Mit Liedern wie „Freundin“ (1984) oder „Machtlos“ (1985) bzw. Alben wie „Laß mich fallen wie Schnee“ (1985) oder „Geheime Zeichen“ (1987) hat Anne Haigis, die Rockröhre aus Rottweil am Neckar, unbestreitbaren Anteil an der florierenden Deutschrockszene jener Tage. Dann wechselte sie zu Beginn der neunziger Jahre ins Englische, spielte mit Eric Burdon, Tony Carey oder Melissa Etheridge und veröffentlichte mehrere CDs. Im Herbst vor zwei Jahren erinnerte sie sich nochmals ihrer deutschen Phase und versammelte ihre erfolgreichsten Songs zwischen 1984 und 1989 auf der CD „In Deutsch“. Nun legt sie mit „Homestory“ (Pläne/BMG) ein neues (wiederum Englisch gesungenes) Album vor. Mit gemischten Gefühlen landete „Homestory“ im CD-Spieler – aber ein schnelles Aufatmen folgte: Das einst von Eagles-Schlagzeuger Don Henley im Verbund mit Heartbreakers-Gitarrist Mike Campbell geschriebene Epos „The Boys of Summer“ hat überlebt. Und nicht nur das: Anne Haigis gelingt es, die gefühlvolle Ballade ohne Abstriche ins neue Jahrtausend zu überführen. Akkordeon, akustische Gitarren, ein Piano und leise Percussions verleihen dem einst ausschließlich mit Synthis, Schlagzeugcomputern und wenigen E-Gitarren arrangierten Klassiker über den alten Mann, der seiner Sommerliebe hinterher- trauert, einen frischen Charme. Auch die anderen Stücke von „Homestory“ stehen dem in kaum etwas nach. Frau Haigis, die keines der Lieder selbst geschrieben hat, griff bei der Auswahl nur auf feinstes Material zurück. So avancierte der von Tony Carey verfaßte Rocker „Beautiful World“ beinahe zu einer Polka, zumindest zu einem schnellen, tanzbaren, akkordeonverzierten Cajun/Country-Verschnitt. Von den stets deprimierten Glasgower Folk-Wavern Del Amitri lieh sich die schwäbische Rocklady das bekannte „Move away Jimmy Blue“ und den Geheimtip „To last a Lifetime“. Beide verbleiben zwar in ihrer depressiv-abgeklärten Grundstimmung, leben aber im akustischen Arrangement hörbar auf, zeigen sich beinahe noch intensiver als im Original. Das nervöse, aufrüttelnde „Shrink“ stammt vom ewig unterschätzten Julian Dawson; den Fast-Blues „Many Rivers“ hat Bassist/Schlagzeuger Jörg Hamers geschrieben. Gemeinsam mit Hamers, Gitarrist Jens Fliser und Tastenvirtuose/Bläser Roman D. Metzner hatte sich Anne Haigis eine Woche lang in ihrer Kölner Großstadtwohnung verschanzt und dort „Homestory“ in einer „unglaublich entspannten“ Atmosphäre eingespielt. Sie wollte kein teures Studio mieten, wenn man den gleichen Effekt auch in einer Privatwohnung erleben könne. Das Vorhaben funktionierte tatsächlich. Es führen Bläser und Orgel harmonische Zweikämpfe, röhrt das Akkordeon stimmungsvoll durch die Nacht, zirpen leise Akustikgitarren, immer kräftig, aber nie aufdringlich, und fegt der Besen sacht über das Schlagzeug. Die Tuba kommt genauso zum Zuge wie Flügelhorn, Trompete und Harmonium. So leben stille Bluesnummern wie „Run to you“, „Angel“ oder „Still do“ gerade von dieser Wohnzimmerstimmung, von dieser Reduzierung auf das nötigste: Unaufdringliche Arrangements gepaart mit einer zwar heißen, kraftvollen, aber niemals überfrachtenden Stimme. Als zehntes und letztes Lied auf der neuen CD hält Anne Haigis ein besonderes Schmankerl bereit. Seit Jahren singt sie zum Schluß ihrer Konzerte die Beverly-Jo-Scott-Komposition „Magalie“ in einer knapp 14minütigen Version. Bislang hatte das Stück noch auf keiner Haigis-CD ihren Platz gefunden. Auf einem Konzert in Paderborn wurde das Drama mitgeschnitten: Zwei Gitarren, ein Baß, ein Akkordeon und eine die Seele packende Stimme – ein Hörgenuß.