Bekanntlich werden politische Entscheidungen in einer repräsentativen Demokratie nicht unmittelbar vom Volk, sondern von Volksvertretern, Politikern, gefällt. Daß es dabei mitunter zu großen Divergenzen zwischen dem Volk und seinen Vertretern kommen kann, zeigt das Ende Januar veröffentlichte Ergebnis einer in Österreich durchgeführten Umfrage über die Selbstbestimmung der Südtiroler.
Das Linzer Meinungsforschungsinstitut „Spectra“ führte im Auftrag des Südtiroler Heimatbundes (SHB) diese Umfrage durch. Die Ergebnisse waren höchst aufschlußreich und für einige auch überraschend, wo uns doch Politiker aus Österreich und Südtirol immer weismachen wollen, die Österreicher interessierten sich nicht für den südlichen Teil Tirols. So befürwortete eine überwältigende Mehrheit von 89 Prozent der Befragten, daß die Südtiroler per Referendum über ihre staatliche Zugehörigkeit abstimmen dürfen. Wiederum 89 Prozent würden es begrüßen, wenn sich die Mehrheit der Südtiroler bei einem solchen Referendum für die Wiedervereinigung mit Österreich ausspräche. Der SHB sah in der Umfrage bestätigt, „daß Südtirol für die überwiegende Mehrheit der Österreicher weiterhin ein großes Anliegen ist, und widerlegt gegenteilige Aussagen von Politikern“.
Doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler von den Etablierten abgelehnt
Die Diskrepanz zwischen Regierung und Volk zieht sich seit Jahren wie ein roter Faden durch die Südtirol-Politik Österreichs. Besonders deutlich wurde dies, als ÖVP, SPÖ und Grüne 2013 einen entsprechenden Antrag der FPÖ für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler ablehnten, obwohl sie zuvor in der Ausschußarbeit des Nationalrats ihre Zustimmung bekundeten. Auch im Jahr darauf machte der amtierende Außenminister Sebastian Kurz auf sich aufmerksam, als er diejenigen, die für eine Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich kämpfen, als „Ewiggestrige“ bezeichnete, die „wieder vom Aufziehen neuer Grenzen träumen“.
Diese „Ewiggestrigen“, so die Auffassung der meisten Politiker der Volksparteien, sind der Stein in der Mühle der EU-ropäisierung. Die Regierenden kontern mit Schlagwörtern wie „nicht mehr spürbare Grenze seit der EU-Mitgliedschaft“ oder verweisen auf die zahnlosen Tiger und künstlichen Gebilde wie „Europaregion Tirol“ oder „Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino im Europäischen Verbund für Territoriale Zusammenarbeit“ (EVTZ). Diese Linie fährt auch die einst zur Interessendurchsetzung der Südtiroler gegründete SVP. Während sich Oppositionsparteien im Südtiroler Landtag genüßlich an den Umfrageergebnissen labten, schwiegen die Vertreter der Mehrheitspartei oder verwiesen auf die Überwindung der Grenzen durch die Europäische Union.
Auch in Italien überwältigende Mehrheit für Selbstbestimmung
Diese Strategie mag vorerst klug sein, wird aber nichts mehr bringen, wenn der Wunsch nach Selbstbestimmung von allen Seiten erschallt. So regt sich auch südlich von Salurn einiges. Im März 2014 führte das in Mestre bei Venedig ansässige Institut „Demetra“ im Auftrag des SHB eine Umfrage über ebenjenes Thema durch. In der italienweit repräsentativ durchgeführten Umfrage wurde bekannt, was neofaschistischen Parteien, aber auch der in Südtirol regierenden SVP sauer aufstieß. Auf die Frage „Sind Sie damit einverstanden, daß die Bevölkerung der Provinz Bozen mit einem Referendum auf friedliche und demokratische Weise über ihre Selbstbestimmung entscheiden kann?“, antworteten 71,8 Prozent der Befragten mit „Ja“.
Daß das Ergebnis bei einer möglichen durchgeführten Umfrage bei Mandatsträgern ein gegenteiliges wäre, beweist nur die immer größer werdende Kluft zwischen dem Volk und seinen Vertretern.