Wer am 29. Juli die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf schlug, fand im Feuilleton auf der Medienseite einen 20 Jahre alten Kommentar des Journalisten Klaus Harpprecht (76), der am 26. April 1983, vom ZDF ausgestrahlt worden war. Es ging um die angeblichen Hitler-Tagebücher, die Harpprecht – wie viele andere auch – für echt gehalten hatte. Wie peinlich! Doch die Angelegenheit ist längst erledigt. Der 20. Jahrestag des Skandals, den der Stern mit der Kujau-Fälschung ausgelöst hatte, ist vor Monaten ausgiebig abgefeiert worden. Was also ist der Sinn dieser Veröffentlichung? Die nicht namentlich gezeichnete Einleitung bietet nur Eingeweihten eine Erklärung. Sie findet sich in dem Halbsatz: „Wie das Syndrom von Geldgier und Geltungssucht bei Spielernaturen alle Sicherungen journalistischer Sorgfalt durchbrennen ließ (…).“ Damit war klar, daß es sich um eine Retourkutsche des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher handelte Wer hin und wieder auch die Berliner taz liest, erinnerte sich, daß Klaus Harpprecht (regelmäßiger Zeit-Autor, ehemals Redenschreiber und Berater von Willy Brandt, Verfasser einer Thomas-Mann-Biographie von ozeanischen Ausmaßen) dort im Juli zwei Artikel publiziert hatte, die einen Frontalangriff auf Schirrmacher darstellten. Der erste war überschrieben: „Eine Spielernatur war nicht vorgesehen“. Harpprecht hatte darin Schirrmacher als den Hauptverantwortlichen für die desaströse Entwicklung und Bilanz der einstigen Königin der deutschen Tageszeitungen benannt. In Anfällen von Größenwahn habe er in zwei Wellen wichtige Stammautoren vergrault, die FAZ in die defizitären Abenteuer der Sonntagszeitung sowie der Berliner Seiten gejagt und das bürgerliche Blatt zu einer „Krawallveranstaltung“ umfunktioniert. Harpprecht bezog sich dabei auf den antiamerikanischen Haßausbruch des Italien-Korrespondenten Dirk Schümer, der mit dem antideutschen Haßausbruch eines Amerikaners beantwortet wurde. Schirrmacher fixe und teure Idee, das Feuilleton nach Berlin zu verfrachten, sei im letzten Moment durch den Mitherausgeber Günter Nonnenmacher gestoppt worden. Statt endlich die Verantwortung für die von ihm verursachten Pleiten zu übernehmen, wälze Schirrmacher die Folgen auf andere ab. In der Beschreibung Harpprechts erschien er als eiskalter, selbstverliebter und verantwortungsscheuer Karrierist. Der zweite Harpprecht-Artikel nahm Bezug auf eine Hymne, die Schirrmacher auf den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch verfaßt hatte. Der Anlaß dafür war Kochs banale Aussage gewesen, die Situation in Deutschland sei seit 1948 noch nie so ernst gewesen wie heute. Schirrmacher unternahm eine gründliche Exegese und klopfte die Banalität auf ihren „faktischen“ und „metafaktischen“ Bedeutungsgehalt ab. Der Aufsatz gehörte zu den Schirrmacher-Artikeln, die kein normaler Mensch mehr zu Ende liest und die trotzdem immer häufiger werden. Harpprecht kolportierte in diesem Zusammenhang Gerüchte, Schirrmacher wolle unter einem Kanzler Roland Koch Kulturstaatsminister werden. Außerdem sondiere er – analog zur Frankfurter Rundschau – wegen einer Bürgschaft für die FAZ bei der hessischen Landesregierung. Was immer auch der Hintergrund dieses Doppelschlags gewesen sein mag – denkbar ist ein Machtkampf innerhalb der „Zeitung für Deutschland“ -, er hat gesessen! Dabei hatte Harpprecht Schirrmachers größte Schweinerei – die Denunziation Martin Walsers als Antisemiten – noch nicht einmal erwähnt. Ein Vorgang, der bis heute rätselhaft erscheint. Denn jahrelang war Walser von Schirrmacher in atemberaubende Höhen getragen worden, was angesichts der Kolportage, die Walsers Werk durchzieht, verwunderlich genug war. Verschwörungstheorien von der Art, externe Einflüsterer hätten ihn bestimmt, Walser zu exekutieren, weil dieser hin und wieder ein offenes Wort riskiere, sind wenig überzeugend. Vermutlich wollte der Mann mit dem „unfertigen Posaunenengelgesicht“ (Harpprecht), der eine kometenhafte Karriere hinter sich, eine Biographie aber erst noch vor sich hat, einen Vatermord begehen und auf diese Weise endlich selber eine primäre Berühmtheit werden. Damit aber ist er gründlich gescheitert. Schirrmacher war einfach nicht mutig genug. Er ist nicht in offener Feldschlacht angetreten, sondern als tückischer Alberich. Er ging mit dem Gift des Antisemitismus-Vorwurfs hausieren und vertraute darauf, daß dieses Gebräu in Deutschland stets noch den Stärksten umgeworfen hat. Aber ganz so naiv ist der deutsche Michel denn doch nicht. Walser überlebte die Giftattacke und erschien danach vitaler denn je. Schirrmacher blieb nur noch, durch eine einseitige Berichterstattung, die Unterdrückung konträrer Meinungen und die Kündigung von Mitarbeitern wenigstens im eigenen Blatt seine Niederlage und Feigheit zu kaschieren. Der Preis war das erschütterte Vertrauen in die Solidität und Objektivität der Zeitung. Er ist ein begabter Journalist, aber keine Persönlichkeit und, verglichen mit Walser, eben doch nur ein elender Skribent. Auch jetzt wagt er es nicht, Harpprecht offen anzugehen und Roß und Reiter beim Namen zu nennen. Er setzt eine billige Retourkutsche in Gang. Das wäre alles nicht der Rede wert, wenn Schirrmachers Gelüste, Komplexe und Schwierigkeiten nicht auch die des sogenannten bürgerlichen Lagers in Deutschland wären. Stellvertretend dafür steht sein merkwürdiges Konkubinat mit Außenminister Joseph Fischer, dessen Gewaltexzesse, Ausflüchte und Beschwichtigungen in Schirrmacher einen milden Beurteiler fanden. Er versagte es sich sogar, auf brechtsche Weise an „Joschka“ die Verwandlung der Gaunerwelt in bürgerliche Reputierlichkeit zu karikieren. Fischer durfte im FAZ-Feuilleton unwidersprochen verbreiten, die noch ungefestigte Demokratie in Deutschland vertrüge die Angriffe auf ihn nicht. Es fehlte nur noch der Majestatis pluralis! So weit war noch nicht einmal die taz gesunken, das Verhältnis zu Fischer zum Lackmustest der deutschen Demokratie zu erklären. Das Verhältnis Schirrmacher/Fischer ist das des Klassenprimus zum Rüpel. Den einen mögen zwar die Lehrer, aber nicht die Mädchen. Der andere ist den Lehrern ein Greuel, während die Mädchen ihn anhimmeln. Schließlich dient der Primus sich dem Rüpel als Knappe an, damit ein bißchen von dessen Sexappeal auf ihn falle. Ein bißchen Sexappeal sei Schirrmacher gegönnt. Doch auf Dauer ist es tödlich für die Reputation einer Zeitung vom Rang der FAZ, wenn die Leser immer häufiger Grund zu dem Verdacht haben, die Artikel handelten in Wirklichkeit gar nicht von dem thematisierten Gegenstand, sondern von den Komplexen und dem Privatkalkül ihrer Verfasser. Ein FAZ-Herausgeber, der mit seinen 44 Jahren noch immer nicht auf Pennäler-Allüren verzichten kann, weckt Zweifel an seiner persönlichen, moralischen und politischen Reife. Er ist eine Zumutung. Foto: Frank Schirrmacher: Der „FAZ“-Mitherausgeber hat eine kometenhafte Karriere hinter sich, eine Biographie aber erst noch vor sich