In diesen Tagen vor achtzig Jahren führte Deutschland die Wehrpflicht wieder ein. Dem entsprechenden Gesetz wurde ein weitschweifiger politischer Aufruf vorangestellt. Gleich sein erster Abschnitt setzte damit an, die betrogene Gutgläubigkeit der Deutschen und den Zynismus der internationalen Politik zu beschwören:
„Als im November 1918 das deutsche Volk – vertrauend auf die in den 14 Punkten Wilsons gegebenen Zusicherungen – nach viereinhalbjährigem ruhmvollen Widerstand in einem Kriege, dessen Ausbruch es nie gewollt hatte, die Waffen streckte, glaubte es nicht nur der gequälten Menschheit, sondern auch einer großen Idee an sich einen Dienst erwiesen zu haben. Selbst am schwersten leidend unter den Folgen dieses wahnsinnigen Kampfes, griffen die Millionen unseres Volkes gläubig nach dem Gedanken einer Neugestaltung der Völkerbeziehungen, die durch die Abschaffung der Geheimnisse diplomatischer Kabinettspolitik einerseits, sowie der schrecklichen Mittel des Krieges anderseits veredelt werden sollten. Die geschichtlich härtesten Folgen einer Niederlage erschienen vielen Deutschen damit geradezu als notwendige Opfer, um einmal für immer die Welt vor ähnlichen Schrecknissen zu erlösen.‟
Eine zur Landesverteidigung unfähige Reichswehr
Deutschland habe seine Verpflichtungen in diesem Geist erfüllt, die anderen Staaten hätten dagegen nicht abgerüstet. Das stimmte natürlich so nicht ganz. Mit Hilfe der UdSSR und auch sonst mit List und Tücke waren die Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrags schon von der Weimarer Republik jederzeit nach Kräften umgangen worden. De facto kam allerdings doch nicht mehr heraus als eine Reichswehr, die zur Landesverteidigung auch nur gegen den stets drohenden polnischen Angriff kaum fähig gewesen wäre.
Auf der anderen Seite hatte sich bei den Westmächten eine gewisse Lustlosigkeit im Rüstungsbereich breitgemacht. In Fankreich investierte man vorwiegend defensiv in den Beton der Maginot-Linie, während der blutigere Teil künftiger Auseinandersetzungen den Verbündeten in Osteuropa zufallen sollte. Großbritannien seinerseits investierte kaum noch in den Neubau seiner Flotte. Ein Wettrüsten mit den USA in diesem Bereich war zwar 1919 ernsthaft erwogen, aber dann doch verworfen worden.
Briten probten den Bombenkrieg, Sowjets rüsteten gigantisch auf
Allerdings probierte man in den neu erworbenen Kolonialgebieten im Nahen Osten schon mal den strategischen Luftkrieg aus. Manche der dortigen Einwohner hatten tatsächlich geglaubt, der Westen würde ihre Unabhängigkeit zulassen und wollten sich nicht kampflos damit abfinden, daß statt dessen anglo-amerikanische Ölfirmen auf eigene Rechnung die Bodenschätze plünderten.
Zwar blieb die Stimmung zu Hause „pazifistisch‟ und es mußte der zuständige Minister gehen, als er seine Bomber im Parlament offen für ihre Effizienz lobte. Aber an grundsätzliche Abrüstung dachte man trotzdem weder in Paris noch in London. Ebensowenig wie in Moskau, wo ein Rüstungsprogramm das nächste jagte.
Die neue demokratische, friedliche Weltordnung war ausgeblieben, so viel stand fest. Statt dessen hatte der westliche Imperialismus seinen endgültigen Höhepunkt erreicht und überschritten. Daß nun die offene Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland insgesamt eine kluge Antwort auf diesen Zustand war, läßt sich mit guten Gründen bestreiten, unabhängig von der damaligen innerdeutschen Regierungsform. Eine naheliegende Antwort war sie allerdings schon.