsartikel 1947 „Kein Platz in der Herberge“ brachte die entscheidende Wende in seinem Leben. Mit ihm wollte er die Leser der Klosterzeitschrift zur Hilfe für die besiegten Deutschen aufrufen. Es heißt da: „Die Hirten beteten Christus in einem Stall an, aber diese Leute haben nicht einmal einen Stall. Nach menschlichem Ermessen kann Christus dort nicht leben, weil kein Platz für ihn da ist…“ Papst Pius XlI. bat den Ordensgeneral der Prämonstratenser, Hilfe für Deutschland zu organisieren. Dieser wiederum wandte sich an Abt Stalmans und der beauftragte Werenfried mit einer Hilfsaktion für die 3.000 heimatvertriebenen Priester aus dem deutschen Osten und ihre sechs Millionen Gläubigen. Es gab heftigen Widerstand. Der später sogenannten Ostpriesterhilfe wurden politische Motive unterschoben. Niederländische KZ-Opfer protestierten gegen Werenfrieds allzu weitgehende Nächstenliebe. Doch dieser blieb unbeugsam. Im Februar 1948 schrieb er: „Die Nächstenliebe liegt nicht in schönen Worten. Sie fordert Taten und Opfer. Sie fordert ein Stück von uns selbst…“ Da er den Vertriebenen nicht die verlorene Heimat wiedergeben konnte, wollte P. Werenfried sie wenigstens vor dem Verhungern bewahren. In unzähligen Predigten und Briefen rief Werenfried zur Hilfe für die Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem deutschen Osten auf. Die flämischen Bauern hatten nichts anderes als ihr Borstenvieh, und so kam Werenfried auf die Idee, sie um Speck zu bitten. Allerdings sollten die Stücke nicht zu klein sein. Schon die erste „Speckschlacht“ war ein überwältigender Erfolg. In der ersten Pfarrei, in der Werenfried über die Hungersnot im verwüsteten Deutschland sprach, kamen 28 Zentner Speck zusammen. Auf einer Großkundgebung in Turnhout rief eine schwergewichtige Bäuerin: „Speckpater!“ Die fromme Mutter war über diese Respektlosigkeit entsetzt. Aber ein anwesender Journalist stellte diesen Namen als Schlagzeile über das erste Interview mit P. Werenfried und damit wurde die Ostpriesterhilfe mit einem Schlag populär. In Flandern wurden Schweine, in den Niederlanden Lämmer gezüchtet und bald rollten ganze Lastzüge mit dem damals so notwendigen Fleisch und Speck in die deutschen Flüchtlingslager und Pfarreien. Doch die Menschen brauchten mehr als das tägliche Brot. Die geistige Verwüstung durch den Nationalsozialismus war enorm. Werenfried gewann Zehntausende flämischer Schulkinder für die „Adoption“ von Rucksackpriestern, die durch das Land zogen, um sich ihrer vertriebenen Landsleute anzunehmen. 3.000 Schulen oder Schulklassen betreuten ebensoviele dieser Priester, denen sie jahrelang ihr Taschengeld, ihr Gebet und den Trost ihrer Kinderbriefe schenkten. Durch diese Patenschaftsaktion wurde die Ostpriesterhilfe zu einer Volksbewegung. 1950 begann die Kapellenwagen-Aktion. 35 umgebaute holländische Autobusse dienten als Kapellen, Schlafraum für die Besatzung, Lebensmittel- und Kleiderlager. Bereits ein Jahr zuvor gründete P. Werenfried gemeinsam mit Prälat Kindermann ein Gymnasium für heimatvertriebene Schüler und errichtete in einer ehemaligen Flakkaserne eine Philosophisch-Theologische Hochschule mit Priesterseminar für mehr als 350 Studenten. Aus ihnen gingen 456 Priester hervor, darunter der jetzige Vertriebenenbischof Gerhard Pieschl. 1952 begann die Hilfsaktion für die verfolgte Kirche im kommunistischen Machtbereich mit Predigten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich selber konnte jahrelang an freien Wochenenden für die Ostpriesterhilfe predigen und war immer wieder überrascht, wieviele Gläubige großzügig spendeten. Das eigentliche „Bettelgenie“ war freilich P. Werenfried. 1952 traf P. Werenfried erstmals mit Papst Pius XII. zusammen. In den kommenden Jahren wurde er immer wieder von den Päpsten empfangen, die ihn um Unterstützung für verschiedene Projekte baten. 1953 weitete das Hilfswerk seine Unterstützung für Flüchtlinge aus den kommunistischen Ländern aus. Ein Jahr später begann die Hilfe für arabische Flüchtlinge in Israel. 1958 wurde die Zweimonatschrift Echo der Liebe gegründet als Organ der geistlichen Verbundenheit und intensiver Gebetsgemeinschaft. Mittlerweile wird es in sieben Sprachen mit einer Auflage von über 600.000 Exemplaren verbreitet. 1964 wurde sein Werk kirchenrechtlich anerkannt, einige Jahre später erhielt es den Namen Kirche in Not/Ostpriesterhilfe. Nach der politischen Wende in Zentral- und Osteuropa wurde P. Werenfried in vielen Ländern mit Begeisterung gefeiert. Er verstärkte den Einsatz des Hilfswerks, um in den völlig mittellosen Kirchen des kommunistischen Machtbereichs den Aufbau der Seelsorge und Evangelisierung zu ermöglichen. 1997 konnte Kirche in Not/Ostpriesterhilfe ihr 50jähriges Jubiläum feiern. Doch nach einem überaus strapaziösen Leben macht die Gesundheit P. Werenfried immer mehr zu schaffen. Seine fortschreitende Arthrose erlaubt ihm für gewöhnlich keine Reisen mehr. Der unermüdliche Prediger kann auch nicht mehr das Wort Gottes verkünden. Aber in ungetrübter geistiger Frische nimmt er mit seinem Gebet und seinem Rat nach wie vor lebhaften Anteil an dem Werk, das mit seinem Namen unlöslich verbunden ist. Foto: Werenfried van Straaten inmitten von Sachspenden (Essen, 1960): Nächstenliebe fordert Taten