Im letzten Jahr feierte der „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ das fünfzigste Jubiläum der Wiedergründung in der Nachkriegszeit. Das Periodikum des Bundes, Die deutsche Schrift, kann mittlerweile – unter Ausschluß der Zeit zwischen 1941 und 1950 – sogar schon auf stolze 69 Erscheinungsjahre zurückblicken. Inzwischen stellt Die deutsche Schrift das einzige im deutschen Sprachraum verbreitete Organ dar, das sich ausschließlich der Fraktur- und Sütterlinschrift bedient. Bezeichnenderweise löst bereits der Titel der Vierteljahresschrift bei ahnungslosen Zeitgenossen immer wieder Irritationen aus. Tatsächlich ist die Fraktur kein ausschließlich „deutscher“ Schrifttyp. Vielmehr hat sie im gesamten altgermanischen Raum eine lange Tradition. Ihre Anfänge gehen auf die „Gotische Schrift“ zurück, die sich seit dem 12. Jahrhundert im Raum nördlich der Alpen immer mehr durchsetzte. Die heute noch bekannte Prägung erhielten die Fraktur und die verwandte Rotunda allerdings erst Anfang des 16. Jahrhunderts. Etwa zur gleichen Zeit setzte sich in den Ländern des römisch-katholischen Einflußbereiches die heute umgangssprachlich als „Latein“ bezeichnete Schrift immer mehr durch. Dagegen wurde die Fraktur im nord- und mitteleuropäischen Raum zunehmend zur bestimmenden Schriftart, so zum Beispiel außer in Deutschland etwa in Finnland, Schweden, Dänemark, Estland oder dem westlichen Raum der österreichischen Habsburgermonarchie. Auch sie kann daher mit Recht den Titel einer nicht nur traditionell „deutschen“, sondern auch „europäischen“ Schrift für sich beanspruchen. Die Sütterlinschrift – umgangssprachlich oft als „deutsche Schreibschrift“ bezeichnet – ist dagegen ein modernes Produkt und trug bei ihrer Entstehung den veränderten Handschreibbedingungen durch den zunehmenden Gebrauch von spitzen englischen Stahlfedern seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Rechnung. Neben der Unkenntnis dieser Traditionen müssen sich die Schöpfer des 1927 gegründeten und 1951 wiedergegründeten Bundes sehr häufig mit dem Vorwurf der kulturellen Nähe zum Nationalsozialismus auseinandersetzen. Dabei ist das glatte Gegenteil dieses vorschnellen Urteils richtig: Aus puren wirtschaftlichen Erwägungen heraus wurde durch ein Rundschreiben Martin Bormanns vom 3. Januar 1941 die Ablösung der bis dato überwiegend verwendeten Fraktur durch die heute gebräuchliche Antiqua verfügt. Dieser Aktion fielen auch der Bund und seine Zeitschrift zum Opfer. 1941 mußten sie ihre Tätigkeit einstellen. Erst 1951- nach mehr als zehn Jahren – war eine Wiedergründung des Bundes und seines Organs möglich. Die gesellschaftlichen Umbrüche seit Kriegsende führten freilich nicht zu der erhofften Renaissance von Fraktur und Sütterlin im öffentlichen Raum. Vielmehr wurde nach 1945 an die Entwicklung der NS-Zeit nahtlos angeknüpft, nun schon aus Kontroll- und Zensurgründen und schließlich ging die Antiqua sogar als Schrift einer freien westlichen Welt – Englands, der Vereinigten Staaten und Frankreichs – in die Annalen ein. Nur einige Publikationen des konservativen Spektrums wie die österreichischen Zeitschriften Eckartbote oder Aula hielten bis Anfang der sechziger Jahre an der Fraktur fest. Heute haben aber auch sie sich von ihren ehemaligen Grundsätzen in dieser Hinsicht ganz oder größtenteils verabschiedet. Als echter Exot mit ungebrochenem Willen setzt Die Deutsche Schrift heute wie in den Jahren ihrer Gründung auf beharrliche Aufklärung. In jedem der ausgezeichnet gestalteten Hefte wird dem Leser und Betrachter immer wieder aufs Neue verdeutlicht, welcher Formen- und Gestaltungsreichtum den „deutschen Schriften“ Fraktur, Rotunda und Sütterlin innewohnt, der in der deutschen Gesellschaft ungenutzt bleibt. Auch inhaltlich haben die etwa 40 Seiten umfassenden Blätter viel zu bieten. So setzt sich beispielsweise kaum eine andere Publikation in einer vergleichbar kritischen Weise mit der Verflachung der deutschen Sprache durch Rechtschreibreform und Fremdwörterwahn auseinander. Akribisch geht sie Beispielen des gelungenen Einsatzes „deutscher Schriften“ in der Öffentlichkeit nach. Man kann dem Bund und seinem Organ nur weiterhin viel Mut beim Verharren auf einem vermeintlich verlorenem Posten und Erfolg bei der Gewinnung interessierter Nachwuchsmitglieder wünschen. Information: Bund für deutsche Schrift und Sprache e.V. Hannover, Postfach 1110, 26189 Ahlborn (Oldenbg)