Wie schön – endlich sind sich die Kritiker einmal unisono einig. Wenn es darum geht, die vielgescholtene Werktreue übelgelaunt wie selten in der Luft zu zerreißen, dann darf’s im deutschen Blätterwald sehr einvernehmlich rauschen. Da wagt es doch tatsächlich der Wiener Intendant Ioan Holender, künstlerisch mitverantwortlich für die Deutsche Oper, den Berlinern eine Inszenierung vorzusetzen, die weder von strampelnden SS-Soldaten noch von anonymen Truppen in Soldatenmänteln und/oder kopulierenden Pärchen handelt. Da setzt Regisseur John Dew, der doch einstmals als Moderner akzeptiert wurde, eine Geschichte um, die gar nicht allzu traditionalistisch präsentiert wird und erst recht nicht so ausgestattet ist – die Inszenierung ist nicht neu (1994 in Wien war Premiere), aber von Frédéric Chaslin und dem Orchester ausgezeichnet interpretiert. Was ist da passiert, wenn von der Frankfurter Rundschau bis zur Welt, die immer noch merkwürdigerweise als konservative Tageszeitung gesehen wird, so viel gejammert wird? Ganz einfach, eine Oper wird inszeniert, eine Oper des Belcanto-Spezialisten Vincenzo Bellini. Seine letzte, mit einem Libretto versehen von einem Herrn, der bis dahin ähnliches nicht geschrieben hatte, aber weitaus besser und weitaus effektvoller gearbeitet hat, als dies von späteren Musikwissenschaftlern angenommen wurde. Besagter Carlo Pepoli schrieb die Geschichte, die Bellini in einem melodiösen Farbenreichtum ausmalte, der die Quintessenz eines zwar kurzen, aber dennoch kompositorisch reichen Lebens ist. Eine Geschichte aus der Cromwell-Zeit, in der die Liebe scheinbar über die scharfen Grenzen zwischen protestantischen Cromwell-Jüngern und den vermeintlich dem Katholizismus zuneigenden Truppen des Stuart-Königs Karl obsiegt. Und dann stehen sich die Paare gegenüber, zugegeben im ersten Akt nicht immer allzu aktionsverliebt. Da braucht’s durchaus keine hin- und hergaloppierenden Scharen, da braucht’s keine Zustandsbeschreibung der bundesrepublikanischen Gesellschaft, um im düsteren Bühnenbild von Heinz Balthes das Liebes-Intrigen-Spiel im höheren politischen Sinne vorzuführen. Im ersten Akt einige geköpfte Statuen, ansonsten ist keine Bilderstürmerei zu erwarten. John Dew hat keine große, aber eine akkurate Inszenierung präsentiert, in der Sopran und Baß, sprich die großartigen Maureen O’Frynn als lange vergeblich verliebte Elvira und Arutjun Kotchinian als guter Onkel Sir Georgio eindeutig über die nicht ganz so gut aufgelegten Tenor- und Bariton-Helden musikalisch obsiegen.
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