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Pankraz, S. Christiansen und die Angst der Kontoinhaber

Pankraz, S. Christiansen und die Angst der Kontoinhaber

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Pankraz, S. Christiansen und die Angst der Kontoinhaber

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Eine Hausfrau rechnete Pankraz vor: Jede Woche fahre sie samstags zum Lebensmittel-Großeinkauf, früher habe sie dabei etwa hundertsiebzig Mark ausgegeben, jetzt gebe sie hunderfünfzig Euro aus – eine Preiserhöhung um gut achtzig Prozent innerhalb von noch nicht einmal einem Jahr.

Ihr Mann – biederer Mittelstand – sekundierte: Sein ganzes bißchen Erspartes hätte er, verleitet durch das Gelaber im Wirtschaftsfernsehen, in Aktien angelegt, weil er sich sonst albern und unmodern vorgekommen wäre – jetzt sei alles den Bach hinunter, aus und vorbei, Zehntausende Verlust in noch nicht einmal einem Jahr.

Beide barmten, aber beide waren sich einig: Man könne nichts dagegen machen, man müsse sich halt einschränken. Und so schränken sie sich ein, gehen nicht mehr in Restaurants, fahren nicht mehr Taxi, sparen vor allem am "Kulturetat", bestellen Zeitungen und Zeitschriften ab, tummeln sich weiter zwischen Möbeln, die eigentlich ausgewechselt werden müßten, warten ergeben auf weitere Schicksalsschläge: höhere Krankenkassenbeiträge, höhere Benzinpreise, höhere dies und das.

Der politische Terror, die Flugzeugentführungen, die Bomben in Urlaubszentren, wecken zwar Entsetzen, kommen aber auch zupaß, um zu erklären, weshalb man während der Ferien nicht mehr ins Ausland fliegt, also auch am Urlaubsetat drastisch spart. Hauptsache, man kann die Fassade wahren: das Häuschen nach außen in Ordnung halten, jeden Morgen mit dem Auto zur Arbeit fahren, sich über die abendlichen "Events" des Fernsehens auf dem laufenden halten. Gästeliste bei Sabine Christiansen, die neuesten Scherze von Harald Schmidt, der neueste Millionengewinner bei Günther Jauch. Alles andere ist zweitrangig geworden.

Die "großen" Themen der offiziellen Politik, Ehegattensplitting, Pisa-Studie, Firmeninsolvenzen, Arbeitslosenstatistik, Atomausstieg – sie führen ein gespenstisches Eigenleben, die Aufregung über sie findet fast ausschließlich in den Medien statt. Gar die täglichen "Spitzenmeldungen", die Bilder zur prime time, wo irgendwelche Damen und Herren aus Luxuslimousinen aussteigen und irgendwelche Statements abgeben – es ist ein Theater vor nur scheinbar vollen Rängen. Alle sehen es, doch niemand interessiert sich dafür.

Ruhe herrscht im Land, leider nicht die Ruhe eines gut geölten, klug optimierten Gemeinwesens, sondern die Ruhe einer Abstellkammer, wo jedes Relikt still an seinem Platz steht und seiner natürlichen Zerbröselung entgegendämmert. Jeder, der den Verfallsprozeß auch nur einigermaßen realistisch zu benennen wagt, wird als Ruhestörer empfunden, als eine Art Friedhofsschänder und Grabsteinstürzer. Man ist unzufrieden, hat aber Angst davor, daß die Unzufriedenheit einen Namen bekommt.

"Es geht den Leuten immer noch zu gut", hört man oft. Das ist insofern richtig, als die aktuellen Verluste sich tatsächlich von einem hohen Sockel herunterschmelzen. Es ist aber verwunderlich, wenn man sich an frühere Jahre erinnert, als Gewerkschaften schon Zetermordio schrien und riesige Arbeitskämpfe organisierten, wenn den Mitgliedern ein halbes Prozent Einkommen abhanden kam und ihnen nicht sofort voller Ausgleich in Aussicht gestellt wurde.

Die "Revolte" von ’68 brach sogar mitten im ökonomischen Aufschwung aus, war, sozialpolitisch betrachtet, ein typisches Wohlfahrtsphänomen. Kritik entzündete sich zu jener Zeit an rein geistigen Belangen, speziell am Überdruß an geistiger Tradition und institutionellem Formbewußtsein. Man riß sich alle unbequemen Klamotten herunter und glaubte, daß allein dadurch schon alles besser würde.

Heute beschänkt sich der kritische Impetus, das "Geistesleben", im wesentlichen darauf, diejenigen anzuklagen, die vor sechzig Jahren in dieser oder jener Form "mitgemacht" haben. Unverdrossen wird in den Medien damaliges "Fehlverhalten", und sei es auch nur Duckmäusertum oder politisches Desinteresse gewesen, groß herausgekehrt und pompös "entlarvt". Faktisch niemand kommt auf den Gedanken, heutiges Duckmäusertum und Desinteresse mit dem von damals zu vergleichen und einmal ernsthaft über die psychologischen Voraussetzungen solchen Verhaltens nachzudenken. Im Gegenteil, das heutige Duckmäusertum wird mit dem von damals über Kreuz ausdrücklich gerechtfertigt.

Wahrscheinlich hängt das auch damit zusammen, daß die Gesellschaft – an herkömmlichen Maßstäben gemessen – überaltert ist. Ab fünfzig läßt das Bedürfnis nach nachhaltiger Weltveränderung spürbar nach. Man fängt an, mit den Beständen zu rechnen, das (noch) Vorhandene allseitig abzusichern und sich mit immer mehr Tatbeständen klaglos zu arrangieren.

Von einer Beruhigung und Disziplinierung destruktiver Instinkte kann aber wohl kaum die Rede sein. Ein Volk, wie alt auch immer, dem innerhalb eines einzigen Jahres die Preise um achtzig Prozent erhöht und die Ersparnisse zu neunzig Prozent wegspekuliert werden, reagiert vielleicht zunächst konsterniert und eingeschüchtert, es wird aber nicht unbedingt friedsamer. Zumindest akkumuliert sich ein Potential für Hysterie und erruptive Gewaltausbrüche. Die Leute werden reif für Sündenbockjagden und für von oben organisierte Hetzkampagnen,man denke an die seinerzeitige "Kampagne gegen Rechts".

Am Ende nützen freilich auch die schönsten Sündenböcke nichts mehr, nichts der Regierung willfährige Medien und nichts die Dauerbeschwörung historischer Schuld und Zahlungsverpflichtung. Die Konkursverwalter selber kommen an die Reihe, weil sie sich längst als Konkursverschlepper offenbart haben, als der Kern des Übels, das sie angeblich bekämpfen. Hoffentlich wird das kein Ende mit Schrecken, sondern ein solider Neuanfang.

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