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Marc Jongen, ESN Fraktion
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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Palast der Bundesrepublik

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Cato, Palmer, Exklusiv

Vor über einem Jahr ist im Bundestag die Entscheidung über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gefallen. Damit hat das Parlament eine Feststellung über das Außenvolumen und die Fassade des Baukörpers getroffen, aber noch nichts Konkretes über die Innengestaltung und den Genius loci, der von hier ausstrahlen soll, gesagt. Jetzt ist von einem Moratorium für den Baubeginn die Rede, vor allem aus finanziellen Gründen. Das kann eine Chance sein, genauer darüber nachzudenken, welchem Zweck der Bau eigentlich dienen soll. Dabei sollte man auch die Argumente der Schloßgegner ernst nehmen. Einige ihrer Argumente haben sich von allein erledigt: Niemand redet mehr davon, daß mit dem preußischen Barockbau ein obrigkeitstaatlicher Geist zurückkehren würde, dem man die Transparenz der „demokratischen Bauweise“ entgegenstellen müßte. Dazu sind die Erfahrungen mit den neuen Parlaments- und Regierungsbauten in Berlins Mitte zu ernüchternd. Die Gebäude sind unterirdisch miteinander verbunden, der Verweis auf ein Parlament der kurzen Wege ist für die Politiker ein bequemer Vorwand, um unter sich zu bleiben. Man kann die Gebäude dank der Glaswände zwar einsehen, trotzdem fallen die Entscheidungen unsichtbar. Beim Nachdenken darüber, wie das Innere des Schloßbaus aussehen soll, empfiehlt sich ein Besuch der noch vorhandenen preußischen Schlösser. Zunächst einmal kann man feststellen, wie viele den Krieg überstanden haben bzw. danach wiederaufgebaut worden sind, wieviel Sorgfalt, Pflege und Aufwand jedes von ihnen bedarf. Parallelen zum Schloß Charlottenburg, das im November 1943 von Bomben zerstört wurde, bieten sich an. Der heutige Bau ist weitgehend die Kopie des zerstörten Originals. Auch im Innern findet man nicht durchweg Originalbestände vor, viele der Möbel und Bilder stammen aus den zerstörten Stadtschlössern in Berlin und Potsdam. Diese Art der Rekonstruktion ist nicht zuletzt dadurch gerechtfertigt, daß die Fürsten ebenfalls ihr Mobiliar zwischen den verschiedenen Residenzen hin- und hertransportierten. Manches wurde auch nachempfunden. Das lange als zerstört geltende Porzellankabinett (inzwischen wird es in Rußland vermutet) wurde durch weltweite Aufkäufe wiederhergestellt. Auf diese Weise ist ein Schloßmuseum entstanden, wo die Frage nach der materiellen Identität zweitrangig ist. Es läßt sich hier ablesen, wie die preußischen Könige zu verschiedenen Zeiten gelebt haben und wie ihre Staatsideen sich ästhetisch manifestierten. Historische und kulturgeschichtliche Zusammenhänge werden sinnlich erfaßbar, die Besucher fühlen eine gleichsam kathartische Wirkung. Das ist möglich, weil Inneres und Äußeres miteinander korrespondieren, der Baukörper nicht nur eine Attrappe ist. Was bedeuten das für das Berliner Schloß? Sein Wiederaufbau wäre städtebaulich ein Wert an sich, weil – Wolf Jobst Siedler hat darauf immer wieder hingewiesen – der Bau die natürliche Stadtmitte war und die umliegenden Gebäude (Museumsinsel, Zeughaus, Oper usw.) sowie die Straße Unter den Linden auf ihn bezogen waren. Trotzdem ist eine Neuschwansteiner Kulisse als Mitte der Hauptstadt abzulehnen, weil sie nur eine umbaute ideelle Leere wäre. Ein großes, pures Schloßmuseum braucht man ebensowenig. Die bisherigen Vorschläge für Bibliotheken, gehobene Restaurants, Tagungszentren, Hotels oder Hörsäle sind sympathisch, würden aber – wenn man sie absolut nimmt – den Schlüterbau ebenfalls zur gefälligen Hülle degradieren. Ähnliches gilt für den Vorschlag, das Museum für Außereuropäische Kunst hier unterzubringen. Ein anderer Vorschlag lautet, im Schloß das Zentrum gegen Vertreibungen einzurichten, das sich damit in unmittelbarer Nähe zum Museum für Deutsche Geschichte im Zeughaus befände. Aber auch das wäre der Rückzug in eine illusorische Harmonie. Bei der Gestaltung des Zentrums sollte man sich eher an Daniel Libeskinds Jüdischem Museum orientieren, das bereits äußerlich die Schreckenserfahrungen des 20. Jahrhunderts aufnimmt. Die bisherigen Vorschläge für das Schloß sind wenig vertrauenserweckend. Es geht darum, den Bau durch moderne Innengestaltung zu einem kommerziellen Erfolg zu machen. War zunächst von einem paritätischen Anteil zwischen öffentlicher und privater Nutzung die Rede, geht es neuerdings schon um einen achtzigprozentigen Privatanteil. Um die Nutzfläche zu erhöhen, sollen die Ecken der Innenhöfe abgerundet werden, was ihnen das Aussehen überdimensionierter Kloschüsseln verleiht. Durch Glasdächer würde dieser Eindruck sich noch verstärken. Hinzukommen würden wohl gläserne Galerien und Atrien, wie sie sich heute jede mittlere Bank leistet, als Kulisse für Cocktailempfänge, Pressekonferenzen und andere Medieninszenierungen. Die Höfe wären also – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr begehbar, die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Hinter der Fassadenarchitektur würde eine zweifelhaft gewordene Elite sich selber feiern. Vielleicht sollte man doch lieber eine möglichst genaue Rekonstruktion des alten Zustandes anstreben. Dabei kann es nur um die dokumentierten und kulturhistorisch bedeutsamen Innenräume gehen, zwei Drittel des Schlosses waren profaner Natur. Zu denken wäre an Schlüters Treppenhäuser, an den Weißen Saal, wo der Kaiser den Reichstag empfing, und zwar nicht in der wilhelminischen Fassung, sondern in der von August Stühler aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, oder an den Rittersaal, wo wieder das Silberbüfett untergebracht werden könnte, das heute in einem lieblosen Raum des Kunstgewerbemuseums am Kulturforum abgestellt ist. Diese Säle könnten für Staatsbankette und internationale Konferenzen dienen. Die Tagungen in schäbigen Berliner Hotels hätten dann ein Ende. Selbst das würde nicht reichen, um das Schloß als Bezugspunkt ins allgemeine Bewußtsein zu rücken. Man müßte auch die mit dem Palast der Republik gemachten Erfahrungen aufnehmen. Der Palast befand sich mitten in der Machtzentrale des SED-Staates, hier wurden Parteitage und die Sitzungen des Scheinparlaments, der Volkskammer, zelebriert. Im Alltag aber wurde dieser zentrale Stadtraum von ganz normalen Bürgern besetzt, die in den Cafés, den Bowlingbars und Veranstaltungssälen ein bißchen Eleganz und gesteigertes Lebensgefühl suchten. Über die Art und Weise, in der das stattfand, mag man lächeln. Fest steht aber auch, daß die Anwesenheit der Durchschnittsbürger eine gesellschaftspoltische Dimension hatte, die sich am 7. Oktober 1989 dramatisch zeigen sollte. Drinnen lud eine unlegitimierte Führung zum letzten Staatsbankett, draußen verlangten die Demonstranten namens des ausgeschlossenen und entmündigten Demos Einlaß. An diese Tradition anknüpfend, müßte sich hier eine reformierte Staatsidee manifestieren. Einerseits müßten Nutzungskonzepte des Palastes beibehalten werden, andererseits wäre hier der richtige Platz für einen per Direktwahl bestimmten, konstitutionell gestärkten Bürgerpräsidenten, der ein Gegengewicht zur Parteienoligarchie darstellte. Das Präsidialamt könnte in die wiedererbaute Schinkelsche Bauakademie oder in den Marstall ziehen. Der Präsident würde hier angemessen wohnen, arbeiten, repräsentieren – und müßte sich zugleich gefallen lassen, daß weite Teile des Hauses nicht ihm, sondern der Öffentlichkeit gehören. Das wäre dann die Durchmischung von Demos und Politik, die im Parlamentsviertel nur vorgetäuscht wird, und zwar im Zeichen staatlicher, geschichtlicher und kultureller Dignität.

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