Er heißt Martin und ist knapp zwanzig. Seine Mutter ist Slowakin, sein Erzeuger ein deutschstämmiger Nordpole – eine Herkunft, der Martin seine optimale Ausstattung zu danken scheint, denn Martin ist Bodybuilder. Nebenbei besucht er die letzte Klasse einer Gesamtschule in Köln-Holweide. Martin ist anders als die übrigen Schüler seiner Klasse: Phänotypisch, habituell trägt er sich so oberschlesierhaft-bieder wie Landsmann Miroslav Klose. Martin mag „den Miro“ sehr, jenen ebenfalls „übergesiedelten“, binationalen Torjäger des pfälzischen Proficlubs Kaiserslautern, der mit seiner unzeitgemäß bescheidenen Arbeit, seinem blondsträhnigen, kantig-abgezehrtem Antlitz wirkt, als habe der Fußballgott eine Reinkarnation des legendären, jüngst verstorbenen Fritz Walter ins Werk gesetzt. Assoziativ wählt man das altbackene „gewissenhaft“ aus, als adäquates Attribut, das zum 1954er Weltmeister ebenso paßt wie zu Miro und zu Martin aus Porz. Porz ist ein sozial problematischer Stadtteil im Kölner Osten, ein für Deutschland 2003 typischer Multikulti-Vorort, eine typisch deutsche Softversion von der New Yorker Bronx mit typischen Kämpfen um die Vormacht im Kiez. Die türkischstämmigen Jungmänner verbeißen sich insbesondere in ihre rußlanddeutschen Kontrahenten, wechselnde Waffenbrüderschaften bilden sich, in der Regel verlaufen sie den diversen ethnisch-religiösen Bruchlinien entlang. Normale Deutsche findest du (Bild-Beckenbauerismus!) unter den Kiezstreitern kaum noch, sie sind zu feige und zu schlapp. Dies ist der Ort, an dem Martin, der deutschpolnische Halbslowake, sich auf die Hochschulreife vorbereitet. Hat er die, wird er in Remagen, dem idyllischen Rheinflecken auf der Landesgrenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, an der soeben gegründeten Fachhochschule Sportmarketing und Eventmanagement studieren. Denn Martin will sein Hobby zum Beruf machen. Seit fünf Jahren ist er im Training. Nur am Sonntag tut er nichts, an Werktagen geht er morgens zur Schule, iß um eins, schläft bis drei, arbeitet für die Schule bis halb fünf. Dann packt er die Tasche fürs Training und fährt mit der Bahn nach Gremberghoven ins Gym. Von sechs bis zehn, halb elf bleibt er dort, seinem wahren Zuhause, denn daheim, bei seinen Eltern, hält er sich selten auf. Samstags- und sonntagabends muß Martin nach Düsseldorf, wo er das Geld für sein teures Hobby verdient. Bis zum Morgengrauen exponiert er, für gute Gage, seine zwei Meter vier vor der weißen Pforte zur noblen Altstadt-Diskotheque „Mark II“; der Job als „Türsteher“ ist stressig und gefährlich, aber Martin braucht die Kohle. Für Zusatznahrung, Ergänzungsmittel, tierisches Eiweiß, pflanzliches Eiweiß, für Protein, Chitosan, Taurin und Creatin, für Tribolan und Vanadyl, für Clenbuterol, Glutamin und Ephedrin, anabole Steroide, die Testosteronknaller bulgarischer Gewichtheber, für allerlei Hormoncocktails und Pharmazeutika, voll und kraß alles, was die wissenschaftlich aufgerüstete Muskelapotheke hergibt. Denn Martin hat große Ziele, will es bis ganz nach oben bringen. Vor kurzem nahm er zum ersten Mal an den „Rhineland Newcomer Posing Classics“, einem Wettbewerb in Bergisch Gladbach, teil und siehe! Martin landete auf Anhieb unter den ersten drei. Selbst seine Kehrseite war muskulär optimal definiert, und die Preisrichter zeigten sich begeistert darüber, daß beim Starter M. L. aus Porz „die querverlaufende Streifung des Gluteus maximus auf den Hinterbacken“ einwandfrei zu erkennen sei. Sein Vorbild ist, natürlich, Arnold Schwarzenegger; „Arnie“, der mythisch entrückte Urvater der Szene, ist nach unzähligen Titeln im Sport und etlichen weltweit erfolgreichen Action-Streifen in Hollywood mittlerweile mit der Kennedy-Dynastie familiär versippt; dem Vernehmen nach strebt der „Terminator“ aus der Steiermark künftig das politisch perspektivenreiche Amt des kalifornischen Gouverneurs an. Martin will weder Gouverneur noch Präsident werden, nach Möglichkeit aber bis circa Mitte zwanzig mindestens Europameister sein. Dafür tut er alles. Dann soll der Titel eines „Mister Universum“ her. Danach steige er ins große Veranstaltergeschäft ein, werde sich um die globale Vermarktung und Aufwertung seines Sports kümmern. Dies sei seine Bestimmung, er fühle es ganz deutlich. Vor zweieinhalb Jahren brachte er schlappe neunzig Kilo auf die Waage; dann aber nahmen ihn, das Kücken im Gym, ähnlich ambitionierte Brocken unter ihre Fittiche: Trainingspläne, Ernährung und „ergänzende Zufuhr“ wurden optimiert, und als dann hie und da ein Hormonspritzchen gesetzt wurde, entwickelte sich der Muskelzuwachs des genetisch offenkundig begünstigten Martin nachgerade explosiv. Martin überschritt die Hundert-Kilo-Marke und erreichte sechzehn Monate später hundertachtzehn Kilo, wurde ein turmhoher Hüne: Muskelmasse, wohin das Auge fällt. Ohne Trainingsfleiß aber verpuffen die Wundermittel. Martin beherzigt dies und ist fleißig; „gewissenhaft“ befolgt er die Trainingspläne und ißt fettarm, Spaghetti mit Pute und Pute mit Spaghetti, Chili con Carne und Carne con Chili, Reis und Nudeln, Nudeln und Reis. Das Gros seiner mehrstündigen Exerzitien bewerkstelligt er mit zwei Kurzhanteln zu jeweils fünfzig Kilo Gewicht, den Rest erledigt er mit Drückerbank, Hundert-Kilo-Langhantel und dem Kniebeugengestell, dem Martin an guten Abenden locker vierhundert Kilo aufsteckt. Martin hat sein Training generell in zwei Phasen aufgeteilt: In der ersten konzentriert er sich mit Grundübungen und niedriger Wiederholungsfrequenz darauf, Körperkraft und Muskelmasse zu steigern. Intensitätstechniken nutzt er in dieser Phase wenig, um den Leib nicht zu überfordern. In der zweiten Phase versucht er, die aufgebaute Masse auszuarbeiten und die Qualität zu steigern. Dieses Qualitätstraining ist geprägt von Supersätzen, Intensivwiederholungen und erweiterten Sätzen. Hierbei muß er sich vor Übertraining hüten, nach sechs Wochen geht er daher wieder zu Phase eins zurück. Ein Ende ist nicht abzusehen. Ein weiter Weg liegt vor Martin, dem Willensriesen. Wir werden den Weg des hoffnungsvollen Athleten künftig aufmerksam verfolgen und bei gegebenem Anlaß weiterhin berichten über Martin, den gewissenhaften, körperlich begünstigten Halbslowaken aus Porz bei Köln.